Rückschläge für Terroristen:Der Islamische Staat schrumpft

Iraks Armee gewinnt die Kontrolle über die Stadt Ramadi. Der sogenannte Islamische Staat hat 2015 mehr Gebiete verloren als erobert.

Von Markus C. Schulte von Drach

Seit eineinhalb Jahren existiert das Gebilde "Islamischer Staat" mit seinem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi. Doch die Grenzen dieses "Kalifats" auf irakischem und syrischem Boden verschieben sich - und zwar zu Ungunsten der religiösen Extremisten. Die Terrormilizen des IS haben 2015 zwar weitere Orte erobert, mussten aber andere aufgeben. Statt ihrem selbsterklärten Ziel näherzukommen, die Welt zu erobern, haben sie seit Januar 2015 etwa 14 Prozent Fläche an ihre Gegner verloren, berichtet der IHS Jane's Conflict Monitor.

Noch 2014 waren die IS-Kämpfer bei ihren Vorstößen auf wenig Widerstand gestoßen. Sie konnten problemlos etwa die Großstadt Mossul übernehmen. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Das gilt vor allem für Regionen im Norden Syriens, wo IS-Kämpfer große Gebiete an der Grenze zur Türkei kontrolliert haben. Unterstützt durch US-Luftangriffe, ist es den kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) nach monatelangem Kampf Anfang des Jahres gelungen, die Grenzstadt Kobanê sowie weitere große Gebiete zurückzuerobern.

Der IS beherrscht seitdem nur noch eine kleine Region an der Grenze zur Türkei. Der Erfolg der Kurden ist auch deshalb von Bedeutung, weil ausländische IS-Kämpfer vor allem über die Türkei nach Syrien einreisen. Nun steht den Terroristen der wichtige Grenzübergang Tal Abjad mit seiner Anbindung an die Stadt Raqqa nicht mehr zur Verfügung.

Ein wichtiger Erfolg war im November die Eroberung der irakischen Stadt Sindschar am gleichnamigen Gebirge durch Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK sowie kurdische Peschmerga und jesidische Milizen. Sie haben dort die Verbindungslinie zwischen den Städten Mossul (Irak) und Raqqa (Syrien) unterbrochen, die beide weiterhin fest in der Hand der IS-Extremisten sind. Auch dort flogen Kampfjets der Anti-IS-Allianz unter US-Führung Angriffe auf die Terror-Miliz.

Im Frühjahr 2015 konnten irakische Regierungstruppen sowie sunnitische und schiitische Milizen die wichtige Stadt Tikrit zurückerobern, die der IS 2014 eingenommen hatte. Die Terroristen hatten dort ein Massaker an mehreren Hundert gefangenen Regierungssoldaten verübt. Nach der Rückeroberung zerstörten schiitische Milizionäre angeblich Hunderte von Häusern der sunnitischen Einwohner.

Im Oktober gelang es der Armee und den Milizen, im Norden Tikrits auch die Stadt Baidschi mit ihren wichtigen Ölraffinerien vom IS zu befreien. Die Islamisten hatten den Ort im Frühjahr erobert. Im Zusammenhang mit dem Verlust von Tikrit und Baidschi könnte der Wegfall von Öleinnahmen dem IS zu schaffen machen.

Iraks Armee verkündet Sieg in Ramadi

Einer der größten Erfolge für den IS in diesem Jahr war die Eroberung der Stadt Ramadi westlich von Bagdad. Die Stadt befand sich seit Mai in der Hand der Terroristen. Nach jüngsten Berichten soll ein Großangriff der irakischen Armee auf die IS-Rückzugsorte im Zentrum der Stadt erfolgreich verlaufen sein. Iraks Militär, das dabei von der internationalen Anti-IS-Allianz mit Luftangriffen unterstützt wurde, hat die Rückeroberung Ramadis verkündet.

In der syrischen Provinz Homs ist es den Terroristen im auslaufenden Jahr gelungen, große Gebiete zu übernehmen, dazu kommen kleinere Flächen im Norden der Stadt Aleppo und an der Grenze zum Libanon.

Irakische Soldaten vor Ramadi

Irakische Soldaten vor der Stadt Ramadi

(Foto: AP)

Eroberung und Zerstörung der Stätten von Palmyra

In der Provinz Homs befindet sich auch die Stadt Palmyra, die von den Extremisten im Mai erobert wurde. Die Islamisten haben einige Gebäude der gleichnamigen berühmten antiken Stadt in die Luft gesprengt und den Chef-Archäologen der historischen Stätte, Khaled al Asaad, ermordet. Den syrischen Regierungstruppen ist es bislang - trotz Unterstützung durch russische Kampflugzeuge, die seit September im Einsatz sind - nicht gelungen, die Terroristen zurückzudrängen. Allerdings bekämpfen die russischen Piloten bislang vorrangig Aufständische, die gar nicht dem IS angehören.

Wie IHS Jane's berichtet, sind die Gebietsgewinne in Syrien kleiner als die Verluste dort und im Irak, so dass die vom IS kontrollierte Fläche von 90 800 Quadratkilometern im Januar auf 78 000 Quadratkilometer im Dezember geschrumpft ist. Die Entwicklung zeigt IHS Jane's zufolge, dass der sogenannte Islamische Staat für seine Offensive in Homs Kämpfer aus dem Norden Syriens abziehen musste - zum Vorteil der kurdischen Milizen.

"Das deutet darauf hin, dass der Islamische Staat überdehnt war und dass seine Führung es als weniger wichtig betrachtet, die kurdischen Territorien zu halten, als die syrische und irakische Regierung aus traditionellem Sunniten-Gebiet zu vertreiben", heißt es auf der Jane's-Homepage. Auch die Anhänger des IS sind Sunniten, sie hoffen deshalb - offenbar teilweise zurecht -, in der lokalen Bevölkerung Unterstützung zu finden.

Die schnellen Eroberungen großer Teile Syriens und des Irak im Jahr 2014 hatte die Führung des IS für ihre Propaganda genutzt. Nach der Entwicklung 2015 können sie sich nun nicht mehr als unbezwingbare Gotteskrieger inszenieren. Und mit jedem Quadratkilometer, den sie verlieren, verliert auch der Traum vom weltweiten Kalifat an Überzeugungskraft.

Dass die Gebietsverluste zu einem Ende des Terrors außerhalb Syriens und des Irak führen werden, ist unwahrscheinlich. So dürften die Anschläge in der Türkei, in Beirut, in Europa und in den USA auch Reaktionen auf den zunehmenden Druck sein, unter den die Terroristen im Nahen Osten geraten sind. Je schwächer das selbst ernannte Kalifat wird, desto stärker wird sich seine Führung auf die Strategien seiner ehemaligen Mutterorganisation al-Qaida besinnen.

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