Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl:In Feindschaft verbunden

Richard von Weizsäcker wird 90

Bundeskanzler Helmut Kohl (links) und Richard von Weizsäcker (beide CDU) bei der Wahl Weizsäckers zum Bundespräsidenten 1984.

(Foto: dpa)
  • Ex-Kanzler Helmut Kohl hatte Richard von Weizsäcker in die aktive Politik geholt. Als dieser allerdings Bundespräsident werden wollte, musste er sich gegen den Widerstand seines einstigen Förderers durchsetzen.
  • Der endgültige Bruch zwischen beiden Männern vollzog sich in der Wendezeit. Weizsäcker war für die deutsche Einheit. Aber nicht in dem Tempo, das Kohl vorgab.
  • Kohl hatte die Macht. Weizsäcker das Ansehen. Ein Unterschied, der Kohl zu schaffen machte.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Ein Montag im September 1997. Die Bundestagfraktion von CDU und CSU kommt in ihrem Sitzungsaal im Bonner Bundeshaus zusammen. Kanzler Helmut Kohl ist mal wieder sauer. "Dieser Herr", spöttelte er, der gehöre ja ohnehin "nicht mehr zu uns".

Mit diesem Herrn meinte Kohl keinen geringeren als seinen Intimfeind Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Den Mann, den er für die Politik entdeckt hatte. Zwischen 1984 und 1994 bekleideten beide die höchsten Ämter der Bundesrepublik und im wiedervereinigten Deutschland. Es war eine Zeit der Entfremdung.

Einst hatte Kohl den zehn Jahre älteren Weizsäcker noch heftig umworben. Als Fraktionschef der CDU im Landtag von Rheinland-Pfalz besuchte Kohl ihn in Ingelheim. Er wollte ihn davon überzeugen, 1965 für den Bundestag zu kandidieren. Weizsäcker lehnte ab mit Verweis auf andere Verpflichtungen.

Kohl ließ nicht locker. Ein Jahr später platzierte er Weizsäcker im Bundesvorstand der CDU. Ende 1968 bat Kohl ihn erstmals, sich für das Amt des Bundespräsidenten zu bewerben. Weizsäcker machte mit, konnte sich aber im CDU-internen Wettbewerb nicht durchsetzen.

Chancenlos gegen Walter Scheel

Das Angebot aber entfachte Weizsäckers Ehrgeiz. Der Einzug in die Villa Hammerschmidt, den damaligen Bonner Amtssitz des Bundespräsidenten in direkter Nachbarschaft zum Bundeskanzleramt, wurde zu seinem Lebenstraum. Er ging 1969 doch noch in den Bundestag.

1974 versuchte er erneut, sich seinen Traum zu erfüllen. Weizsäcker war allerdings chancenlos gegen Walter Scheel, den Kandidaten des sozial-liberalen Lagers.

Fünf Jahre später hätte er eine Mehrheit finden können in der Bundesversammlung. Aber Kohl überließ das Amt lieber Karl Carstens. Frustriert trat Weizsäcker in West-Berlin als Spitzenkandidat der CDU an. Es reichte nicht, Weizsäcker ging zurück nach Bonn, wurde Bundestagsvizepräsident. Die vorgezogenen Neuwahlen in Berlin 1981 gewann er dann deutlich.

Kohl wird misstrauisch

Kohl war damals schon misstrauisch geworden. Zu oft hatte Weizsäcker ihn düpiert, etwa seine Ostpolitik kritisiert. Früh wandte sich Weizsäcker gegen die Hallstein-Doktrin, wonach es keine internationalen Verträge mit Ost-Berlin geben dürfe. Später zog er den Zorn vieler in der Union auf sich, weil er sich für die Ratifizierung der Ost-Verträge aussprach.

Der Wahl-Erfolg in Berlin und seine schon damals überaus große Beliebtheit in der Bevölkerung machten es möglich, dass Weizsäcker bereits 1984 - diesmal gegen Kohls Willen - für das höchste Staatsamt kandidieren konnte. Mit Erfolg.

Weizsäcker glänzte in seinem neuen Amt. Er war ein Bundespräsident wie aus dem Bilderbuch. Redegewandt, sicher auf jedem Parkett. Ein Mann von Welt, klug, neugierig und charmant. In vielen Punkten eben das genaue Gegenteil von Helmut Kohl.

Kohl hatte Macht, Weizsäcker Ansehen

Die Weizsäckers sind eine Familie von Gelehrten und hohen Staatsbeamten, von Theologieprofessoren, Universitätsrektoren und hohen Offizieren. Sein Großvater war Ministerpräsident im Königreich Württemberg. Sein Vater war Diplomat, Staatssekretär und Offizier zur See. Weizsäcker studierte in Oxford und Grenoble. Im traditionsreichen Potsdamer Infanterieregiment 9 erhielt er seinen "preußischen Schliff zum Wehrmachtssoldaten", wie die FAZ einmal schrieb.

Weizsäcker hielt sich während des Zweiten Weltkrieges im Umfeld der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 auf. Überliefert ist diese Anekdote: Weizsäcker soll vor Leningrad mit jungen Offizieren zusammengesessen haben. Ein hitziger Streit bricht los. Einer der Offiziere steht auf, schießt auf ein Bild von Hitler, das an der Wand hängt. Sofort ist Ruhe. Das bedeutet eigentlich das Todesurteil für den Schützen.

Weizsäckers Reaktion: "Ehe wir darüber nachdenken, was man jetzt tun kann, schießen wir erst mal alle drauf, damit es nicht nur einer gewesen ist." Auf seinen Schuss hin schießen auch die anderen. So berichtet die Journalistin und langjährige gute Freundin Weizsäckers, Marion Gräfin Dönhoff, die ihr von einem der Offiziere überlieferte Geschichte.

Eine große Rede zum Tag der Befreiung vom Hitler-Regime

Und Kohl? Der Sohn eines Finanzbeamten und einer Hausfrau wurde 1944 mit 14 Jahren zu einem Löschtrupp eingezogen. In Machtfülle war Kohl Weizsäcker immer überlegen. In Ansehen und Reputation steht er ihm bis heute nach. Kohl hat darunter gelitten. Weizsäcker habe sich selbst stets "für den Klügsten, Besten und Allermoralischsten" gehalten - und für einen der "bedeutendsten Männer der Gegenwart", soll Kohl über Weizsäcker gesagt haben.

Untermauert hat Weizsäcker diese sicher nicht unzutreffende Beschreibung mit seiner großen Rede zum Tag der Befreiung vom Hitler-Regime am 8. Mai 1945. Ein jeder habe wissen müssen, "dass die Deportationszüge rollten". Er war der erste Bundespräsident, der den Tag der Kapitulation als "Tag der Befreiung" bezeichnete. Die Rede fand weltweit Beachtung.

Kohl hingegen ließ eine Debatte über sein Geschichtsverständnis zu, weil er kurz zuvor US-Präsident Ronald Reagan auf dem Soldaten-Friedhof in Bitburg zu einer Ansprache überredete. In Bitburg liegen auch ehemalige Angehörige der berüchtigten Waffen-SS.

Bei der deutschen Einheit war Weizsäcker zögerlicher

Erst mit der deutschen Einheit überflügelte Kohl Weizsäcker zwischenzeitlich auch im Ansehen. Als Kanzler der deutschen Einheit sollte er in die Geschichte eingehen. Weizsäcker dagegen trat als Mahner auf, es mit der Einheit nicht zu übereilen. Es solle durchaus zusammenwachsen, was zusammengehöre. Aber "nicht zusammenwuchern".

Friedbert Pflüger, lange Jahre engster Mitarbeiter an der Seite Weizsäckers, hat die Phase zwischen dem Mauerfall 1989 und der deutschen Einheit 1990 als den endgültigen Wendepunkt im Verhältnis von Kohl zu Weizsäcker beschrieben.

Weizsäcker ging noch weiter. Im Juni 1992 beschrieb er die Parteien in einem Interview mit der Zeit als "machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgaben". Er konnte damit nur die seit gut zehn Jahren regierende Kohl'sche CDU meinen.

Eine "weitverbreitete intellektuelle Schläfrigkeit"

Auch nach seiner Amtszeit stichelte Weizsäcker weiter gegen seinen einstigen Entdecker. 1997, ein Jahr vor Kohls historischer Wahlniederlage, setzte er im Spiegel zum Frontalangriff auf den Kanzler an. "Schon sehr lange" gebe es "in der Regierungsverantwortung" ein System, das den Machterhalt auf "eine bisher nie gekannte Höhe der Perfektion getrieben hat".

Die "Konzentration der Kräfte zur Machterhaltung übersteigt bei weitem die offene konzeptionelle Pionierarbeit, von geistiger Führung zu schweigen." Weizsäcker sagte, er könne "in den täglichen Leitartikeln der Herald Tribune mehr an konzeptionellen Gedanken finden als in den Äußerungen unserer parteipolitischen Machtzentren".

Die "Glaubwürdigkeit der politischen Führung" leide darunter, wenn "nicht offen über die ungelösten Probleme gesprochen wird". Allein durch "Gesundbeten" werde die Lage nicht besser. Weizsäcker machte in der politischen Führung eine "weitverbreitete intellektuelle Schläfrigkeit" aus. "Der Ersatz der notwendigen konzeptionellen Leidenschaft und Offenheit durch sogenannte politische Machtworte kann auf die Dauer so nicht weitergehen."

Kohl muss getobt haben.

Was ihn in der zu Beginn beschriebenen Fraktionssitzung einige Tage später zum dem Satz veranlasst hat, "der Herr" gehöre ohnehin nicht mehr zur CDU. Kohl hatte sich allerdings getäuscht. Weizsäckers seit seinem Amtsantritt als Bundespräsident ruhende Mitgliedschaft in der CDU hatte - entgegen Kohls Annahme - Bestand. Es war der letzte offene Kampf, den Kohl gegen Weizsäcker führte. Er hatte ihn verloren.

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