Republik Moldau:Sterne gegen Hammer und Sichel

Republik Moldau: Eine steinerne Lenin-Statue erinnert in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region Gagausien, an die alte Sowjetzeit.

Eine steinerne Lenin-Statue erinnert in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region Gagausien, an die alte Sowjetzeit.

(Foto: AFP)

Die einen werben hemmungslos mit Sowjetsymbolik, die anderen mit dem Sternenkranz der EU: Die Republik Moldau wählt am Sonntag ein neues Parlament, doch es geht um mehr. Das Land muss sich zwischen EU und Russland entscheiden.

Von Frank Nienhuysen, Chişinău

Putin lächelt. Aber was macht er hier in diesem Land, auf den Plakaten, die über Chişinăus Straßen gespannt sind? Wahlkampf - zumindest hilft er dabei. Wladimir Wladimirowitsch Putin, Präsident von Russland, sitzt an einem Tisch, die Finger beider Hände ineinander gehakt, sein Blick ruht auf Zinaida Greceanîi, der ehemaligen Ministerpräsidentin der Republik Moldau. "Gemeinsam mit Russland" steht auf der Werbetafel der Sozialisten.

Ein paar Meter weiter setzt man auf die westliche Konkurrenz: Der gelbe Sternenkranz der Europäischen Union leuchtet wie die aufgehende Sonne auf der blauen Plakat-Ecke. Ein Billboard der regierenden Liberaldemokraten. Andere, die Liberalen, packen gleich noch die Windrose der Nato mit drauf. Russland, EU, Nato - die Werbeträger dieser Tage. Eigentlich wird am Sonntag in der Republik Moldau nur ein Parlament gewählt, aber es geht offensichtlich auch noch um etwas anderes, das größer, bedeutender ist als Moldau: um West und Ost, um Europa und Russland. Wer setzt sich durch, wohin will dieses Land?

Symbolkräftiges Einflussgebiet

Die Republik zwischen der Ukraine und Rumänien gilt als der ärmste Staat des Kontinents, und sehr groß ist er mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern auch nicht. Doch der Ukraine-Konflikt, die neue eisige Zeit, macht aus dem Land ein symbolkräftiges Gebiet für den Einfluss von Moskau und Brüssel. Russland will die frühere Sowjetrepublik ungern nach Europa ziehen lassen und hat mit ein paar wirtschaftlichen Schlägen versucht, sie auf seine Seite zu bringen und für die Zollunion zu gewinnen, der noch Kasachstan, Weißrussland und künftig Armenien angehören. Zuerst hat Moskau die Einfuhr von moldauischem Wein verboten, dann den von Obst und Gemüse, dann war Fleisch dran. Und das alles begleitet mit markigen Tönen aus Moskau, dass etwa Russland nicht tatenlos zusehen werde, sollte es Zustände wie in der Ukraine geben. Als hätte Moldau Lust auf Zustände wie in der Ukraine.

Die moldauische Regierung hat dem Druck standgehalten. Hat im Juni den Assoziierungsvertrag mit der EU unterzeichnet und wenig später ratifiziert. Aber was ist der überhaupt noch wert, wenn die Wahl am Sonntag vorbei ist? Die Umfragen sehen einen knappen Ausgang voraus. Was, wenn das russlandfreundliche Lager gegen das nach Europa strebende um Premier Iurie Leancâ gewinnen sollte? Eine Antwort findet sich in einem roten Haus im Zentrum von Chişinău. Es ist die Zentrale der Sozialisten, verziert mit roten Sternen.

Putin wünscht Sozialisten "Erfolg"

Am Eingangstresen liegt ein Stapel Wahlzeitungen aus, auf deren Titelseite Putin der Sozialistenpartei "Erfolg" wünscht. In der Zeitung steht auch, die Sozialisten seien "die einzige Partei, die von Russland unterstützt" werde. Wie unterstützt? Finanziell, so wie in Moldau allenthalben vermutet wird? "Politisch", sagt Ion Ceban, Abgeordneter der Partei. Und er zählt auf, warum er auf Russland setzt: weil der traditionelle Export nun mal nach Russland gehe, weil Europa überhaupt keine Produkte aus der Republik Moldau brauche, dass diese "ohnehin nicht mithalten könnten mit den europäischen".

Und beim Gaspreis versprechen sich die Sozialisten einen kräftigen Nachlass, sollte Moldau der von Russland dominierten Zollunion beitreten. Gleichwohl ist es Russland, das mit seinem Wirtschaftsembargo erst einmal einen Schaden für die moldauische Landwirtschaft in Kauf nimmt. "Klar ist", sagt Ceban, "wir würden den Vertrag mit der EU annullieren, und dann eine Volksabstimmung ansetzen." Kommando zurück also.

Kommunisten halten sich bedeckt

Die Sozialisten könnten mit der populistischen Heimatpartei des Unternehmers und Putin-Bewunderers Renato Usatîi koalieren, aber auch das dürfte nicht ausreichen, um die proeuropäische Regierungskoalition abzulösen und den Kurs auf Europa zu stoppen. Sie bräuchten wohl schon noch die Kommunisten: die Partei also, die hemmungslos mit Hammer und Sichel um Stimmen wirbt, die nach allen Umfragen wieder die größte Partei im Parlament wird. Die sich aber trotz der Sowjetsymbolik deshalb nicht gleich nach Moskau sehnt. Es war nämlich der Parteichef, Kommunistenführer Wladimir Woronin, der als moldauischer Präsident einst den EU-Kurs überhaupt begonnen hatte. Jetzt hält er sich bedeckt, scheint zu genießen, welch wichtige Rolle ihm bei der Regierungsbildung zufallen könnte.

Wo die EU-Flagge weht

Und die jetzige Führung? Niemand da im Arbeitszimmer von Vizepremier Andrian Candu, der zugleich Wirtschaftsminister ist. Seine Bürochefin führt durch das leere Ministerzimmer, zeigt die EU-Flagge, die in schwerem Stoff neben der moldauischen hängt, den Kalender neben Candus Schreibtisch, der ein Foto von einer Demonstration zeigt, als Tausende Menschen vor einem Jahr für die Europa-Integration auf die Straße gingen. Candu lässt wegen des Wahlkampfes sein Ministeramt kurzfristig ruhen und meidet deshalb nun sein offizielles Regierungsbüro. Also findet das Gespräch im Club-Café eines Hotels statt. Candu, im karierten Hemd, kommt gerade von der Einweihung eines Start-up-Zentrums in der Region zurück, das mithilfe der Europäischen Union eröffnet wurde. Es ist bereits das siebte dieser Art. Europa gleich Fortschritt, Hilfe für kleine und mittlere Betriebe, das soll die Botschaft sein.

"Es gibt einfach kein besseres Modell in der Welt als die EU. Ich sehe da keine Alternative", sagt Candu, der erst 38 Jahre alte Minister. "Das Gerede über die Zollunion ist pure Spekulation von einigen Politikern, die nostalgische Gefühle wegen der sowjetischen Vergangenheit wecken wollen. Da sagt aber nur Russland, was zu tun ist. Moldau sollte nicht Teil von so etwas sein." Russlands Importstopp sei eine "reine politische Strafe, dafür, weil wir das EU-Abkommen unterzeichnet haben."

Aber Candu sieht darin sogar eine Chance. So wie auch Georgien sich während all der Kalamitäten mit Russland, dem politischen Konflikt, dem Handelskrieg gezwungen sah, sich umzustellen, zu modernisieren, neue Märkte zu suchen. Mithilfe von EU, Weltbank, Internationalem Währungsfonds. Candu sagt, "moldauischen Wein gibt es zwar nicht mehr in Moskau, aber man sieht ihn jetzt in London, in Berlin."

Proeuropäische Regierung hat Imageproblem

Die EU weiß genau um die symbolische Bedeutung des künftigen moldauischen Wegs, seitdem Russland mit aller Macht frühere Republiken an sich binden will. Sie hat reagiert. Seit Ende April dürfen Moldauer ohne Visum in die EU-Länder einreisen, die EU bietet ihren Markt an, unterstützt moldauische Betriebe, und den Haushalt in Chişinău. "Wir haben einiges getan, um die EU sichtbarer zu machen", sagt Pirkka Tapiola, Botschafter der EU in der Republik Moldau. "Die russischen Medien haben einige Mythen erzeugt, wir müssen den Menschen im Rahmen der EU-Assoziierung nun zeigen: Was bedeutet ein besseres Investitionsklima? Was bedeuten Hygienestandards? Und worum geht es nicht? - Katholik werden zu müssen." Die EU wolle sich schließlich nicht in die Traditionen des Landes einmischen.

Ungünstig für die EU ist, dass die proeuropäische Regierung in Chişinău ein Imageproblem hat und das Land von Armut und Korruption geplagt ist, wie Vizepremier Candu einräumt. Und auch Russland hat seine Instrumente. Transnistrien etwa, jener Landstrich, der wirtschaftlich von Moskau gepäppelt wird, in dem russische Soldaten stationiert sind. Ein Pfand sind auch die Hunderttausenden Gastarbeiter, die in Russland ihr Geld verdienen, um ihre Familien in Moldau zu ernähren. Als Chişinău sich an die EU band, drohte Moskau mit der Verschärfung des Aufenthaltsrechts. Andererseits sind sie potenzielle Wähler für einen prorussischen Kurs. Daher zeigt sich Moskau auf einmal großzügig und erlaubt seit dem 5. November sogar illegalen Gastarbeitern in Russland, "frei in die Heimat zu fahren", zu wählen und zurückzukehren, "ohne Strafen oder Sanktionen".

Die Konkurrenz, der Kampf der Systeme, er ist auch an der Wirtschaftsakademie spürbar, einer grau-türkisfarbenen Eliteschmiede. Alexej, Student, russisch-sprachiges Elternhaus, lernt Englisch, findet Russland für sein Land wichtig, Europa aber wichtiger. "Es bringt uns mehr Lebensqualität", sagt er, aber, fast sinnbildlich: "Ich habe auch Freunde, mit denen ich darüber streite."

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