Rot-rot-grüne Gedankenspiele:Von links nach irgendwo

Mit Radikalopposition hat die Linke einst die Landtage im Westen erobert. Doch ohne Machtperspektive bleiben ihre weitgehenden Forderungen nur hohle Floskeln. Die neue Führung setzt nun auf einen moderaten Kurs. Helfen wird es nicht.

Thorsten Denkler, Berlin

Es vergeht kaum eine Rede von Volker Kauder, dem Chef der Unions-Fraktion im Bundestag, in der er nicht diesen Satz vorträgt: "Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit." Nun gehört auch Kauder nicht zu jenen, die dem Satz immer volle Geltung verschaffen. Aber es ist ein kluger Satz. Und er hat viel mit der Linken zu tun.

Linke dient sich als Regierungspartei im Bund an

Das neue Führungsduo der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, wollen die Partei auf eine neue, eine leisere "Tonalität" einschwören. Ist das mehr als ein PR-Gag?

(Foto: dapd)

Es ist noch gut ein Jahr hin bis zu Bundestagswahl und die Aussichten sind für die Linke eher mager. Über Jahre hat die Partei Erfolge eingefahren. Vor allem im Westen hat sie mit ihrer Radikalopposition einen Landtag nach dem anderen erobert. Doch das ist vorbei. Die Lautsprecherei hat sich überholt. Wer jahrelang brüllt, Hartz IV muss weg, sich aber nichts bewegt, der verliert an Glaubwürdigkeit. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen kam die Linke zuletzt auf nur noch 2,5 Prozent. Gegenüber der Bundestagswahl 2009 ist sie in Umfragen auf gerade noch die Hälfte geschrumpft.

Wohl auch deshalb will jetzt das neue Führungsduo, Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Partei auf eine neue, eine leisere "Tonalität" einschwören. Die Linke soll zuhören lernen. Erstmals lassen sie den Gedanken zu, dass es nach der Bundestagswahl ein rot-rot-grünes Linksbündnis geben könnte. Die Bereitschaft dazu solle die Linke "selbstbewusst und offensiv" vertreten. Ein Regierungswechsel könne "vielleicht ohne uns möglich sein", einen Politikwechsel aber gebe es nur mit der Linken. So haben es Kipping und Riexinger in einem neunseitigen Papier aufgeschrieben.

Wenn sie das ehrlich meinen, könnte das ein Weg für die Linke sein, sich nachhaltig zu stabilisieren. Allerdings fehlt da noch ein entscheidender Schritt. Die Linke müsste auch ihre Programmatik der neuen Linie anpassen. Womit wir wieder bei Kauder wären.

Eine der Realitäten in der Politik, denen sich die Linke bisher konsequent verweigert hat, lautet: Demokratie ist der Ausgleich von Interessen. So aber hat sich die Linke vor allem im Westen nie verstanden. Im Osten ist das anders. Da hat die Linke mitregiert, hat Kompromissfähigkeit bewiesen, die allerdings parteiintern immer wieder zu Spannungen führt.

In immerwährender Abgrenzung zur Sozialdemokratie

Die Geschichte der Linken im Westen ist die Geschichte eines großen Missverständnisses. Es besteht darin, dass ihre Vorderen glauben, die Linke sei eine eigenständige politische Kraft. Das war sie nie. Die Linke ist dort eine Protestbewegung. Eine Partei, die sich in der immerwährenden Abgrenzung zur Sozialdemokratie definiert. Was von der SPD kommt, das kann nicht gut sein, eben weil es von der SPD kommt. Vor allem im Westen ist die Linke eine Partei von Menschen, die sich durch die Agenda-Reformen der SPD ganz persönlich verraten und verkauft vorkommen. Sie gönnen den Sozialdemokraten nicht die Butter auf dem Brot. Das ist menschlich verständlich. Nur politisch ist das nicht.

Weniger Abgrenzungsrhetorik

Ganz von dieser Abgrenzungsrhetorik wird sich die neue Spitze nicht verabschieden können. Und so bleibt sie inhaltlich auf Linie.

Drei Beispiele:

[] Hartz IV muss weg! Das ist der Gründungsschlachtruf der Linken. So explizit formulieren das Riexinger und Kipping in ihrem Papier zwar nicht mehr. Sie meinen aber dasselbe, wenn sie als Bedingung für eine Koalition die Forderung ausgeben: Kein Mensch soll von weniger als 1000 Euro im Monat leben müssen.

Im gegenwärtigen Hartz-IV-System ließe sich das nicht bewerkstelligen. SPD und Grüne stehen aber im Prinzip zu der Reform, auch wenn sie mehr und mehr bereit sind, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Tatsächlich geht es zumindest Kipping um etwas ganz anderes. Sie ist eine vehemente Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommens. Das ist schon parteiintern umstritten. Diese 1000-Euro-für-jeden-Forderung ist also kein Angebot an SPD und Grüne, sondern wohl eher der Versuch von Kipping, der Linken ihr Lieblingsthema unterzujubeln.

[] Rüstungsexporte wollen Riexinger und Kipping "sofort" gestoppt sehen. Nur dann sei eine Koalition möglich. Die Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke hat darauf eine passende Antwort gefunden: "Sofortismus ist in Regierungsverantwortung ein Widerspruch." Sie weiß, wovon sie spricht. In einem schmerzhaften Prozess haben sich die Grünen einst von der Forderung nach einem sofortigem Atomausstieg verabschieden müssen. Das müsste eigentlich auch die Linke verstanden haben. Ihre langjährige Forderung nach einem "sofortigen" Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan wäre auch mit bestem Willen nicht zu erfüllen gewesen.

[] Auch das kategorische Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist schwierig für die Frage einer Regierungsbildung. Das ist, als würde jemand einem Feuerwehrmann verbieten, ein Kind aus dem Brunnen zu holen mit der Begründung, der Brunnenschacht hätte besser gesichert sein müssen. Keine Frage: Weltweit wird zu wenig getan, um militärische Konflikte zu vermeiden. Das sehen SPD und Grüne ganz ähnlich. Die Konsequenz einer strikt pazifistischen Politik, die einzig die Selbstverteidigung zuließe, würde jedoch den Austritt aus der Nato bedeuten. Und Hoffnung würde begraben, in Europa könne es so etwas wie eine gemeinsame Außenpolitik und Sicherheitsarchitektur geben.

Allein diese drei Bespiele zeigen: Die Linke mag regierungswillig geworden sein. Regierungsfähig ist sie noch lange nicht. Ihre Anhänger vor allem im Westen mögen einfach keine Kompromisse. Dass die Linke so wenig mit dem Satz vom Betrachten der Wirklichkeit anfangen kann, mag aber noch an etwas anderem liegen. Kauder nutzt ihn oft, aber er ist nicht der Urheber. Das war Kurt Schumacher, Sozialdemokrat und der erste Vorsitzende der maßgeblich von ihm wieder aufgebauten West-SPD nach 1945.

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