Richard Holbrooke:"Ich habe mich in Afghanistan verliebt"

Der Sonderbeauftragte für Afghanistan will aber nicht, dass sich die USA für die Demokratisierung des Landes "verkämpfen".

S. Kornelius

Der amerikanische Sondergesandte Richard Holbrooke ist einer der besten Kenner der afghanisch-pakistanischen Krisenregion. Er war maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen Strategie von US-Präsident Barack Obama für die beiden Staaten beteiligt.

Holbrooke, USA, Afghanistan, Reuters

Über die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan sagt der amerikanische Sondergesandte Richard Holbrooke: "Das Verfahren war schmutzig."

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Kennen Sie das Goldene Zeitalter?

Richard Holbrooke: Die sechziger und siebziger Jahre?

SZ: 1963 bis 1978, um präzise zu sein.

Holbrooke: Ich war in jener Zeit in Afghanistan als Freiwilliger des Friedenskorps - in Kabul, Bagram, Bamian und im Hindukusch. Damals habe ich mich in das Land verliebt.

SZ: 15 Jahre dauerte diese relativ friedliche Phase. Wann können wir wieder darauf hoffen?

Holbrooke: 30 Jahre Krieg, die Sowjets, die Taliban, die Situation jetzt - all das hat das Land zerrissen. Es dauert eine Weile, um ein solch kaputtes Land wieder aufzubauen. Außerdem gibt es einen Rückfall ins Konservative. Viele der Freiheiten, die unter dem König in den sechziger und siebziger Jahren gewährt wurden, sind nicht mehr denkbar.

SZ: Sie waren an der Überarbeitung der US-Strategie beteiligt. Warum reden wir immer nur über Soldaten?

Holbrooke: Ich bin nicht verantwortlich für die Truppen; mein Job ist die zivile Strategie. Das größte zivile Hilfsprogramm gilt nun der Landwirtschaft. Wir haben jetzt mehr als einhundert Berater vor Ort. Wir kümmern uns um das Rechtssystem und die Korruptionsbekämpfung. Die Öffentlichkeit aber schaut nur auf die Truppen - weil Krieg herrscht.

SZ: Nach der schwierigen Wahl hat Präsident Hamid Karsai signalisiert, er sei zur Zusammenarbeit bereit. Was erwarten Sie von ihm?

Holbrooke: Das Wahl-Drama liegt endlich hinter uns. Es war schmutzig. Die Wahl war gezeichnet von Unregelmäßigkeit und Betrug. Jeder weiß nun, dass Hamid Karsai der legitim gewählte Präsident ist, obwohl ich noch einmal betone: Das Verfahren war schmutzig. Jetzt müssen wir der Regierung helfen, sich selbst helfen zu können. Dabei sind eine eigenständige Polizei und Armee das Wichtigste. Nur so können wir den alliierten Truppen den Abzug aus Afghanistan in einer überschaubaren Zeit ermöglichen. Danach kommt gleich die Landwirtschaft. Bis 1978 hat Afghanistan Landwirtschaftsgüter nach ganz Zentralasien exportiert. Das war einmal. Das drittwichtigste Thema ist gutes Regierungshandeln.

SZ: Schockierend ist allein schon die Rate der Analphabeten bei den Sicherheitskräften.

Holbrooke: Sie können keinen Polizisten gebrauchen, der nicht einmal einen Ausweis lesen kann. Aber offenbar war unsere Ausbildung unzureichend. Ich habe als erstes verlangt, dass Lesen und Schreiben in das Ausbildungsprogramm aufgenommen werden. Andere Probleme sind ebenfalls enorm: die Fluktuation, der Mangel an Nachwuchs, die Korruption, die Drogenabhängigkeit.

SZ: Wie stark sollte die Polizei Ihrer Ansicht nach sein?

Holbrooke: Ich höre immer die Zahl 160.000 Mann in drei bis vier Jahren. Es wäre schön, wenn das klappt. Ich habe genug von Programmen, in denen eine Planungsgruppe willkürlich Zahlen nennt, die keinen Bezug zur Realität haben.

SZ: Deutschland hat sich zu Beginn des Einsatzes bereiterklärt, die Polizei im ganzen Land auszubilden. Das war offensichtlich zu großzügig.

Holbrooke: Die Sache mit den Verantwortungen war schwierig. Die Briten sollten sich um die Drogen kümmern, die Deutschen um Ausbildung, die Italiener um das Rechtssystem. Das Ganze war unkoordiniert und hat uns nicht sonderlich weit gebracht. Im Ergebnis fangen wir im neunten Jahr des Krieges wieder von vorne an.

SZ: Immer mehr Menschen zweifeln am Sinn des Einsatzes.

Holbrooke: Ja, die Ungeduld wächst. Man muss sich in Erinnerung rufen: Wir sind wegen 9/11 in Afghanistan, wegen der Angriffe in London, Madrid, New York, Washington, Mumbay und Islamabad - wegen eines Kriegs gegen Menschen, die uns zerstören möchten. Sie werden keinen Erfolg haben, aber sie können uns großen Schaden zufügen. Wir müssen sie in der Defensive halten. Diese Menschen leben in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion. Wir bekämpfen die Taliban, weil sie und al-Qaida miteinander verwoben sind.

SZ: Beim Staatsaufbau geht es um die richtige Balance zwischen Zentralmacht und Regionen. Das bisherige System funktioniert nicht. Wo liegt die richtige Mischung?

Holbrooke: Wenn wir 1995 in Bosnien eine starke Zentralregierung installiert hätten, wäre der Krieg nie zu Ende gegangen. Deswegen mussten wir einen gewissen Grad an Autonomie schaffen. Afghanistan ist wie Bosnien, es gleicht nicht einem Zentralstaat wie Frankreich. Interessanterweise hat es in Afghanistan nie eine Separatisten-Bewegung gegeben.

SZ: Aber eint nicht der Traum von einem Paschtunistan alle Paschtunen dies- und jenseits der Durand-Linie?

Holbrooke: Die Paschtunen wollten sich nie absetzen. Aus ihrer Sicht ist Afghanistan ein paschtunisches Land, auch wenn sie manchmal sagen, dass die Paschtunen in Pakistan Teil von Paschtunistan seien. Die Menschen eint eine Identität als Afghanen. Gleichzeitig fühlen sie sich als Tadschiken, Hazari und als Paschtunen. Die Bonner Vereinbarungen haben Afghanistan über-zentralisiert. Afghanistan ist ein souveränes Land. Nun muss es entscheiden, wie es weiter geht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Richard Holbrooke den Glauben an Afghanistan-Konferenzen verloren hat.

"Krieg wird nicht auf Konferenzen entschieden"

SZ: Soll das demnächst während der Konferenz in London diskutiert werden?

Richard Holbrooke, AFP

Richard Holbrooke strebt eine Demokratie in Afghanistan an - jedoch nicht um jeden Preis.

(Foto: Foto: AFP)

Holbrooke: Das sollten Sie die Leute fragen, die London organisiert haben.

SZ: Sie mögen die Idee nicht?

Holbrooke: Nein, ich bin sehr glücklich darüber. Aber wir haben gerade die ersten Papiere ausgetauscht. Ich habe sie noch nicht einmal gelesen.

SZ: Es bleiben nur noch sechs Wochen?

Holbrooke: ... eine Ewigkeit.

SZ: Dennoch: Was muss auf die Tagesordnung? Die neue Strategie ist ja bislang nur ein amerikanisches Produkt.

Holbrooke: Wir werden die Strategie in London nicht umschreiben. Wir gehen nach London, um einen internationalen Konsens dafür zu bekommen, wie wir den Afghanen helfen können. Aber: Der Krieg wird nicht auf Konferenzen entschieden. Er wird in den Wüsten und Bergen Afghanistans, durch die Taktik der neuen Kräfte, durch das Verhalten der Taliban und der Afghanen entschieden.

SZ: Aber die Konferenzen können doch dazu dienen, die afghanische Regierung zu gewissen Zusagen zu bringen?

Holbrooke: Das machen wir doch seit sechs Jahren. Konferenzen, Verpflichtungen, Zusagen. Aber nichts geschieht. Leute verpflichten sich auf Konferenzen zu Dingen, von denen sie nicht wissen, wer sie umsetzt. Die Geschichte Afghanistans ist voller schicker Konferenzen.

SZ: Wie soll es sonst gehen?

Holbrooke: Kontakt auf allen Ebenen. Die USA wollen einen trilateralen Kontakt zwischen allen afghanischen, pakistanischen und amerikanischen Ministern etablieren. Wir haben die Landwirtschaftsminister zusammengebracht. Die hatten sich zuvor niemals gesehen. Wir haben Arbeitsgruppen für Nahrungsmittelsicherheit, Wassermanagement und Versorgung eingesetzt. Wir haben die Innen- und Finanzminister zusammengebracht. Das ist keine Europa-Konferenz, wo die Leute in einem großen Saal unter einem Plakat sitzen und Reden halten.

SZ: Schenken wir Pakistan genug Aufmerksamkeit?

Holbrooke: Nein. Pakistan ist schwierig, kompliziert, nicht zu fassen. Ein souveräner Staat ohne fremde Truppen auf seinem Territorium, der nicht in der Lage ist, mit seinen internen Problemen fertig zu werden. Wir schicken viel Hilfe, aber Pakistan zeigt sich nicht sehr dankbar. Wir haben noch viel zu tun.

SZ: Das zentrale Problem mit Pakistan ist dessen Ambivalenz gegenüber den Taliban. Sehen Sie diesbezüglich Fortschritte?

Holbrooke: Die Pakistaner wissen, dass die Bedrohung ihnen gilt. Jetzt kämpfen sie hart, um sie abzuwenden. Aber in der Struktur und Aufstellung der Taliban gibt es noch keine entscheidenden Veränderungen. Die Taliban wurden durch Angriffe schwer getroffen, aber ihre Struktur ist die alte. Über ihre Entschlossenheit und den Kampfeswillen gibt es sehr unterschiedliche Berichte.

SZ: Wie kommt man mit den moderaten Taliban ins Geschäft?

Holbrooke: Man bietet ihnen eine Amnestie an, wenn sie al-Qaida abschwören und ihre Waffen niederlegen. Geld ist für viele der Kämpfer attraktiv, aber die höheren Ränge haben ein messianisches Sendungsbewusstsein.

SZ: Diesen Glauben können ihnen Ausländer wohl nicht austreiben.

Holbrooke: Das ist ziemlich schwer.

SZ: Es wird immer wieder kritisiert, dass erst durch die ausländischen Truppen diese Radikalität entsteht.

Holbrooke: Auch klassische afghanische Fremdenfeindlichkeit spielt dabei eine Rolle. Aber die Menschen wollen deshalb noch lange keine Rückkehr der Taliban. Zwischenfälle mit zivilen Opfern wie in Kundus können allerdings sehr schaden. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass wir aus dem Land getrieben werden. Wir sind nicht die Sowjetunion...

SZ: ... und nicht die kolonialen Briten.

Holbrooke: Die Afghanen erwähnen diese Erfahrungen immer wieder, als ob es gestern gewesen wäre. Das war ein einigender Moment für das Land. Druck von außen hält zusammen.

SZ: Welche Kräfte tragen Krieg und Instabilität in diesen Teil der Welt?

Holbrooke: Lage und Kultur. Das zaristische Russland und das koloniale Britannien sahen hier den Schlüssel zu Indien und zu den Häfen im Süden. Heute wird das "Great Game" immer noch gespielt, aber mit anderen Spielern. Die Pakistaner müssen Afghanistan kontrollieren, weil sie sonst eine Umzingelung durch die Inder fürchten. Die Inder wollen eine Ausdehnung des pakistanischen Einflusses nach Westen verhindern. Die Iraner wollen Stabilität im Osten, und sie wollen den Drogenfluss abschneiden. Die Chinesen sorgen sich um Instabilität in den Minderheiten-Regionen im eigenen Westen. Und wir im Westen fürchten uns vor Terrorattacken.

SZ: Ist es überhaupt noch richtig, von einer afghanischen Demokratie zu träumen?

Holbrooke: Demokratie hat ihren Platz in Afghanistan. Die Loya Dschirga, die Große Ratsversammlung, ist eine Form der kommunalen Demokratie. Aber wir werden uns nicht dafür verkämpfen, sicherzustellen, dass Afghanistan ein demokratisches Land wird.

SZ: Was erwarten Sie von den Verbündeten bei der neuen Strategie?

Holbrooke: Jeder, auch Deutschland, trifft seine eigene Entscheidung. Wenn dazu noch sechs Wochen nötig sind - kein Problem. Wir haben auch einige Monate gebraucht.

SZ: Mehr Soldaten oder mehr Landwirtschaftsberater?

Holbrooke: Schön wäre beides.

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