Rita Süssmuth:"Man kann den Kampf der Kulturen auch herbeireden"

Rita Süssmuth findet keinen Gefallen an der gegenwärtigen Integrationsdebatte. Sie kritisiert sowohl CSU-Chef Seehofer als auch Angela Merkel.

Thorsten Denkler

Rita Süssmuth, 73, empfängt in ihrem Berliner Büro Unter den Linden. Nur wenige Meter entfernt, auf dem gleichen Flur, befindet sich das Büro von Altkanzler Helmut Kohl. Er hat die CDU-Frau 1985 in die Politik geholt. Vier Jahre später gehörte sie zu denen, die versucht haben ihn zu stürzen. Von 1988 bis 1998 war Süssmuth Bundestagspräsidentin. Für Rot-Grün leitete sie 2001 bis 2002 die Zuwanderungskommission. Diese empfahl ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Es wurde nie umgesetzt.

Rita Suessmuth

Rita Süssmuth, 73, war von 1988 bis 1998 Bundestagspräsidentin und von 2001 bis 2002 Leiterin der Zuwanderungskommission von Rot-Grün. Sie ist Mitglied im Beirat des Forums für Interkulturellen Dialog e. V.

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Frau Süssmuth, Sie haben kürzlich gesagt, in der Integrationsdebatte sei jetzt genug geredet worden, jetzt müsse endlich gehandelt werden - und klangen dabei richtig erbost. Was macht Sie so wütend?

Rita Süssmuth: Ich will es so sagen: Wenn ich kanadischen Integrationspraktikern von unseren Schwierigkeiten erzähle, dann verstehen sie uns überhaupt nicht. Sie sagen mir: Natürlich ist Integration immer eine Herausforderung - aber uns macht das Spaß. Die Kanadier sehen Integration als Bereicherung, wir sehen sie überwiegend als Problem. Wir sind in den letzten Jahren entscheidend vorangekommen. Wir brauchen keinen Rückfall in alte, überholte Debatten, sondern zukunftbezogenes Handeln.

sueddeutsche.de: Das scheinen die Deutschen anders zu sehen.

Süssmuth: Wir haben einst lediglich befristet ungelernte Arbeitskräfte angeworben. Sie waren willkommen, sollten aber auch bitte wieder gehen, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden. Wir meinten, Deutschland müsse ein homogener Kulturraum bleiben. Das war die Vorstellung. Aber viele sind geblieben, Flüchtlinge sind in den neunziger Jahren hinzugekommen. Wir wurden eine multikulturelle Gesellschaft. Wir mussten dazulernen. Langsam beginnen wir, nicht nur die Defizite zu benennen, sondern auch die Potentiale und Chancen zu erkennen.

sueddeutsche.de: Chancen? CSU-Chef Horst Seehofer erklärt, der Islam gehöre nicht zum Grundgesetz. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel spricht von Integrationsverweigerern. Das alles mitten in der Debatte um ein erstaunlich erfolgreiches Buch von Thilo Sarrazin.

Süssmuth: Wir erleben zurzeit einen Rückschritt in der Debatte, allerdings einen inszenierten. Da wird behauptet, die Integration sei gescheitert. Tatsache ist: Gescheitert ist die Nichtintegration. Wir haben uns insgesamt in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig bis gar nicht um die Integration gekümmert. Erst seit wenigen Jahren legen wir Wert darauf, dass Kinder von Migranten Deutsch sprechen können, wenn sie in die Schule kommen. Erst seit Ende der neunziger Jahre machen wir überhaupt so etwas wie eine Integrationspolitik.

sueddeutsche.de: Deutschland schien seit dem Anwerbestopp 1973 integrationspolitisch nahezu stillzustehen.

Süssmuth: Wir haben es uns und den Migranten zu lange schwer gemacht, weil wir kein Konzept hatten. Stattdessen sagten wir: "Wir sind kein Einwanderungsland." Diese Versäumnisse holen uns heute an vielen Stellen ein. Die Migranten selbst haben es übrigens besser gemacht. Sie haben von Beginn an mehr zu ihrer Integration beigetragen als der Staat. Nicht alle, aber die Mehrheit.

"Mangelnde Perspektiven sind das Kernproblem"

sueddeutsche.de: Und das Ergebnis? Ihre Parteifreundin, die Kanzlerin Angela Merkel, erklärt Multikulti für gescheitert.

Süssmuth: Wer das sagt, muss aufpassen, welche Aussage gemacht wird. Im Ausland kommt die Botschaft an, wir wollten nichts Multikulturelles - als lehnten wir das ab. Dabei wollen wir weg vom Nebeneinander hin zu einem Miteinander. Dass wir eine bunte und multikulturelle Gesellschaft sind, das ist eine Tatsache. Wir wissen aber zu wenig übereinander. Das Bild, das wir von Türken haben, ist geprägt von unseren Vorstellungen über Südostanatolien. Das Bild der Muslime ist geprägt von den Taliban. Wir hätten uns viel früher mit den Kulturen vertraut machen müssen, die heute Teil unserer Gesellschaft sind. Wir akzeptieren inzwischen, dass wir ein Einwanderungsland sind - wenn auch weitgehend ohne Einwanderung. Aber wir verweigern uns - vor allem in der Bildung - der Tatsache der multikulturellen Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Was sind die Kernprobleme der Integration heute?

Süssmuth: Mit einem Wort: mangelnde Perspektiven. Zu viele, auch begabte Kinder von Migranten verbleiben auf der Hauptschule oder der Sonderschule. Die Zahl der Abiturienten unter ihnen steigt nur langsam. Aber wer bekommt von ihnen einen Ausbildungsplatz? Wer besucht tatsächlich eine Universität? Es sind viel zu wenige. Wie soll ich einen Hauptschüler zu guten Leistungen motivieren, wenn jeder sagt: "Du bekommst ohnehin keinen Job"? Warum sollte jemand an die Uni gehen, wenn er weiß, danach wird fast immer der deutsche Mitbewerber um eine Stelle bevorzugt? Am besten gelungen ist Integration am Arbeitsplatz. Da haben wir kaum Probleme. Integration gelingt immer da, wo jemand gebraucht wird.

sueddeutsche.de: Was löst es in Migranten oder Migrantenkindern aus, wenn die Politik ihnen das Gefühl gibt, im Grunde unerwünscht zu sein?

Süssmuth: Die einen werden sich trotzig hinstellen und sagen: "Jetzt erst recht!" Das kann aber nicht jeder. Wenn sie immer wieder gesagt bekommen, du bist "dümmer" als die anderen, deine Kultur und deine Gruppe ist "dümmer" als andere, dann wirkt das über die Jahre prägend. Ein Teil der Migranten hat auf diese Weise verlernt, an sich zu glauben, Vertrauen und Selbstvertrauen zu entwickeln.

sueddeutsche.de: Buchautor Sarrazin erklärt, wer Leistung bringt, wird auch gebraucht.

Süssmuth: Natürlich müssen sich auch Kinder von Migranten anstrengen. Aber in manchen Schulen sprechen zu viele Schüler kaum oder nur schlecht Deutsch. In solchen Brennpunkten muss mehr investiert werden. Wir bräuchten dort mehr und besser qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, mehr Sozialarbeiter, mehr Projekte, um die Kinder und Jugendliche zu gewinnen. Wo wir das tun, da haben wir erhebliche Erfolge.

"Wir reden zu wenig über die Erfolge"

sueddeutsche.de: Und dann ist alles gut?

Süssmuth: Noch lange nicht. Aber das ist ein Anfang. Die Hälfte aller ausländischer Studenten, die ein Studium in Deutschland aufnehmen, hat keinen Studienerfolg. Jüngste Studien zeigen: Das hat weniger mit Sprachproblemen oder mangelnder Intelligenz zu tun - es ist schlicht soziale Isolation, fehlende Zugehörigkeit.

sueddeutsche.de: Wie kann jenen eine Perspektive gegeben werden, die sich innerlich schon mit Hartz IV abgefunden haben?

Süssmuth: Der Unternehmer Michael Otto gibt vielen anderen ein gutes Beispiel: Er lässt Jugendliche kommen, die grottenschlechte Zeugnisse haben. Er fragt sie dann, was sie können. Und viel zu viele antworten: nichts. Diese jungen Menschen sind strukturell demotiviert. Sie sind nur zu gewinnen, wenn jemand ihnen das Gefühl gibt, dass sie doch etwas können. Sie müssen Erfolgserlebnisse haben und vor allem die Perspektive, das Anstrengung auch belohnt wird. Bildung ist ein wichtiger Grundstein. Aber ohne Erfolg nutzt auch Bildung nicht viel.

sueddeutsche.de: Diejenigen, die von gescheiterter Integration sprechen, vermitteln den Eindruck, als wären Schulversager und Integrationsverweigerer der Normalfall und alles andere die Ausnahme.

Süssmuth: Die große Mehrheit ist integriert. Das Zusammenleben klappt in Deutschland wesentlich besser als in vielen anderen europäischen Ländern. Die Zivilgesellschaft, die Nachbarn, die Migranten selbst haben eine Menge dazu beigetragen, dieses Zusammenleben gedeihlich zu gestalten. Über diese Erfolge reden wir zu wenig. Kürzlich traf ich eine muslimische Frau. Sie sprach nur schlecht Deutsch und arbeitet als Putzfrau. Sie erzählte mir, dass alle ihre Kinder studieren. Sie habe jetzt 14 weitere Frauen beisammen, die zusammen Deutsch lernen wollen. Sie haben auch einen Raum. Nur ein Lehrer und dessen Finanzierung fehlt ihr.

sueddeutsche.de: Das widerspricht der weitverbreiteten These, dass es speziell unter Türken nur einen schwach ausgeprägten Aufstiegs- und Bildungswillen gäbe.

Süssmuth: Ich dachte, wir hätten das längst hinter uns. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir heute wieder nach den Genen fragen - und den angeblich begrenzten Möglichkeiten, das Vererbte zu verändern. Ich hoffe, damit ist bald wieder Schluss. Wir brauchen mehr Wertschätzung und weniger Herabsetzung. Ich warne davor, bestimmten Gruppen gleichsam ethnisch bestimmte Verhaltensweisen zuzuschreiben. Die große Mehrheit der Migranten hat oft höhere Bildungswünsche als wir. Und diejenigen, die wir als Problemfälle erleben, die können oft einfach nicht oder haben es nicht gelernt. Natürlich haben Menschen größere Schwierigkeiten, einen Bildungsweg einzuschlagen, wenn sie aus bildungsferneren sozialen Umwelten kommen. Das hat nichts mit der Ethnie, sondern mit der Herkunftskultur zu tun und in noch engerem Sinne mit der Herkunftsfamilie. Die Probleme von Kindern aus bildungsfernen deutschen Familien sind kaum andere.

"Nicht jeder Schulabbrecher ist für immer verloren"

sueddeutsche.de: Ist der Integrationsverweigerer nur eine Mär, eine Erfindung von Leuten wie Sarrazin und Gabriel?

Süssmuth: Nein, die gibt es schon. Aber wir wissen nicht, wie groß diese Gruppe ist. Manche leiten sie von der Zahl derer ab, die Integrationskurse abbrechen. Aber das sind ja oft keine Bildungsunwilligen. Mal kommt die Geburt eines Kindes dazwischen, mal hat einer plötzlich Arbeit gefunden. Und nicht jeder Schulabbrecher ist für alle Zeit verloren. Manche machen den Abschluss später nach.

sueddeutsche.de: Immerhin scheint die Debatte jetzt dazu zu führen, dass im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse besser anerkannt werden. Wann haben Sie zuletzt einen Taxifahrer mit Diplom getroffen?

Süssmuth: Laufend. Ich frage ja auch jeden Taxifahrer. Physiker, Mathematiker, Ärzte. Es ist alles dabei.

sueddeutsche.de: Können diese Menschen den Fachkräftemangel in Deutschland beheben?

Süssmuth: Ich bin da vorsichtig. Viele üben ihren alten Beruf ja schon lange nicht mehr aus - was nicht an den Menschen liegt, sondern daran, dass wir ihnen nicht die Möglichkeit dazu gegeben haben.

sueddeutsche.de: Aber Sie sollten mehr können, als nur Taxi zu fahren?

Süssmuth: Auf jeden Fall. Schauen Sie sich viele Afrikaner in Deutschland an. Wir halten sie für bildungsschwach. Aus dem Mikrozensus wissen wir: Weit mehr als zwei Drittel haben einen Hochschulabschluss. Wir sehen sie als "Ungelernte", weil wir befürchten, sie könnten Deutsche von ihren Arbeitsplätzen verdrängen.

sueddeutsche.de: Stimmt das Argument?

Süssmuth: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich komme auf den Anfang zurück: Die Nichtintegration dieser Menschen kostet uns viel mehr - sozial, kulturell und ökonomisch -, als wenn wir sie von Beginn an auf dem Arbeitsmarkt zulassen und ihre mitgebrachte berufliche Qualifikation in wenigen Monaten überprüfen und anerkennen würden.

"Wir brauchen einen Systemwechsel"

sueddeutsche.de: Andere machen sich Sorgen um die Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem.

Süssmuth: Auch diese Sorge kann ich nicht teilen. Die Leute kommen nicht zu uns, um Hartz IV zu beziehen. Sie kommen her, um zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen. Wer will ihnen das verdenken? Aber man stelle sich vor, wir hätten alle Zuwanderer unmittelbar darauf geprüft, was sie können, welche Fähigkeiten sie haben und sie entsprechend am Arbeitsleben teilhaben lassen. Wir hätten heute weniger Sozialkosten und die Wirtschaft stünde noch besser da. Wir haben jahrelang mit mehrjährigen Arbeitsverboten politisch reagiert, auch jetzt besteht noch ein einjähriges Arbeitsverbot für Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten.

sueddeutsche.de: Sie und weite Teile der Wirtschaft fordern eine gesteuerte Zuwanderung von Hochqualifizierten, am besten mit einem Punktesystem. Rein darf, wer eine bestimmte Punktezahl überschreitet, in der sich die unterschiedlichen Fähigkeiten einer Person widerspiegeln. Aber wer will überhaupt in ein Land kommen, dessen Sprache schwierig ist - und das Zuwanderer nicht gerade mit offenen Armen empfängt?

Süssmuth: Deutschland scheint prinzipiell attraktiv genug zu sein. Das Problem sind unsere rigiden Zuwanderungsregeln. In den Jahren der Green Card kamen mehr Hochqualifizierte zu uns als heute. Die Green Card war einfacher zu verstehen. Heute sind die Regeln zu kompliziert und die Hürden zu hoch. Nehmen sie nur die Grenze, wie viel man mindestens im Jahr verdienen muss: Die liegt heute bei 66.000 Euro, in den Niederlanden bei 49.000 Euro und 30.000 bis 35.000 bei fachlich gut ausgebildeten. Unsere Botschaft ist diffus. Wir sagen denen, die kommen wollen: "Kommt her, aber bleibt dabei bitte weit, weit weg!" Mit der Folge, dass heute genauso viele das Land verlassen, wie zu uns kommen. Das Problem: Es gehen mehr Hochqualifizierte, als neue hinzukommen. Deutschland ist heute ein Auswanderungsland.

sueddeutsche.de: Innenminister Thomas de Maizière lehnt Ihr Punktesystem ab. Er will höchstens am bestehenden System Korrekturen vornehmen.

Süssmuth: Das wird nicht reichen. Wir brauchen einen Systemwechsel, um Zuwanderung bedarfsgerecht steuern zu können. Die Qualifikation muss das entscheidende Merkmal sein. Die kann sich am Bedarf des Arbeitsmarktes orientieren. Aber auch an der Frage, wie viel Zuwanderung wir brauchen, um in einer alternden und geburtsschwachen Gesellschaft Impulse für ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte und Innovation setzen zu können.

sueddeutsche.de: Die CSU und viele in der CDU wollen zunächst die hier Lebenden qualifizieren. Erst im zweiten Schritt wollen sie über Zuwanderung nachdenken.

Süssmuth: Wir brauchen beides zugleich. Nehmen sie Landstriche in Ostdeutschland oder auch einige Ruhrgebietsstädte, in denen die Einwohnerzahlen heute schon dramatisch rückläufig sind. Da brauchen wir Menschen, die mit neuen Ideen solche Gegenden beleben, Arbeitsplätze erhalten und schaffen können. Die finden wir heute in ausreichendem Maße nur über ergänzende und gesteuerte Zuwanderung.

"Muslime stehen ständig unter Beweisdruck"

sueddeutsche.de: Der einstige Bundesbanker Sarrazin hat ja auch deshalb so viel Erfolg mit seinem Buch, weil er die Sorge der Menschen aufgreift, bald Fremde im eigenen Land zu sein.

Süssmuth: Ich beginne mit dem Vorurteil, die Muslime hätten ganz viele Kinder. Das stimmt zunächst. Was aber nicht gesehen wird ist: Die Kinderzahl pro Familie passt sich zunehmend dem Aufnahmeland an. Die Frage der Überfremdung lässt sich aber weder an Geburtenzahlen der Muslime noch an ihrer Zuwanderung festmachen. Unsere Angst vor Überfremdung ist zum Teil Ausdruck unserer eigenen Identitätsschwäche. Wir haben allen Grund offensiv für unsere Kultur und Freiheitsordnung einzutreten.

sueddeutsche.de: Woran mache Sie fest, dass die Sorge vor Überfremdung unbegründet ist?

Süssmuth: Daran, wie wir miteinander umgehen. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Insbesondere die ersten 19 Artikel unsere Grundgesetzes gelten für alle Menschen, die hier leben. Es gibt kaum Migranten, die das in Frage stellen. Wir sollten anerkennen, dass diejenigen, die hier leben wollen, in der Regel die gleichen Werte teilen, wie wir es tun. Überfremden würde ein Land nur, wenn hier Kulturen unvereinbar gegenüberstehen würden. Das ist nicht der Fall.

sueddeutsche.de: Islamkritiker würden Ihnen jetzt die sogenannten Ehrenmorde sowie die Zwangsehen vorhalten und das Militante des islamischen Glaubens.

Süssmuth: Sie sind nicht zu akzeptieren oder auch nur zu dulden. Die meisten Muslime, die hier leben, wollen das auch nicht, wissen um die Konflikte und leiden darunter. Auf den Koran kann man sich dabei nicht berufen. Muslime aber stehen ständig unter Beweisdruck, dass sie es ernst meinen, wenn sie sagen, sie leben gerne hier. Gerade Religiöse weisen häufiger darauf hin, dass sie gegen Gewalt, gegen die Verletzung von Menschenrechten sind. Das ist ein gefährliches Spiel.

sueddeutsche.de: Islamkritiker werden nicht müde, die Religion als militant und undemokratisch darzustellen.

Süssmuth: Man kann den Kampf der Kulturen auch herbeireden und alles auf die Religion schieben. Das haben wir auf dem Balkan sehr eindrücklich erlebt. Nehmen wir den Migranten doch einfach ab, dass sie hier mit uns leben wollen nach den Regeln, die für alle gelten. Wir müssen das Verbindende entdecken und uns fragen: Wie lange gilt eigentlich einer mit deutschem Pass noch als Migrant? Die meisten Deutschen haben doch Vorfahren, die nicht als Deutsche geboren wurden. Wir sollten nicht ständig das Fremde in dem anderen suchen. Bei allen Unterschieden: Uns verbindet das Menschliche, die Würde des Einzelnen.

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