Robert Habeck:"Der Kluge sucht die Offensive"

Robert Habeck: "Wir müssen begründen, warum Humanität und eine solidarische Gesellschaft einen Wert darstellen": Robert Habeck, neuer Chef der Grünen.

"Wir müssen begründen, warum Humanität und eine solidarische Gesellschaft einen Wert darstellen": Robert Habeck, neuer Chef der Grünen.

(Foto: Dominik Butzmann/laif)

Der Grünen-Vorsitzende erklärt, wie er mit Provokationen der AfD umgehen will, wie eine neue Sozialpolitik aussehen könnte und warum Heimat mehr ist als Schwarzbrot mit Honig.

Interview von Constanze von Bullion und Stefan Braun

Sein Arbeitszimmer in der Parteizentrale der Grünen ist gemütlich wie ein aufgelassenes Möbellager: Resopaltische, ältliche Telefone, ein Kronleuchter von der Vorvorgängerin. Robert Habeck, 48, steht neuerdings mit Annalena Baerbock an der Grünen-Spitze. Zum Interview kommt er per Taxi und rennt die Treppe hoch, aus der Tasche hängen verhedderte Kopfhörerkabel.

SZ: Herr Habeck, nach dem Ja der SPD zur großen Koalition haben Sie ein trauriges Lied ins Netz gestellt. Der Refrain heißt: immer die gleiche alte Platte. Sind Sie enttäuscht, dass die SPD jetzt doch regiert?

Robert Habeck: Als Bürger dieses Landes bin ich ehrlicherweise erst mal froh, dass wir eine Regierung haben, gerade mit Blick auf die weltpolitische Situation. Schauen Sie auf die Kriege, schauen Sie auf die drohenden Handelskriege - Deutschland muss seine Verantwortung jetzt wahrnehmen. Als Mensch mit politischer Leidenschaft erwarte ich dagegen wenig. Man wird sich im Kleinen verlieren und auf die großen Fragen keine Antworten geben. Aber nützt ja nix. Eine Neuwahl wäre das Eingeständnis eines Scheiterns der politischen Klasse gewesen.

Die Grünen wollen jetzt um flüchtige SPD-Wähler werben. Wie soll das gehen?

Zuallererst geht es um politische Leidenschaft. Die entsteht nicht durch den siebten Spiegelstrich auf Seite 13, sondern durch Auftreten: Hält man andere Meinungen aus? Redet man einladend oder ausgrenzend? Brüllt man jede Frage gleich mit einer Antwort nieder, nach dem Motto: Das haben wir schon alles 2007 beschlossen. Oder sagt man: Was 2007 vielleicht falsch war, könnte heute richtig sein, weil sich die Welt verändert. Zurzeit versuchen Annalena Baerbock und ich genau das.

Sie fordern gern radikale gesellschaftliche Veränderung. Was ist damit gemeint?

Es geht nicht mehr allein darum, die alte Industriegesellschaft ökologisch zu machen - was ja schon eine Riesenaufgabe ist. Wir werden ein völlig neues Verständnis von industrieller Produktion in Europa bekommen. Die Frage ist, wer das gestaltet. Ohne emissionsfreie Industrie werden wir keinen industriellen Kern haben. Und wir werden unsere Sozialpolitik grundlegend ändern müssen. Im dominierenden Weltbild sind die Menschen - radikal formuliert - in erster Linie Marktteilnehmer. Wie gut ein Leben ist, wie glücklich man sein darf, richtet sich im digitalen Kapitalismus allein am Erfolg als Marktteilnehmer aus.

Wo richtet sich Glück an Markterfolg aus?

Die Anzahl Ihrer Facebook-Freunde, Ihre Interessen, Ihre Beziehungen, die Art wie Sie lieben - alles wird in Wert gesetzt. Ihre Privatsphäre wird kapitalisiert. Dadurch gerät sie immer stärker unter Druck. Wenn Sie ein Buch gelesen haben und Amazon das weiß, dann werden sie so lange bombardiert, bis Sie ein zweites und ein drittes ähnliches Buch kaufen. So verengt sich unser Leben immer mehr auf das, was - durch Dritte definiert - den Markt stärken soll. Die Gereiztheit und Nervosität dringt bis ins Private ein. Die radikale Gegenantwort ist: Wir sollten nicht die Menschen als Marktteilnehmer denken, sondern wieder von Grundrechten der Teilhabe an der Gesellschaft ausgehen.

Was sagen Sie Menschen, deren Arbeit bald Computerprogramme verrichten?

In der Landwirtschaft sind in den letzten 100 Jahren etwa 95 Prozent der Arbeitsplätze weggefallen. Trotzdem haben wir heute fast Vollbeschäftigung. Hätten wir vor 150 Jahren gesagt, wir kriegen Reisebüros, wir kriegen Erzieherinnen, wir kriegen Pflegekräfte, hätten die gesagt: "Wat? Pflege? Das macht die Familie. Was sollen wir damit?" Die Digitalisierung wird viele Jobs fressen, nicht nur Hausmeister, Rasenmäherjobs, Fahrerjobs. Aber es werden neue Tätigkeiten entstehen. Und die politische Frage ist: Schaffen wir ein staatliches Garantiesystem, das es den Menschen ermöglicht, beruflich etwas Neues auszuprobieren? Tun wir das nicht und halten nur am Alten fest, kriegen wir ein Problem.

Wollen Sie Maschinen besteuern?

Wenn die Arbeit von Maschinen immer mehr zur Konkurrenz von Arbeit wird, die Menschen verrichten, dann ergibt es keinen Sinn, diese menschliche Arbeit durch hohe Steuern zu beschweren. Der Staat muss sich anderswo Finanzquellen erschließen. Er kann die ökologische Belastung der Umwelt in Rechnung stellen, ob beim CO₂ oder bei Pestiziden. Er kann Kapitalanhäufung besteuern oder auch neue Techniken, die den alten Sozialstaat aushöhlen. Es gibt den Vorschlag, dass, wer mit Maschinen sozialversicherungspflichtige Jobs ersetzt, dafür in die Sozialkassen einzahlen muss. Das Problem ist die Abgrenzung. Ihr Aufnahmegerät, das sie jetzt hier mitlaufen lassen, ersetzt ja eine Schreibkraft. Es könnte ja auch ein Kollege dabeisitzen, der Steno kann und mitschreibt. Die Grenze zu ziehen, ist hier schwer. Und eine Steuer auf Maschinen ist immer auch eine Steuer auf Fortschritt und bremst ihn. Da haben wir ehrlicherweise noch keine eindeutige Antwort.

Warum geht der neue Grünen-Chef Robert Habeck so sanft mit der AfD um?

Das tu ich nicht. Aber ich weiß auch, dass ich überzeugte Rassisten oder stramme Rechtsextreme nicht zurückgewinnen kann. Die sind nicht mehr erreichbar für den demokratischen Konsens. Wenn ich mir anschaue, was bei Twitter und Facebook los ist: Das sind sprachliche Verrohungen, die nicht mehr anschlussfähig sind an die politische Kultur, wie wir sie kennen. Es geht darum, diesen rechtsextremen Rand, den es vermutlich immer geben wird, nicht größer werden zu lassen. Aber es gibt auch Menschen, die fühlen, dass es unfair zugeht in der Gesellschaft. Und wir müssen aufpassen, dass sie nicht autoritären Rattenfängern aufsitzen.

Ist das nicht längst passiert? Der Rassismus dieser zweiten Gruppe wird lauter.

Ja. Es fällt mir jedes Mal schwer, nicht laut zurückzubrüllen. Aber damit wir nicht in Verhältnisse wie Österreich, Polen oder Ungarn abrutschen, müssen wir doch das linke und liberal-progressive Spektrum politisieren, begeistern und für Zusammenhalt sorgen. Wenn man auf jede Provokation der AfD eingeht, steht es immer 2:1 gegen einen. Die AfD stellt eine steile These auf. Dann wiederholt man sie, um sie zu entkräften. Es wird also immer doppelt so häufig gehört, was die andere Seite will. All die Talkshows über das Skandalöse der AfD haben nicht dazu geführt, dass die AfD schwächer wurde.

Also hält der Klügere den Mund?

Der Kluge sucht die Offensive aus eigener Kraft. Wir müssen begründen, warum Humanität und eine solidarische Gesellschaft stärker sind und einen Wert darstellen. Wir müssen positiv erklären, was gerade verhandelt wird, mit all den Schutzbedürfnissen, die Menschen einfordern.

Müssen die Grünen genauer hinsehen?

Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Ich bin der Auffassung, der Bund sollte genau prüfen, ob die AfD vom Verfassungsschutz überwacht werden muss. Die Grenze, an der die Grundfeste des Staates in Frage gestellt wird, ist an vielen Stellen überschritten. Jede sprachliche Entgleisung muss klar zurückgewiesen werden. Trotzdem ist die Aufgabe der Demokraten größer. Sie müssen den Teil der Gesellschaft halten, der aus Frustration droht, aus der demokratischen Mitte herauszutreten.

Ein Reizwort, das Ihre linke Basis aufregt, ist "Heimat". Was bedeutet es für Sie?

Heimat hat immer dann Renaissance, wenn das Heimweh am größten ist und wir Halt suchen. Es ist ein Versprechen eher als ein Ort. Und jeder versteht darunter etwas anderes. Heimat wird individuell aufgeladen mit Erinnerung an Kindheit, Landschaft, Liebe. Und hier öffnet sich ein Raum für linke Interpretationen. Heimat kann bedeuten, dass in einer Gesellschaft solidarisch miteinander umgegangen wird: dass Menschen sich mit ihrer Arbeit identifizieren können, dass es sozialen Zusammenhalt gibt und Räume, wo Menschen mit Menschen kommunizieren, ohne Stress und Leistungsdruck. Das wird in der Abkürzung dann irgendwann die Erinnerung, wie Schwarzbrot mit Honig geschmeckt hat, als wir als Kinder barfuß über den Strand gelaufen sind. Gemeint ist aber das Gefühl: Man fühlte sich geborgen. Und wir sind auf der Suche nach einer Politik, die Geborgenheit bietet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: