Rolle der SPD bei Internet-Überwachung:Mitwisser im Krisenstab

Frank-Walter Steinmeier

Was wusste die SPD von der Internet-Überwachung? Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2010

(Foto: dpa)

Die Opposition wirft der Kanzlerin Heuchelei im Umgang mit US-Spähaktionen vor, weil der BND angeblich seit Jahren geheime Daten der Amerikaner nutzt. Doch womöglich wissen die Sozialdemokraten mehr, als sie zugeben wollen. SPD-Mann Steinmeier müsste als Außenminister einiges mitbekommen haben.

Von Nico Fried, Berlin, und Frederik Obermaier

Nichts gehört, nichts gesehen, nichts gewusst. Das ist die Linie der Bundesregierung im Umgang mit dem Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA). Um Angela Merkel in Verlegenheit zu bringen, müsste die Opposition das Gegenteil beweisen und eine Verbindung zwischen dem Prism-Programm und der schwarz-gelben Regierung herstellen.

Anfang der Woche schien dieser Traum in Erfüllung zu gehen, als die Bild-Zeitung berichtete, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe im Falle von Entführungen deutscher Staatsbürger im Ausland die USA wiederholt um geheimdienstliche Erkenntnisse gebeten. "Wenn der BND in der Vergangenheit regelmäßig auf die Daten der NSA über Bundesbürger zurückgegriffen hat, wusste die Bundesregierung offenbar sehr genau, dass die Amerikaner alles speichern", erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Der Bericht enttarne die "vorgebliche Unwissenheit der Kanzlerin als Heuchelei".

Entführungen beenden war Aufgabe des BND

Das Problem: Die SPD müsste vieles davon auch gewusst haben. Entführungen sind in manchen Staaten fast an der Tagesordnung - und das schon lange. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurden mehr als 120 deutsche Staatsbürger entführt. Sie aufzuspüren, Verhandlungen zu führen, die Freilassung einzufädeln war meist Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes. In einigen Fällen, etwa in Jemen und Afghanistan, soll der Dienst Hilfe von der NSA erhalten haben.

Die Liste der spektakulären Entführungen reicht weit zurück bis in die Zeit der rot-grünen Regierung wie auch der großen Koalition. Im Juli 1999 wurde Frank-Walter Steinmeier Kanzleramtsminister und Koordinator für Deutschlands Geheimdienste - und bekam gehörig zu tun. Schon im Frühjahr hatten Rebellen der Abu-Sayyaf-Gruppe auf der philippinischen Insel Jolo die Göttinger Familie Wallert entführt. Der Fall zog sich über Monate hin. Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi kaufte sie letztlich frei - ein Deal, den der Bundesnachrichtendienst eingefädelt hatte.

Wenig später wurde ein Deutscher in Kolumbien entführt, es folgten weitere. Insgesamt wurden zu Zeiten der rot-grünen Regierung mehr als zwei Dutzend Deutsche entführt. Allein 2003 brachten Islamisten 16 deutsche Sahara-Touristen in ihre Gewalt. Für ihre Freilassung zahlte die Bundesregierung mehrere Millionen. Das Geld übergab der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog. Er wurde zwei Jahre später in Jemen selbst entführt.

Plötzlich weicht die SPD aus

In Sachen Prism beharrt SPD-Mann Steinmeier heute darauf, dass seine Zeit als Geheimdienstkoordinator acht Jahre zurückliege. Was in der Zwischenzeit passiert ist, müssten seine Nachfolger beantworten. Tatsächlich jedoch wurde Steinmeier vor acht Jahren, als die große Koalition die Regierung übernahm, vom Kanzleramts- zum Außenminister befördert. Aus dem Aufseher der Geheimdienste wurde der Chef des Krisenstabs - und der ist bei Entführungsfragen stets eingeweiht. Sobald ein Deutscher verschleppt wurde - und das war während der großen Koalition etwa 40 Mal der Fall -, war er es, der das Gremium zusammenrief. Im Keller des Auswärtigen Amtes berieten Vertreter verschiedener Ministerien mit Polizisten und Geheimdienstlern über das Vorgehen.

Gerade in den ersten Stunden einer Entführung sind die Männer und Frauen vom Bundesnachrichtendienst gefragt. Sie müssen herausfinden, welche der oft widersprüchlichen Meldungen schlussendlich stimmt, wer entführt wurde und von wem. Die Nachrichtendienstler zapfen ihre Informanten an, sprechen Agenten vor Ort, sichten Satellitenbilder, hören Telefongespräche ab und sprechen mit befreundeten Diensten, zu denen - zumindest per Definition - auch die amerikanischen gehören.

Von "Heuchelei" ist keine Rede mehr

Besonders interessant sind für den Dienst die Mails und Telefonate der Geisel kurz vor der Entführung. Sie können Aufschluss geben über mutmaßliche Komplizen oder Motive der Täter. Sie könnten der Schlüssel sein für eine spätere Freilassung oder Befreiung. Des Öfteren soll der BND daher seine amerikanischen Freunde um eben diese Informationen gebeten haben. In der Regel bekam er dabei wohl aber keine Rohdaten, also keine konkreten Mails oder Telefonate, sondern nur Informationen, die aus solchen Formen der Kommunikation stammen. Die aber könnten eine Rolle gespielt haben bei den Verhandlungen mit den Geiselnehmern der im Irak entführten Archäologin Susanne Osthoff, zweier in Afghanistan gekidnappten Bauingenieure oder bei der Suche nach einer noch immer in Jemen vermissten Familie aus Sachsen.

Am Dienstag wich der vortags noch so forsche SPD-Mann Oppermann der Frage geflissentlich aus, ob nicht auch sein Parteikollege Steinmeier von Prism gewusst haben müsste. Stattdessen würdigte er die Zusammenarbeit der Dienste in Entführungsfällen als "vernünftig". Den Vorwurf der Heuchelei wiederholte er nicht mehr.

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