Rückblick 2015:Flucht, Krieg und Klimawandel

Ein türkischer Soldat bietet einem syrischem Flüchtlingskind Wasser an

Ein türkischer Soldat bietet einem syrischen Flüchtlingskind nach der Flucht in die Türkei Wasser an

(Foto: AP)

Der syrische Bürgerkrieg, die Flüchtlingskrise und der Weltklimagipfel in Paris waren Themen, die das Jahr 2015 dominierten. Der Blick zurück wird so zu einem Ausblick auf das, was uns erst noch bevorsteht.

Von Markus C. Schulte von Drach

Bei dem Blick zurück auf das Jahr 2015 stechen die Themen "Flüchtlinge" und "syrischer Bürgerkrieg" besonders ins Auge. Dem UNHCR zufolge waren weltweit fast 60 Millionen mehr Menschen auf der Flucht - mehr als jemals zuvor. Über eine Million Flüchtlinge kam im auslaufenden Jahr allein nach Deutschland - vertrieben durch Kriege, Bürgerkriege, Verfolgung oder weil daheim einfach kein menschenwürdiges Leben mehr möglich ist. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder.

Der Blick auf das auslaufende Jahr ist indess auch ein Ausblick auf das, was in den kommenden Jahrzehnten in noch größerem Umfang auf uns und unsere Nachkommen zukommen dürfte. Das führt das dritte große Thema des Jahres vor Augen: der Weltklimagipfel in Paris.

Flüchtlinge in Mazedonien

Flüchtlinge vor einer Registrierungsstelle in Mazedonien.

(Foto: AP)

Angesichts der steigenden Erderwärmung - die sich mit den in Paris angekündigten unverbindlichen Maßnahmen nicht ausreichend wird bremsen lassen - muss die Welt mit katastrophalen Entwicklungen rechnen. Und mit noch viel mehr Flüchtlingen.

Davor warnen Experten verschiedener Organisationen wie die Vereinten Nationen, der Weltklimarat IPCC, die Europäische Kommission oder die Weltbank. Auch Regierungen teilen die Sorge. So veröffentlichten die G7-Außenminister im April eine Studie, derzufolge der Klimawandel die Stabilität von Staaten und Gesellschaften immer stärker beeinträchtigen könnte.

Im Juni veröffentlichte auch das US-Verteidigungsministerium einen Bericht, der besagt, der Klimawandel werde zu mehr Naturkatastrophen, Konflikten über Ressourcen wie Nahrung und Wasser und zu Flüchtlingsströmen führen. Innerhalb der absehbaren Zukunft "wird er bestehende Probleme verschärfen - etwa Armut, soziale Spannungen, Umweltzerstörung, mangelnde Führung und schwache politische Institutionen - die die gesellschaftliche Stabilität in etlichen Ländern bedrohen".

Klimawandel kann Konflikte anheizen

Wie realistisch und wie groß das Ausmaß der Bedrohung durch den Klimawandel ist, zeigen inzwischen etliche Studien. Bereits jetzt beobachten Wissenschaftler, dass die steigenden Temperaturen unseren Planeten verändern. Das "ewige Eis" der Arktis und die grönländischen Gletscher erweisen sich als sehr vergänglich - schmelzen sie weiter ab, könnte der Meeresspiegel Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung zufolge um bis zu sieben Meter steigen. Etliche Millionen Menschen würden ihre Siedlungsräume an den Küsten verlieren.

In den Tropen ist die Versorgung der Bevölkerung durch schlechte oder ausfallende Ernten bedroht. Auch immer häufigere Stürme, Überschwemmungen, Dürren und sich ausdehnende Wüsten können die Lebensgrundlage in manchen Regionen zerstören und zu Hungerkatastrophen führen.

Die Folgen, so schätzen manche Experten, könnten mehrere hundert Millionen Klimaflüchtlinge sein. Dort, wo sie hingehen, wird es zur Konkurrenz mit den Einheimischen um die örtlichen Ressourcen kommen. Das ist heute selbst in Deutschland schon zu spüren, wo Flüchtlinge bei vielen Menschen nicht willkommen sind, die um ihren eigenen Wohlstand fürchten.

Einfluss des Klimas in Darfur und Syrien

Untermauert werden die Sorgen durch Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit. So bezeichnete UN-Generalsekretär Ban Ki Moon 2007 den Konflikt in Darfur im Sudan als den ersten "Klimawandel-Konflikt" der Welt. Es sei kein Zufall, schrieb er in der Washington Post, dass die Gewalt zwischen den ethnischen Gruppen während der extremen Dürre ausgebrochen war, unter der Darfur damals litt.

Aber gerade auch der Bürgerkrieg in Syrien, dessen Folgen die Nachbarländer, aber auch Europa deutlich spüren, wird von Wissenschaftlern als Konflikt betrachtet, für den der Klimawandel eine Rolle gespielt haben könnte: Im "fruchtbaren Halbmond" an Euphrat und Tigris war es zwischen 2006 und 2010 zu einer extremen Dürre gekommen. Im Nordosten Syriens führte sie zu Ernteausfällen, große Teile des Viehbestandes gingen verloren, die Existenzgrundlage vieler Bauern wurde vernichtet.

1,5 Millionen Betroffene, vor allem junge Menschen, flüchteten bis 2011 in Städte wie Dar'ar, Homs und Hama, wo sie mit der lokalen Bevölkerung sowie Flüchtlingen aus dem Irak um Nahrung, Wasser, Wohnungen und Arbeit konkurrierten. Das, so vermuten die Forscher, könnte die bereits bestehenden sozialen und politischen Spannungen angeheizt haben, die zu Unruhen führten. Unruhen, aus denen sich der Bürgerkrieg entwickelte.

Es gibt weitere grundlegende Studien, die in eine ähnliche Richtung weisen. US-Forscher der University of Berkeley etwa untersuchten 2009 die Konflikte in Afrika südlich der Sahara zwischen 1980 und 2002 und stellten fest, dass Bürgerkriege mit 50 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit ausgebrochen waren, wenn die Jahrestemperatur ein Grad über dem Durchschnitt des gesamten Zeitraumes lag.

Zuvor hatte bereits die University of Hong Kong eine Studie veröffentlicht, die darauf hinwies, dass manche Konflikte schon seit dem Jahr 1400 offenbar mit Hungersnöten zusammenhingen, die von Klimaveränderungen ausgelöst worden sein könnten. Bestätigt wurden diese Ergebnisse 2013 von Wissenschaftlern der Stanford University in Kalifornien in einer Meta-Analyse von 60 Studien. Konflikte sind in den vergangenen Jahrtausenden offenbar etwas häufiger ausgebrochen, wenn es zuvor zu deutlich erhöhten Temperaturen oder extremen Niederschlägen gekommen war.

Es ist nicht das Klima allein, aber ...

Zwar sind sich die Experten einig, dass Konflikte wie in Syrien und Darfur nicht allein wegen klimatischer Ereignisse ausbrechen. Auch die Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass Länder sich bislang etwa über die Nutzung gemeinsamer Wasserressourcen wie Seen oder Flüsse noch immer friedlich einigen konnten. Eine Studie der United Nations University kommt allerdings zu dem Schluss, dass sich das ändern kann - wenn es um Leben und Tod geht.

Konfliktlinien verlaufen schon heute zunehmend weniger entlang staatlicher Grenzen, sondern eher innerhalb einzelner Länder zwischen Gruppen, die sich selbst etwa verschiedenen Ethnien oder Glaubensrichtungen zuordnen oder unterschiedliche traditionelle Lebensweisen pflegen. In Darfur etwa bedrohen Dürren eine wachsende Bevölkerung von Nomaden und Ackerbauern, die den Boden völlig anders nutzen.

Sowohl die G7-Studie als auch das US-Verteidigungsministerium warnen deshalb davor, dass der Klimawandel besonders in Staaten und Regionen, in denen Frieden und Stabilität bereits gefährdet sind, Konflikte verstärken kann.

Wie wenig optimistisch die Staatengemeinschaft selbst in der Frage ist, dass sich die Erderwärmung noch ausreichend abbremsen oder gar stoppen lässt, zeigt die Bedeutung, die sogenannte Klimaversicherungen auf dem Gipfel in Paris hatten: Die Industriestaaten tragen die Hauptverantwortung für den Klimawandel, sind von den Folgen jedoch direkt wenig betroffen. Deshalb zeigen sie sich bereit, Länder zu entschädigen, wenn diese von Klimakatastrophen heimgesucht werden. Mit 100 Milliarden Dollar wollen die wohlhabenden Staaten den Entwicklungsländern von 2020 an außerdem helfen, sich auf die drohenden Folgen der Erderwärmung einzustellen.

Besser für die Betroffenen wäre es wohl, wenn den Schäden vorgebeugt würde. Zum Beispiel durch eine vernünftige Verringerung der Treibhausgasemissionen. Manchen Experten zufolge wäre das für die Industriestaaten unterm Strich auch billiger. Und wenn Klimawandel, Flucht und Vertreibung zusammenhängen, wäre es eine weitere wichtige Maßnahme, um zu verhindern, dass sich Szenarien wie 2015 an den Grenzen an und in der EU wiederholen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: