Roland Koch:Der Wählerversteher

Auf dem Parteitag der Hessen-CDU präsentiert sich ein geläuterter Roland Koch. Seine Rede ist unterhaltsam, doch mit inhaltlichen Debatten hält sich die CDU nicht auf.

Detlef Esslinger

Angeblich ist dies hier ein Parteitag. Der 101. in der Geschichte der hessischen CDU, wie es auf den Programmzetteln heißt, die auf den Tischen liegen. Eine Veranstaltung jener Art also, bei der nicht nur geredet, sondern diskutiert wird, bei der auch mal zwischen zwei Meinungen und zwei Kandidaten abgestimmt wird. Aber mit diesen Absichten ist niemand nach Hofheim gekommen; sollte dies tatsächlich einer vermutet haben, so wird ihm das Gegenteil bereits deutlich, noch bevor der Vorsitzende angefangen hat. Er braucht bloß ans Pult zu gehen, und schon erheben sich 327 Delegierte von ihren Plätzen und klatschen rhythmisch. Die Messe kann beginnen.

Roland Koch: Roland Koch, wiedergewählter Spitzenkandidat der CDU Hessen in modischem orangenen Schal

Roland Koch, wiedergewählter Spitzenkandidat der CDU Hessen in modischem orangenen Schal

(Foto: Foto: ddp)

Roland Koch ist ein Landeschef, den es nach allen Regeln des politischen Betriebs längst nicht mehr geben dürfte: Vor acht Jahren stand er im Zentrum der CDU-Schwarzgeldaffäre. Vor einem Jahr bei der Landtagswahl verlor er zwölf Prozent und jede Möglichkeit, eine Regierung zu bilden. Vor sechs Wochen saß er in seinem Büro in der Staatskanzlei und knipste Handyfotos, als seine Sachen eingepackt wurden. Und jetzt steht er vor einer Wahl, die er wohl nur dann noch verliert, falls er nackt über den Frankfurter Weihnachtsmarkt rennt. "Was war das für ein Jahr", sagt er, als könne er es selbst nicht fassen.

16 Minuten Programmdebatte

Er vermittelt den Eindruck eines Mannes, der verstanden hat. "Wähler irren sich nicht in solchen Größenordnungen", sagt er, zwölf Prozent minus, da könne man nicht so tun, als sei nichts passiert. Die von ihm losgetretene und dann nicht mehr beherrschte Debatte um Jugendkriminalität gab seiner Kampagne vor einem Jahr ja nur den Rest - nachdem viele Wähler bereits den Eindruck gewonnen hatten, Kochs CDU-Regierung entscheide über ihre Köpfe hinweg und habe überdies nichts mehr Neues zu bieten.

Nun kündigt er an, den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern. Nun legt er bei der Reform der Gymnasien Wert auf Konsens. Nun sagt er: "Zu Studiengebühren können wir nicht zurück", nachdem die rot-rot-grüne Landtagsmehrheit sie abgeschafft hat. Er sagt: "Wir können nicht dauernd mit dem Kopf gegen die gleiche Wand rennen." Zustimmendes Gelächter, Beifall. Die Formulierung ist eine Anspielung. Mit jenen Worten hatte im Sommer der damalige SPD-Chef Kurt Beck seine hessische Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti vor einem zweiten Anlauf zu Rot-Rot-Grün gewarnt.

Dort vorne am Rednerpult steht ein Politiker, der ziemlich sicher sein kann, dass es gleich nur darum geht, ob er 300 oder 310 von 313 Stimmen bekommen wird. Koch hat der hessischen CDU eine inzwischen zehnjährige Regierungszeit beschert, er ist der einzige CDU-Ministerpräsident in dem Bundesland, der je wiedergewählt wurde. Und den langen Weg aus fast fünfzigjähriger Opposition an die Macht schaffte die Partei sowieso nur, weil sie das Prinzip der Geschlossenheit nach außen perfektionierte.

Zudem ist Koch einer jener Redner, bei denen man nach zehn Minuten auf die Uhr schaut und bemerkt, dass schon eine halbe Stunde vorbei ist; vor ihm sprach CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, bei dem war es umgekehrt. Für den SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel fällt Koch die Bezeichnung "Ypsilantis Vertreter in der Öffentlichkeit" ein. Er sagt, das Verrückte sei, dass der Heckenschütze, der einst Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis ums Amt brachte, immer noch wohlbestallter Abgeordneter sei - während die vier SPD-Abgeordneten, die in Hessen mit offenem Visier agierten, ihre berufliche Existenz verloren hätten.

Vier Wochen sind es noch bis zur Neuwahl, niemand in dieser Stadthalle sieht die Notwendigkeit, sich mit Debatten aufzuhalten. Zahl der Wortmeldungen: vier - alle von Ministern. Um Viertel vor eins am Mittag beginnt der Generalsekretär des Landesverbands mit der Vorstellung des Wahlprogramms. Eine Minute nach eins ist es beschlossen. Zahl der Änderungsanträge: drei. Dann die Aufstellung der Landtagskandidaten. 112 Männer und Frauen müssen auf die Liste. Der Versammlungsleiter liest jeweils den Namen vor, sodann fragt er: "Vorstellung gewünscht?" Und 112 Mal gibt er selber die Antwort: "Nicht der Fall, auch nicht vom Kandidaten." Um 14 Uhr sind alle gewählt, Koch mit 304 Stimmen, die anderen jeweils "mit überwiegender Mehrheit"; wer es genauer wissen will, den verweist der Versammlungsleiter auf diesen Montag und aufs Internet. Nicht ein Einziger, der sich an so etwas stört.

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