Kursstreit in der CDU:Vor lauter Mitte die Fransen vergessen

Papier gegen Papier - erst legen die Konservativen eines vor, jetzt die CDU-Stadtpolitiker. Es klingt, als kämen sie aus unterschiedlichen Parteien. Die einen wollen Kernwähler mobilisieren, die anderen moderner werden. Der Streit wäre unnötig, würde Kanzlerin Merkel ihren Job gut machen und selbst hin und wieder die Richtung vorgeben.

Thorsten Denkler, Berlin

Kabinett

Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich mit den zwei Flügeln ihrer Partei auseinandersetzen.

(Foto: dapd)

Nicht, dass Kanzlerin Angela Merkel zu wenige Probleme hätte. Sie muss gerade den Euro, ach was, ganz Europa retten. Und zu Hause in Berlin zoffen sich ihre Schäfchen über den richtigen gesellschaftspolitischen Kurs der CDU. Innerhalb weniger Wochen haben die stramm Konservativen aus dem Berliner Kreis und eine "Arbeitsgruppe Stadtpolitik" zwei Grundsatzpapiere vorgelegt. Und die haben so absolut unterschiedliche Ansätze, dass der Eindruck entsteht, ihre jeweiligen Mitstreiter gehörten völlig unterschiedlichen Parteien an.

Gestern erst wurde das Papier der CDU-Stadtpolitiker bekannt. Es ist eine ziemlich gnadenlose Abrechnung mit dem verstaubten Image, das die CDU in urbanen Gegenden hat. In "wichtigen wegweisenden Diskursen der Stadtgesellschaft" komme die CDU "nicht vor", setze keine Themen und gestalte keine Diskussionen, lautet das verheerende Urteil. Veränderung nehme die CDU nicht wahr. Die große und wachsende Zahl der Singlehaushalte etwa sei in der Programmatik der CDU ein "blinder Fleck". Die traditionellen Verknüpfungen mit Gruppen wie der katholischen Arbeitnehmerbewegung oder dem Kolpingwerk hätten sich in den Städten gelöst. Ersatz gebe es nicht. "Wir haben den Anschluss an wichtige Multiplikatoren und gemeinwohlorientierte Interessengruppen weitgehend verloren."

Nicht zuletzt sei die öffentliche Wahrnehmung der CDU in den Städten "allzu häufig exklusiv mit den Themenfeldern Sicherheit und Ordnung und einer konservativen Grundausrichtung verbunden und spricht damit eher ältere Wählerschichten an". Ganz unverhohlen wünschen sich die Autoren eine stärke Orientierung an den Grünen, die in den Städten Erfolg um Erfolg feiern - zuletzt hat der Grüne Fritz Kuhn die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart gewonnen.

Soweit das Papier der Städter. Ganz anders sieht die Sache der Berliner Kreis. Die Konservativen setzen auf althergebrachte Grundwerte wie "Ehe und Familie als Grundlage der Gesellschaft", die "christlich-abendländische Kulturtradition", die "Liebe zum eigenen Land". Sie sind gegen die Abschaffung des Ehegattensplittings, für das Betreuungsgeld, gegen Mindestlöhne, gegen Frauenquoten, setzen dafür auf die Stammwähler, die sich angesichts des Modernisierungskurses der vergangenen Jahre von der CDU abgewandt haben.

Ihr Ziel sind 40 Prozent plus x bei der nächsten Bundestagswahl. Das könne nur gelingen, wenn die Stammwähler an die Urnen geholt werden. Diese Strategie könnte sich allerdings als wenig zukunftsträchtig erweisen. Die Konservativen verkennen dabei, dass diese Stammwähler in der Regel über 60 Jahre alt sind und nicht gesagt ist, dass die kommende Generationen der 60-Jährigen genauso denkt und auch wieder CDU wählt.

Das Problem für beide Gruppen ist: So sehr die Stadtpolitiker authentische Köpfe vermissen, die ihre Sache vertreten, so sehr vermissen die Konservativen ihrerseits prominente Fürsprecher.

Es fehlen die Köpfe

Petra Roth und Ole von Beust, durchaus erfolgreiche Stadtchefs der CDU, sind längst nicht mehr im Amt. Sie galten auch immer irgendwie als Sonderlinge der Partei. Mit den Grünen hatten beide keine Berührungsängste. Ihre Drogenpolitik war eher gemäßigt. Sie haben im politischen Gegner nicht gleich den Klassenfeind gesehen.

Die Matadore der Konservativen sind ebenso verschwunden. Roland Koch, Stefan Mappus, Friedrich Merz. Alle abgewählt oder von Merkel weggebissen. Verblieben ist noch Volker Kauder, Chef der Unions-Bundestagsfraktion. Nur dass der bei jeder Gelegenheit erklärt, die CDU sei gar keine konservative Partei. Als wenn er sich schon für den Begriff schämen würde.

In ihrem öffentlichen Auftreten ist die CDU nur noch Mitte. Ganz wie es Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag 2007 in Hannover verkündet hat: "Hier in der Mitte sind wir - und nur wir." Konnte ja keiner ahnen, dass sie damit auch die überlebenswichtigen Fransen rechts und links abschneiden würde.

Dabei braucht es beide Seiten, um Volkpartei bleiben zu können. Der über Jahrzehnte anhaltende Erfolg der CSU war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sie genauso derb-krachend konservativ auftreten konnte wie sozial mitfühlend.

Eine Strategie aber, wie die CDU diesen Zustand erreichen könnte, hat Merkel nicht auf den Weg gebracht. Sie hat an der Debatte nicht mal ein erkennbares Interesse. Eine wegweisende und grundsätzliche Positionierung ist von ihr nicht bekannt. Ihr Ziel ist allein, die Kanzlerschaft für die CDU zu verteidigen. Anders wäre auch eine Strategie wie die "asymmetrische Demobilisierung" kaum zu rechtfertigen. Die zielt vor allem darauf ab, dem Gegner keine Angriffsfläche zu bieten, damit deren Wähler zu Hause bleiben. 2009 hat das vorzüglich geklappt. 2013 will Merkel das offenbar wiederholen.

Den Mitgliedern des Berliner Kreises stinkt das gewaltig. Sie wollen mit offenem Visier in den Wahlkampf ziehen. "Als Berliner Kreis wollen wir unmissverständlich sagen, wofür die Union steht." Eine "asymmetrische Wählerdemobilisierung führt nicht zum Ziel", schreiben sie.

Das bedeutet aber auch: Die Städte würden aufgegeben. Philipp Mißfelder, CDU-Präsidiumsmitglied, Kohl-Fan und Chef der Jungen Union ruft gar dazu auf, "eben in Kauf" zu nehmen, "in einschlägig linken Gegenden manchmal lediglich 15 Prozent zu holen". Das lasse sich "verschmerzen", wenn gleichzeitig in bürgerlichen Stadtteilen über 40 Prozent oder im ländlichen Raum 65 Prozent erreicht würden. Von Modernisierung, so scheint es, haben die Konservativen erst mal die Nase voll.

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