Roth rügt Atom-Kompromiss der Regierung:"Ein Novum an Schäbigkeit"

Grünen-Chefin Claudia Roth im Gespräch mit sueddeutsche.de über die neue Protestkultur im Land, wie friedliche Demonstrationen wirken - und warum der Atom-Deal der Bundesregierung mit den Atom-Konzernen nicht nur Irrsinn ist.

Thorsten Denkler, Berlin

sueddeutsche.de: Frau Roth, in Stuttgart demonstrieren Tausende gegen den Neubau des Hauptbahnhofes, in Berlin werden am Wochenende nicht weniger Menschen zur Anti-Atom-Demo erwartet. Fühlen Sie sich zurückversetzt in die Protestzeiten der siebziger und achtziger Jahre?

Landesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen NRW - Roth

Sie wirft der Regierung eine "heuchlerische Politik" vor: Die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, kritisiert die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.

(Foto: dpa)

Claudia Roth: Das ist kein Protest-Revival, kein Déjà-vu. Die Proteste sind anders geworden, die Bündnisse deutlich breiter. Bei Protesten gegen Atomkraft sind heute auch Gewerkschaften und Kirchen dabei. Und auch die Sozialdemokraten. Das ist neu und zeigt, wie groß die Empörung über die schwarz-gelbe Politik in der Gesellschaft ist.

sueddeutsche.de: Gehen heute andere Menschen auf die Straße als damals?

Roth: Die Anti-Atom-Bewegung ist größer geworden. Sie umfasst jetzt mindestens drei Generationen. Viele junge Menschen sind dabei. Aber natürlich sind auch die alten Kämpferinnen und Kämpfer wieder unterwegs. Mit dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss haben wir eine jahrzehntelange, brutale Auseinandersetzung befriedet - und jetzt müssen wir unsere alten Demo-Klamotten wieder rausholen.

sueddeutsche.de: Bei den Demonstrationen zum G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 gab es sehr gewalttätige Auseinandersetzungen. Wird auch die neue Anti-Atom-Bewegung Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung einsetzen?

Roth: Ich habe keinen Anlass anzunehmen, dass der Protest gegen diesen Atomwahnsinn nicht friedlich bleibt. Es gibt heute viele wirksame Formen der friedlichen Protestkultur. In Stuttgart gehen die Menschen seit Wochen regelmäßig auf die Straße, Jung und Alt, aus allen Schichten. Und sie haben gerade erst wieder einen Erfolg erzielt, denn endlich plädiert auch die SPD für einen Abrissstopp. Jeden Abend machen sie beim Schwabenstreich viel Lärm an der Baustelle am Bahnhof. Neu ist es nicht, Lärm zu machen oder auf die Straße zu gehen. Damit bin ich aufgewachsen und das ist Teil der grünen Geschichte. Aber heute werden die Proteste auch von konservativen Menschen getragen. Sie wollen nicht, dass entgegen aller Erkenntnisse Politik gegen sie gemacht wird. Gewalt würde diese Menschen abschrecken, sich zu beteiligen.

sueddeutsche.de: Was regt Sie mehr auf an der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke: Dass die Regierung umsetzt, was Union und FDP vor der Wahl versprochen haben - oder die Art und Weise, wie der Deal mit der Atomwirtschaft zustande kam?

Roth: Beides gleichermaßen. Dass Schwarz-Gelb die Laufzeiten verlängern will, ist an sich schon Irrsinn genug. Dass sie aber nach dem Verlust der Mehrheit im Bundesrat die Verlängerung an der Länderkammer und mit einem verbindlichen Vertrag zum Teil am Bundestag vorbeizocken will, ist ein Anschlag auf das demokratische Gefüge in diesem Land. Besonders obszön wird es, wenn ausgerechnet Länder wie Bayern und Baden-Württemberg jetzt schon anmelden, wie viel sie von dem Kuchen abhaben wollen, den die Laufzeitverlängerung bringen soll. Dabei tun die alles dafür, damit sie in dieser Frage nicht befasst werden. Das ist eine heuchlerische Politik.

sueddeutsche.de: Die Grünen werden wie andere gegen die Laufzeitverlängerung vor das Bundesverfassungsgericht gehen. Welche Chancen haben sie dort?

Roth: Sehr gute, davon sind inzwischen ja auch manche aus der schwarz-gelben Koalition überzeugt. Aber es wäre Aufgabe der Bundesregierung, eine verfassungskonforme Politik zu machen. Die Verfechter dieses unlauteren Deals sollten spätestens jetzt ins Nachdenken kommen, wenn selbst der Bundestagspräsident Norbert Lammert, ein CDU-Mann, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anmeldet. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, sieht das in einem Gutachten für das Umweltministerium ähnlich und mit ihm Dutzende weiterer angesehener Staatsrechtler. Und auch Umweltminister Röttgen äußert sich ja auffallend schmallippig zu der Frage, ob er den Deal für verfassungsrechtlich gültig hält. Dass Schwarz-Gelb dennoch versucht, ohne den Bundesrat zu entscheiden, ist für mich ein Novum an Schäbigkeit.

"Ein schmutziger Deal"

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie den Deal mit der Atomwirtschaft?

Roth: Das ist ein schmutziger Deal auf Kosten der Allgemeinheit und der Demokratie, zum Schutz der Atomkonzerne und auf Kosten des Gemeinwohls. Anstatt, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, sich Gedanken über die sicherste und nachhaltigste Energieversorgung der Menschen in diesem Land zu machen, schließt die Bundesregierung einen verbindlichen Vertrag mit der Atomwirtschaft über die Gewinnverteilung bei Laufzeitverlängerungen. Nur wurden diese vom Parlament bislang noch nicht einmal beraten, geschweige denn beschlossen. Das sowie das geplante Durchzocken am Bundesrat vorbei ist eine skandalöse Missachtung der demokratischen Institutionen, wie es bislang in der Bundesrepublik noch nicht zu erleben war.

sueddeutsche.de: Die Regierung wirft den Grünen vor, beim Atomausstiegsbeschluss den damaligen Sicherheitsstandard sogar eingefroren zu haben.

Roth: Das ist schlichtweg gelogen. Schwarz-Gelb unterschlägt, dass wir mit dem Ausstiegsbeschluss erstmalig eine regelmäßige Sicherheitsüberprüfung aller Atomkraftwerke gesetzlich vereinbart haben. Außerdem wurde damls beschlossen, den Leitfaden für diese Sicherheitsüberprüfungen ständig weiterzuentwickeln. Und es gibt neue Erkenntnisse: Wir hatten uns damals nicht vorstellen können, dass Atomkraftwerke gegen terroristische Anschläge aus der Luft gesichert sein müssen. Außerdem liegt inzwischen die Kinderkrebsstudie vor, die nachweist, dass Kinder im Umfeld von Atomkraftwerken häufiger an Leukämie erkranken. Auch der Atomkompromiss von damals ist also nicht mehr auf dem aktuellen Stand.

sueddeutsche.de: Jetzt sollen die AKW im Schnitt zwölf Jahre länger laufen. Das klingt doch überschaubar.

Roth: Die Laufzeiten beziehen sich auf die Reststrommengen, die ein Meiler produzieren darf. Und bei den Berechnungen geht die Bundesregierung von einer völlig unrealistischen Auslastung der Netze durch die Atomenergie aus. Am Ende wird es also um viel mehr als die zusätzlichen zwölf Jahre gehen, da im Netz viel weniger Atomenergie und viel mehr Energie aus Erneuerbaren fließt, als von Schwarz-Gelb angenommen. Es kann also sein, dass Atomkraftwerke wie der Pannen-Reaktor Krümmel insgesamt bis zu 50 Jahre laufen. Das ist Wahnsinn. Die Bundesregierung ist zum willigen Handlanger der vier großen Energiekonzerne geworden.

sueddeutsche.de: Die Konzerne bezahlen Milliarden für die Laufzeitverlängerung. Reicht das nicht?

Roth: Das sind doch kleine Beträge angesichts der zusätzlichen Gewinne, die die Konzerne einfahren. Pro AKW nehmen die Konzerne eine Million Euro pro Tag Laufzeitverlängerung ein. Damit hat die Atomwirtschaft die Zahlungen, die sie als Ablass für die Laufzeitverlängerung in den Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien zahlen soll, in knapp drei Betriebswochen wieder eingefahren. Außerdem können sie die Investitionen in die Sicherheit, die aufsummiert eine 500-Millionen-Euro-Grenze überschreiten, von den vereinbarten freiwilligen Investitionen in regenerative Energien wieder abziehen. Die 500-Millionen-Euro Grenze widerspricht übrigens der Ankündigung von Bundesumweltminister Röttgen, der für eine Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren ursprünglich Sicherheitsinvestitionen pro AKW von durchschnittlich 1,2 Milliarden Euro gefordert hatte.

sueddeutsche.de: Was empört Sie noch?

Roth: Dass bei den Geheimverhandlungen mit den Atomkonzernen im Kanzleramt weder Umweltminister Norbert Röttgen noch ein anderer Vertreter des Bundesumweltministeriums dabei waren. Das muss man sich mal vorstellen: Da wird die Verlängerung der Hochrisikotechnologie Atomkraft beschlossen, und das zuständige Ministerium, das für die Sicherheit der Anlagen zuständig ist und diese auch garantieren muss, wird nicht mal gefragt. Ein absolutes Unding. Das zeigt, dass es Schwarz-Gelb bei den Laufzeitverlängerungen einzig und allein um die Gewinne der Atomkonzerne und um zusätzliches Geld für den Staat geht, und eben nicht um ein zukunftsfähiges Energiekonzept oder gar um die Sicherheit der Bevölkerung. Von wegen Versorgungslücke und Brückentechnologie.

"Der Herbst wird heiß für die Regierung"

sueddeutsche.de: Ist der CDU-Mann Röttgen gescheitert oder hat er nur ein falsches Spiel gespielt? Es schien ja, als wolle er eine möglichst kurze Laufzeitverlängerung.

Roth: Ich habe früh gesagt, dass er nur ein grünes Mäntelchen trägt. Aber er hat sich ja nicht nur nicht durchgesetzt, er wird auch ganz offensichtlich nicht ernst genommen. Als Umweltminister von den wichtigen Verhandlungen ausgeschlossen zu werden, ist eigentlich ein Grund, zurückzutreten.

sueddeutsche.de: Röttgen will jetzt das Erkundungsmoratorium für Gorleben als Endlager aufheben. Ist Gorleben vielleicht doch ein guter Standort für radioaktiven Müll?

Roth: Gorleben ist und bleibt als Endlager absolut ungeeignet. Und wenn ein Ort umfassend erkundet worden ist, dann ist das Gorleben. Was Minister Röttgen "Erkundung" nennt, ist in Wirklichkeit die bewusste Festlegung auf einen Standort, der nicht geologisch, sondern politisch bestimmt worden ist.

sueddeutsche.de: Deutschland braucht ein Endlager. Wo soll es denn liegen?

Roth: Um das herauszufinden, müsste Röttgen endlich ein ergebnisoffenes Suchverfahren starten. Stattdessen hält er starrsinnig an Gorleben fest. Und obwohl es bislang kein sicheres Endlager gibt, beschließt die Bundesregierung, dass noch mehr Atommüll produziert werden kann. Das ist absolut unverantwortlich.

sueddeutsche.de: Wann wird der Tag kommen, an dem auch Grüne sagen, ja, hier muss das Endlager hin?

Roth: Nach einem ordentlichen Suchverfahren mit umfassender Bürgerbeteiligung. Auch wir Grünen sind natürlich in der Verantwortung, dass Atommüll in Deutschland endgelagert werden kann. Das können wir nicht in Sibirien oder in einem armen Entwicklungsland machen. Darum brauchen wir eine ergebnisoffene Endlagersuche. Das ist nicht einfach für uns, weil wir diese Technologie immer bekämpft haben. Wir machen aber eben keine Politik wie die CSU: Dort gab es vehementen Protest gegen ein Zwischenlager in Gundremmingen, aber genauso vehement wird für die Laufzeitverlängerung gestritten.

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie von der Großdemonstration an diesem Samstag in Berlin?

Roth: Die Proteste werden zeigen, dass die Bundesregierung nicht einfach konsequent an der Mehrheit der Menschen vorbei Lobbypolitik betreiben darf. Wir werden auf allen Ebenen gegen die Laufzeitverlängerung vorgehen. Juristisch, politisch und zivilgesellschaftlich. Wir werden erleben, dass Zehntausende Menschen auf die Straßen gehen, und dass dieser Herbst heiß wird für die Bundesregierung.

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