Reportagen:Zwischen Adlermännern und Absolutisten

Die norwegische Journalistin Erika Fatland hat fünf ehemalige Sowjetrepubliken Zentralasiens bereist. Dabei hat sie erstaunliche Gegensätze entdeckt und den Hang vieler Bewohner zur Nostalgie kennengelernt.

Von Renate Nimtz-Köster

Wer kennt sie schon, die klingenden Namen der Hauptstädte fernab in den fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens? Immerhin Astana ist nun in den Blickpunkt gerückt, als kasachischer Tagungsort der Syrien-Konferenzen. "Es ist unglaublich schön dort," sagte stolz der junge Fahrer, der Erika Fatland in seinem verbeulten Auto ins hypermoderne Zentrum der Metropole chauffierte. Astana war eine der Etappen auf dem Weg der norwegischen Journalistin und Autorin durch "Sowjetistan", wie sie ihr Buch überschreibt. Als späte "Studentin" ausgewiesen, konnte sie auf einer wahrhaft abenteuerlichen Reise Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan erkunden. Nur mit einheimischem Guide oder Fahrer durfte sie in den Republiken unterwegs sein, manches erfuhr sie nur hinter geschlossener Autotür. Mit Russisch kam sie meistens ins Gespräch.

Gerade dort, wo die Sowjetzeit ein schweres Erbe hinterlassen hat, traf die Autorin auf Nostalgiker

Geschichten ohne Ende hat die begabte Erzählerin zusammengetragen: im größten wilden Walnusswald der Welt, in dem kirgisische Familien zur Erntezeit ihre Zelte aufschlagen, am verschwundenen Aralsee, auf dessen bloßem Grund Kamele Grasbüschel abknabbern, in den Marmor-Wohnblöcken von Turkmenistans Hauptstadt Aschgabat, auf den Straßen der tadschikischen Metropole Duschanbe, wo Mercedes-Autos und BMW "wie Perlen an einer Schnur" rollen, im Gespräch mit den letzten Deutschen im kirgisischen Dorf Rot-Front und mit den kirgisischen Adlermännern, die wie ihre Vorfahren mit den Greifvögeln jagen, oder auf dem Plüschsofa im Café von Qurghonteppa, der viertgrößten Stadt von Tadschikistan, wo eine traurige Kellnerin ohne Frontzähne aus ihrem ärmlichen Alltag berichtet. Verflochten hat die Sozialanthropologin Fatland ihre Begegnungen mit gründlichen Exkursen in Historie, Politik und Landeskunde.

Kontraste und die Zerrissenheit zwischen Hypermoderne, sowjetischer Vergangenheit und lebendiger Tradition einen alle fünf Staaten. Korrupte Despoten schotten ihre Länder ab. Nordkoreanische Zustände, so Fatland, herrschen in Usbekistan. Ausgerechnet die Kirgisen, bei denen noch altertümliche Sitten wie Brautraub üblich sind, haben schon zweimal erfolgreich ihren Diktator gestürzt. Die Parlamentswahlen von 2015 sind dort laut Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) befriedigend und "einzigartig für die Region" verlaufen.

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"Astana ist mein Monument", sagt Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew; Blick vom Präsidentenpalast auf die hypermoderne Stadt.

(Foto: Getty Images)

Als "aufgeklärten Absolutisten" sieht die Autorin Nursultan Nasarbajew, Präsident des öl- und gasreichen Kasachstan. Der heutige "Nationalstaat der ethnischen Kasachen" löste sich 1991 als letzte Republik von der Sowjetunion. Aus der südlichen Millionenstadt Almaty, besser bekannt als Alma-Ata, zog der Präsident kurzerhand 1000 Kilometer weiter nach Norden. Dort machte er aus der Provinzstadt Aqmola ("Weißes Grab") die neue Metropole Astana, was übersetzt einfach "Hauptstadt" bedeutet. Im Ödland außerhalb der streng kontrollierten Stadttore von Astana begegnete der Autorin kein Mensch, "nicht einmal ein Schaf oder Kamel". Drinnen inszenierte Präsident Nasarbajew seine Macht mit Bauten internationaler Stararchitekten wie Norman Foster. Dessen 97 Meter hoher "Triumph-Turm" wurde zur Gründung von Astana 1997 errichtet. Ebenfalls nach Fosters Plänen entstand als luxuriöses Einkaufszentrum ein gläsernes Zelt, stets auf 24 Grad temperiert, während im Winter draußen minus 40 Grad herrschen. Golden ist die riesige neue Moschee dekoriert, eine blaue Kuppel krönt den Palast des Präsidenten. "Astana ist mein Monument", sagt Nasarbajew: Sein Händeabdruck ist auf einer kiloschweren Goldplatte im Triumph-Turm verewigt. Dort solle sie die Hand hineinlegen, an Nasarbajew denken und sich etwas wünschen, wurde die Reisende von ihrem Begleiter angewiesen.

Die Wüsten- und Bergstaaten der "Stans" mit ihren 7000er-Gipfeln sind - trotz des gemeinsamen Suffixes - "grundverschieden", fand Fatland: reich durch Öl und Gas wie Kasachstan und Turkmenistan oder unter den ärmsten Ländern der Welt wie Tadschikistan, wo es Strom nur wenige Stunden am Tag gibt. Radikal waren für alle fünf Republiken die Eingriffe der 1991 zu Ende gegangenen Sowjet-Herrschaft: Aus den Jurten zwang Stalin Nomaden in feste Häuser, bis heute gültige Grenzen wurden willkürlich gezogen. Arbeitslager überzogen Zentralasien, fremde Völkerschaften wie Krimtataren, Russland-Deutsche, Tschetschenen oder Iguschen wurden hierhin deportiert.

Gerade dort, wo die Sowjetzeit ein schweres Erbe hinterlassen hat, traf die Autorin auf die Nostalgiker: "Mein Geigerzähler piepte wie besessen", berichtet Fatland, als sie durchs meterhohe Gras im ehemaligen Atomwaffen-Testgelände des kasachischen Semipalatinsk gewatet sei. Nasarbajew ließ das Gelände schließen, eine seiner ersten selbständigen Entscheidungen. In der heruntergekommen Stadt Kurtschatow, unweit des Kraters, den die erste Atombombe der Sowjetunion hinterlassen hat, schwärmten Rentner beim Wodka von den alten Zeiten: "Alles war gut, alle hatten Arbeit, alle waren Genossen." Niemand werde hier sonderlich alt, so erzählte ihr Fahrer unterwegs: "An Krebs sterben hier viele."

Erika FatlandSowjetistan

Erika Fatland: Sowjetistan. Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 511 Seiten, 16,95 Euro.

Die "alte Seidenstraßenstimmung" fand Fatland zum Abschluss ihrer achtmonatigen Reise in den Altstädten von Buchara und Samarkand, wo im rauen November keine Touristen mehr sind. Die Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Taschkent, letzte Station der transkaspischen Eisenbahn und sozialistische Musterstadt, holte sie dann zurück in die Gegenwart.

Wenn sie mit "Sowjetistan" auf Lesereise sei, so Fatland, werde sie oft gefragt, wie es mit diesen Ländern weitergehen werde. Sie sei "weder mutig noch dumm genug, darauf eine Antwort zu geben". Nur so viel: "Es kann dort so gut wie alles passieren."

Renate Nimtz-Köster hat Romanistik und Slawistik studiert. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin.

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