Rot-Grüne Sieger in Niedersachsen:Alle diszipliniert, alle einig

Weil top candidate of the SPD and Piel top candidate of Greens in the Lower Saxony state election arrive for TV interview in Hanover

Sieger nach einem äußerst knappen Wahlausgang: Stephan Weil von der SPD und die Spitzenkandidatin der Grünen, Anja Piel.

(Foto: Reuters)

Es ist der kleinstmögliche Vorsprung vor dem politischen Gegner, mit dem SPD und Grüne in Hannover regieren wollen. Die Wahlsieger sind überzeugt, dass der Koalitionsladen perfekt laufen wird. Doch solche Minimal-Mehrheiten sind schon gründlich schiefgegangen. Gerade in Niedersachsen.

Von Carsten Eberts, Hannover

So knapp, wie der Vorsprung am Sonntagabend war, fiel auch der Schlaf aus. Der Spaziergang in der Kälte habe gutgetan, sagt Grünen-Spitzenkandidatin Anja Piel und lacht. Hannover liegt immer noch im Schnee, die kalte Luft vertreibt alle Müdigkeit, auch nach dieser Nacht, nach diesem langen Abend. Die Niedersachsen-Wahl 2013 verlief dramatisch, so knapp wie selten. Am Ende siegten Sozialdemokraten und Grüne, obwohl die meisten selbst nicht mehr daran geglaubt hatten.

Zu einer Uhrzeit weit nach Mitternacht hatte Grünen-Frontfrau Piel mit ihrem Spitzenduo-Kollegen Stefan Wenzel unter lautem Getöse die SPD-Wahlparty im Alten Rathaus geentert. Von der Bühne, auf der gerade noch die Band spielte, hielten Piel und Wenzel eine kurze Rede an das SPD-Volk. Die künftigen Koalitionäre lagen sich in den Armen, unten tanzte Doris Schröder-Köpf. Rot-grüne Heiterkeit.

69 zu 68 - nur einen Sitz Vorsprung haben SPD und Grüne erwirtschaftet. Das ist nicht viel - reicht aber. Doch eine solch minimale Mehrheit stellt besondere Ansprüche, der Koalitionsladen muss perfekt laufen. Dissensen können leicht zum Bruch der ganzen Koalition führen. "Wir wissen, dass wir mit großer Disziplin und großer Einigkeit agieren müssen", sagte Piel. Die künftigen Partner betrachten das aber eher als Aufgabe denn als Problem. "Rot-Grün hat schon sehr stabile Ein-Sitz-Mehrheiten gestellt", erklärte Stephan Weil, der designierte SPD-Ministerpräsident. Solche Verhältnisse sind jedoch auch schon gründlich schiefgegangen, gerade in Niedersachsen.

Kein Koch, kein Kellner

Etwa 1976, als drei Abweichler innerhalb der Koalition der SPD/FDP-Koalition den Wechsel des Regierungschefs von Alfred Kubel zu Helmut Kasimier nicht mittragen wollten. Die Koalition platzte wegen dieser Abweichler. Überraschend kam Ernst Albrecht von der CDU an die Macht. Er regierte vierzehn Jahre, wobei ihm 1989 nur ein fraktionsloser früherer SPD-Abgeordneter die Mehrheit sicherte.

Ein Jahr später war Albrecht am Ende - ihm folgte der spätere Kanzler Gerhard Schröder. Auch er regierte zusammen mit den aufgestiegenen Grünen mit einer äußerst knappen Mehrheit. Und brachte dennoch einige Projekte auf den Weg.

Nun also abermals ein so knappes Ergebnis. Als wollten die Niedersachsen ihre Politiker erneut auf die Probe stellen. In manchen Wahlkreisen fiel der Vorsprung der SPD marginal aus: Der Wahlkreis Hildesheim ging nur mit 334 Stimmen Vorsprung an die SPD, Wilhelmshaven mit 406 Stimmen. Bad Pyrmont fiel indes mit 231 Stimmen Vorsprung der CDU zu. "Gewonnen ist gewonnen", jubilierte Weil, "auch wenn es noch so knapp war."

CDU ist stärkste Kraft - und doch Verlierer

Die Koalitionsverhandlungen sollen baldmöglichst beginnen. Mit sehr selbstbewussten Grünen, wie das Spitzenduo bereits klarstellte. "Wir wollen mit der SPD auf Augenhöhe agieren", erklärte Stefan Wenzel und stellte klar: "Die noch amtierende Regierung hat rund fünf Prozent verloren. Die Grünen haben rund fünf Prozent gewonnen. Das war der entscheidende Faktor." Das grüne Ergebnis von 13,6 Prozent soll sich entsprechend in den Verhandlungen niederschlagen.

Das sieht sogar die SPD ähnlich. Es werde ein "Bündnis der Gemeinsamkeit" geschmiedet, ließ Landesgeschäftsführer Michael Rüter dem künftigen Koalitionspartner ausrichten. Auf eine Debatte um Koch und Kellner, wie es zwischen SPD und Grünen noch unter Schröder der Fall war, ließ sich Rüter erst gar nicht ein: "Wir hätten auch zehn Stimmen Mehrheiten genommen. Aber Mehrheit ist Mehrheit. Knappe Mehrheiten sorgen in der Regel dafür, dass die Koalitionen noch konzentrierter zusammenarbeiten."

Die Verhandlungen könnten flott abgeschlossen sein. Schnelle Einigungen erwarten die künftigen Koalitionäre in Bildungsfragen, etwa bei der Abschaffung der Studiengebühren. Auch in der Umweltpolitik. Längere Verhandlungen könnte es in Fragen der Agrarwende und der städtischen und ländlichen Mobilität gehen. Auch dürften sich die Grünen mit diesem Ergebnis nicht mit der Mindestanzahl an Ministerien im Landtag zufriedengeben.

Dass es für Rot-Grün reicht, war am Wahlabend lange nicht absehbar. Es sah nach einem Patt aus - und so war zu beobachten, wie CDU-Kandidat David McAllister und SPD-Mann Weil bereits begannen, mögliche Gräben zwischen den Volksparteien zuzuschütten. McAllister betonte den "menschlich fairen Wahlkampf". Weil lobte die hohe Wahlbeteiligung, die möglich gewesen sei, weil auf Schlammschlachten verzichtet wurde.

Mit der CDU und der FDP finden sich plötzlich zwei Parteien in der Opposition wieder, die sich eigentlich als Gewinner des Abends sahen: Die FDP, die aus der Existenzkrise auf fast zehn Prozent der Stimmen raste. Und die CDU, die der FDP durch eine Leihstimmenkampagne einige Prozentpunkte vermachte und dennoch mit 36 Prozent stärkste Kraft wurde. Einer Leihstimmenkampagne, mit der McAllister manchen Parteifreund um einen sicher geglaubten Platz im neuen Landtag gebracht hat. Der Preis, so das Kalkül, sollte der Machterhalt zusammen mit der FDP sein.

Bis kurz nach 20 Uhr standen die Zeichen auf große Koalition, dann ging Rot-Grün knapp in Führung. Und hielt den Vorsprung bis zum Ende.

Für David McAllister war dies schwierig zu verkraften. Die Nachricht, dass es nicht reichen würde für Schwarz-Gelb, erhielt der Landesvater in aller Öffentlichkeit auf der CDU-Wahlparty - wo er gerade auf eine Liveschalte fürs Fernsehen wartete. McAllister hätte sich gern zurückgezogen. Doch war dafür leider auf die Schnelle kein Raum. So drückte sich der Noch-Ministerpräsident in die Ecke des Außenzelts der Wahlparty, zog hektisch an der Zigarette, sprach in sein Mobiltelefon. In seinen Augen glitzerte es verdächtig.

Nun will der CDU-Politiker noch nicht einmal mehr Oppositionsführer im Landtag werden.

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