Repression:Kunst in Ketten

Der Westen liebt Künstler aus autoritären Staaten, die leiden und sich so als Verbündete im Kampf für die Freiheit erweisen. Der Fall Ai Weiwei zeigt jedoch: Das Verhältnis zwischen Unterdrückern und Unterdrückten ist komplizierter als wir es gerne hätten.

Von sonja Zekri

Vor gut einem halben Jahrhundert wurde Alexander Solschenizyn aus der Sowjetunion ausgewiesen. Der Vorwurf lautete auf Landesverrat, damals eine Allerweltsdenunziation. Sowjetische Schergen setzten ihn in ein Flugzeug in die Bundesrepublik. Der Flieger hob ab, und unterwegs entdeckten deutsche Diplomaten erschüttert, dass der Dissident ein Stück Schwarzbrot in seiner Hosentasche mitgebracht hatte. Er hatte es hastig eingesteckt, überzeugt, dass man ihn erneut in den Gulag verschleppen würde.

Die Sowjetunion ist längst Erinnerung, die Unterdrückung von Künstlern und Intellektuellen aber rückt mit jedem neu identifizierten Repressionsherd schmerzhafter in den Blick. Russland bringt wieder Dissidenten hervor, in Theokratien wie Saudi-Arabien können Künstler frei nur in den eigenen vier Wänden arbeiten. Die Knebelung der Kunst im Namen der Religion, der Nation oder der nationalen Sicherheit hat möglicherweise nicht zugenommen, aber sie ist in Twitter-, Selfie- und Instagram-Zeiten sehr viel schwerer zu übersehen als früher.

Gerade hat der chinesische Künstler Ai Weiwei im Feuilleton dieser Zeitung die bedrückende Zerrissenheit eines Menschen deutlich gemacht, der für seine Kunst Boykott, Haft, Anklagen und einen Überfall durchlitten hat. Nun, auf seiner ersten Auslandsreise seit Jahren, lobt er die neue Gesprächsbereitschaft der chinesischen Regierung und bittet um ein "normales Leben". Was war das?, mögen manche nun fragen. Ist er milde geworden? Weise? Zahnlos? - Gegenfrage: Und wenn?

Auch einem Ai Weiwei geht es darum zu überleben

Vieles spricht dafür, dass Künstler unter den Opfern der Repression nicht häufiger vertreten sind als andere Gruppen. Es geschieht eben nur alles öffentlicher. Der Westen liebt jene, die für ihre Kunst leiden. Denn ganz gleich, wie begrenzt ihr Einfluss manchmal im eigenen Land sein mag - sind sie nicht allein durch ihr Schicksal Verbündete im Kampf für die Freiheit?

Manchmal führen derartige Umarmungsversuche zu grotesken Missverständnissen, wie im Fall Alexander Solschenizyns, der den Kommunismus hasste, ohne den Westen zu lieben, was aber niemand so recht zur Kenntnis nehmen wollte. Gelegentlich verbindet sich damit auch nur eine eisige Anspruchshaltung, die nichts als kristallklare Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit gelten lässt. Es sind Ai Weiweis erste Tage in Deutschland, er möchte zurückkehren nach China, in seine Heimat. Würde er Hymnen auf das chinesische Regime anstimmen, er hätte jedes Recht dazu.

Das Verhältnis zwischen den Unterdrückern der Kunst und den Unterdrückten ist nämlich längst nicht so eindeutig, wie wir das gern hätten. Es ist oft, auf eine grausam hierarchische Weise, eine Art Handel oder Kommunikation: Beide können einander schaden, gerade wenn der Künstler so weltberühmt ist. Beide beanspruchen eine Wahrheit, die jene des anderen ausschließt. Künstler sind ihrer Kunst verpflichtet, aber zuallererst ihrem eigenen Überleben.

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