Richter im NSU-Prozess:Ein Mann wie ein Paragraf

Manfred Götzl, Oberlandesgericht München, NSU-Prozess

Harter Hund, paragrafenfester Jurist: Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Er gilt als beschlagener Jurist und "Wahrheitssuchender", aber auch als harter Hund. Manfred Götzl soll als Vorsitzender Richter das verwickelte NSU-Verfahren vorantreiben. Das Gespür für die Dimension dieses Prozesses scheint ihm jedoch zu fehlen.

Von Annette Ramelsberger

Manfred Götzl ist es nicht gewohnt, dass man ihm widerspricht, und er schätzt es auch nicht. Er kann, wenn jemand Widerspruch wagt, sehr aufbrausend reagieren. Man wäre deshalb am Freitag gern dabei gewesen, als Götzl erfuhr, dass das Bundesverfassungsgericht ihm öffentlich widersprach und verfügte, er habe mindestens drei Plätze für ausländische Medien in seinem Gerichtssaal zur Verfügung zu stellen.

Die Schockwellen seines Temperaments erreichten am Montagnachmittag die Öffentlichkeit. Götzl ließ mitteilen, er werde den lange erwarteten Prozess kurzerhand um drei Wochen verschieben. Auf den 6. Mai. Der Vorsitzende Richter Götzl entschloss sich, das Akkreditierungsverfahren für die Medien völlig neu aufzurollen. Als ob er den obersten Verfassungswächtern in Karlsruhe sagen wollte: Wenn ihr es schon anders haben wollt als ich, dann könnt ihr das haben. Dann aber wirklich ganz genau.

Manfred Götzl, 59 Jahre alt, Vorsitzender des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München, wird den Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) leiten, den wichtigsten Prozess der jüngeren deutschen Geschichte. Er sitzt, so heißt es, seit Weihnachten und selbst an Wochenenden nur noch über den Akten.

Allein die Anklageschrift ist 488 Seiten lang. Der Prozess bedarf einer ordnenden Hand, die die Aufklärung von zehn Morden, einer Brandstiftung und 15 Banküberfällen vorantreibt. In diesem Prozess sind nicht nur Ordnung und die Kenntnis der Strafprozessordnung wichtig - gefragt ist auch Gespür: für die Aufregung und Betroffenheit der Opfer, die zu Dutzenden im Gerichtssaal sein werden, auch für das internationale Interesse und die politischen Fallstricke.

Plötzliche Wutausbrüche

Doch die Ereignisse in München haben bereits vor dem Prozess die Bundesregierung in Wallung gebracht, die Medien in Verzweiflung gestürzt und die Beziehungen zur Türkei belastet. Nicht schlecht für den Anfang.

Dass Richter Manfred Götzl ein harter Hund und paragrafenfester Jurist ist, hat er in sieben Jahren als Schwurgerichtsvorsitzender bewiesen, in denen er zum Beispiel die Morde an dem Modeschöpfer Rudolph Moshammer und an der Parkhausmillionärin Charlotte Boehringer verhandelte, aber auch den NS-Kriegsverbrecher Josef Scheungraber und die Islamisten von der Global Islamischen Medienfront GIMF verurteilte.

Götzl ähnelt manchmal einem Vulkan, plötzlich und unerwartet bricht er aus. Das kann selbst Gutwillige treffen. In dem GIMF-Verfahren hatte ein Experte vom Bundeskriminalamt eine Stunde lang vorgetragen, was auf den blutrünstigen Kopf-ab-Videos zu sehen ist. Er hatte all die Szenen zusammengefasst, bei denen es einem übel werden kann; so konnte sich das Gericht das Betrachten des kompletten Videos ersparen.

Nach einer Stunde war der Mann heiser geworden. Er griff zu einer Wasserflasche und nahm einen Schluck. Richter Götzl explodierte: Was der Zeuge sich erlaube? Wenn er Durst habe, solle er um eine Pause bitten und trinken. Aber doch nicht einfach so. "Die Flasche geht vom Tisch" befahl er - so erinnern sich Prozessbeteiligte. "Und wie der Leuchtkegel eines Wachturms strich sein Blick auch über die Tische der Verteidiger." Es gab welche, die ließen ihre Flasche oben.

Im NSU-Verfahren entscheidet: Richter Götzl

Manfred Götzls Wutausbrüche treffen Zeugen, Rechtsmediziner und Psychiater. Einmal faltete er den bekannten Psychiater Norbert Leygraf zusammen, als ihm ein Gutachten als zu oberflächlich erschien. Nachlässigkeiten duldet er nicht. Er gilt als akkurat und detailversessen, als "Wahrheitssucher", wie ihn der Münchner Rechtsanwalt Steffen Ufer im Bayerischen Rundfunk nannte.

Der Mann weiß, dass er juristisch sehr beschlagen ist und lässt das andere spüren. Götzl kann unnahbar wirken, seine Stimme wird oft schneidend. "Er fordert Unterwerfung", sagt ein Verteidiger, der ihn in früheren Verfahren erlebt hat.

Man kann sich gut vorstellen, dass sich Götzl durch die Kritik daran, dass er keine türkischen Journalisten im Saal für den NSU-Prozess zuließ, sogar bestärkt fühlte. Getreu dem Motto: Wer die Paragrafen kennt, muss sich doch sonst keine Gedanken machen. So erklärte er dem türkischen Botschafter, er könne gerne zum Prozess kommen - er müsse sich eben anstellen wie alle anderen. Rechtlich ist das völlig korrekt, ein Preis in Diplomatie ist damit nicht zu gewinnen.

Auch für die Journalisten, die zugelassen wurden, hat sich der Mann besondere Vorschriften ausgedacht. Wer im Gerichtssaal ist, darf nicht raus, um zu berichten - oder er verliert sofort seinen Platz. Wer draußen ist, um zu berichten, weiß nicht, was drinnen los ist. Ein interessantes Verständnis von Öffentlichkeit und freier Berichterstattung.

Götzl zieht seine Prozesse durch

In anderen Fällen zeigte sich der Richter durchaus auch fürsorglich. Einem Angeklagten, der schlecht hörte und deshalb die Fragen des Richters nicht verstand, besorgte er Batterien für sein Hörgerät. Götzl sammelte die Batterien nach jeder Verhandlung wieder ein, damit sie auch beim nächsten Mal noch funktionierten.

Prozesse mit Götzl sind zumindest nicht langweilig. Angeklagten rät er, sie sollten "nicht in Selbstmitleid zerfließen", er herrscht sie an, er wolle "keinen Blödsinn" hören, "keine Märchen". Selbst Tumulte im Sitzungssaal steht Manfred Götzl ungerührt durch.

Als er im Boehringer-Prozess den jungen Neffen der Parkhausmillionärin wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte, sprang der Verurteilte auf und schrie Götzl an: "Sie sind es nicht würdig, dass man Ihnen zuhört. Schämen Sie sich." Götzl machte weiter. Der Verteidiger des Angeklagten stand auf und legte mitten in der Urteilsbegründung seine Robe ab. Götzl machte weiter.

Ob sich Manfred Götzl denn nach dem Debakel um die Akkreditierung mit den betroffenen Journalisten beraten werde, wie die Plätze am besten zu verteilen seien, fragte ein Journalist am Montag. Die Sprecherin des Oberlandesgerichts erwiderte: "Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu prophezeien, dass der Vorsitzende das entscheiden wird - und sonst niemand."

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