Reportage:Vom Kuchen des Bösen

Manche Autoren dichten Geschriebenes nachträglich um, Verlage feuern Schnellschüsse von Islamforschern ab - aber die große Umkehr ist nicht in Sicht

Herbert Riehl-Heyse

(SZ vom 13.10.2001) - Dienstag - Die Einstimmung gibt es noch in Bonn. Vormittags redet dort heute - anlässlich der Verleihung des Theodor-Wolff- Preises für herausragende journalistische Arbeiten - der Autor Christian Graf von Krockow über den "Zauber des gedruckten Wortes"; so steht es jedenfalls im Programm. Wie immer in diesen Tagen geht es aber erst einmal um die gegenwärtige Lage der Welt und um diejenigen, die sie in ihren Grundfesten erschüttern wollen.

Krockow zitiert einen Satz von Ernst Jünger aus dem Jahre 1932, in dem es heißt, das höchste Glück der Menschen bestehe darin, sich selbst zu opfern, und die höchste Kunst der Staatsführung sei es, dafür die Ziele vorzugeben. Anschließend werden die Urkunden vergeben - und die Anwesenden haben gelernt, dass alles Schreckliche auf der Welt schon immer auch in Büchern und Zeitungen gestanden hat, formuliert gelegentlich von berühmten Autoren.

Abends in Frankfurt ist von solchen Tatsachen dann aber weniger die Rede: Die Buchmesse muss eröffnet werden im Saal Harmonie, mit vier Reden, die in diesem Jahr das Buch als solches noch ein wenig mehr feiern, als das sonst an dieser Stelle üblich ist: Die Oberbürgermeisterin sagt, man habe sich entschlossen, die Messe - "trotz der Weltlage" - abzuhalten, weil sie ein Ort sei, auf dem "die geistigen Weltkonzepte friedlich aufeinander prallen"; nach ihr stellt der Kulturstaatsminister fest, dass Bücher zu veröffentlichen eine kulturelle Leistung der Zivilgesellschaft sei, was man schon daran erkennen könne, dass der Terror wortlos sei. (Ob es Nida Rümelin womöglich entgangen ist, dass vor ein paar Tagen der mutmaßliche Schreibtisch- Massenmörder bin Laden sein geistiges Weltkonzept überaus wortreich vor einer Fernsehkamera artikuliert hat, mit Sätzen, die demnächst in vielen Büchern für die Ewigkeit festgehalten werden?) Vielleicht sind ja nicht einmal alle in Frankfurt vorgestellten Bücher vollkommen zivilisiert. Draußen jedenfalls, vor den Toren der Messe, stehen nach der Eröffnungsfeier junge iranische Demonstranten mit Plakaten: "Weg mit iranisches Terror-Regime im Buchmesse".

Ein wenig sparen

Spät am Abend richtet der Berlin-Verlag seinen traditionellen Empfang im Frankfurter Hof aus: Er ist, sagen Kenner, nicht ganz so voll wie in den letzten Jahren, wie überhaupt die Messe dieses Mal ein wenig leerer sein wird; allein vom Konzern Random House, alias Bertelsmann, sind von 64 angemeldeten amerikanischen Gästen 30 nicht nach Frankfurt gekommen.

Spätestens um Mitternacht ist die Party aber genauso laut, wie sie immer war, auch wissen inzwischen schon alle, dass auch alle anderen Empfänge wie immer stattfinden werden, mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Verleger regelmäßig erst einmal dafür bedanken werden, dass die Gäste "trotz der Ereignisse" gekommen sind. Nur der Empfang vom Feinschmecker soll dieses Jahr ausfallen; das könne aber, sagen Gewährsleute, auch mit der Tatsache zu tun haben, dass man dort ohnehin gerade ein wenig sparen wollte.

Mittwoch - Was sagt die Literatur zur Apokalypse? Sie diskutiert darüber, was sie dazu sagen soll. Mittags wird in Halle 3,1 der junge und sehr erfolgreiche Dramatiker Moritz Rinke vor einem kleinen Publikum zu seinem neuen Buch interviewt - aber erst einmal gibt er Auskünfte über den Zauber des gedruckten (und gesprochenen) Wortes in der gegenwärtigen Lage der Welt.

Rinke ist einigermaßen wütend über den deutschen Literaturbetrieb, genauer: über viele seiner Kollegen, die zurzeit versuchten - "sonst fühlen sie sich nicht relevant genug" -, ihre längst geschriebenen Bücher sozusagen nachträglich umzudichten, damit klar werde, dass sie die Zeitenwende irgendwie schon vorhergesehen hätten.

Die ganze Szene befinde sich im Wettkampf darüber, wer das Ende der Moderne, den Paradigmenwechsel am besten beschreibe; und wer - sagt Rinke böse - vom Kuchen des 11. September etwas abhaben wolle, der müsse mitmachen bei diesem Hype. Ein wenig macht Rinke mit dieser seiner Wortmeldung natürlich selber mit, aber er weiß das und ringt sympathisch um Worte.

Weniger zurückhaltend darf natürlich ein Erfolgsverleger sein. Am Stand der Verlagsgruppe Ullstein-Heyne-List steht eine halbe Stunde später der Münchner Büchermacher Christian Strasser und berichtet mit gut erkennbarer Genugtuung ("auch wenn mir meine Mitarbeiter abgeraten haben, das zu sagen"), das Ullstein-Taschenbüchlein über Osama bin Laden sei schon 100.000 Mal verkauft - eine Erfolgsmeldung, die sich nicht ganz mit den Auskünften weniger wichtiger Verlagsangestellter deckt, die später darauf hinweisen, es seien überhaupt erst 40.000 Exemplare gedruckt.

Wichtig ist auf jeden Fall, dass der verlegerische Schnellstschuss von - wie es auf dem Umschlag heißt - "zwei renommierten Islamforschern und Antiterror-Experten" verfasst worden ist; eine neuartige berufliche Kombination ist das, der man für die nächsten Jahre eine erfreuliche Zukunft voraussagen darf. Strasser ist ohnehin gut aufgelegt dieser Tage, weil er gerade die Memoiren von Bill Clinton gekauft hat, gegen den - wie er sagt - erbitterten Widerstand des Bertelsmann-Konzerns, dem die amerikanischen Rechte an dem noch ungeschriebenen Manuskript gehören.

Weil die Bertelsmänner nicht zum Zuge gekommen seien, sagt Strasser, würden sie jetzt überall herumerzählen, er habe zwei Millionen Dollar dafür bezahlen müssen, was aber ganz lächerlich sei, weil er die Rechte nämlich nicht so sehr wegen des Geldes bekommen habe, sondern "wegen der weichen Faktoren". Er habe sich, sagt er, mit seinem neuen Autor menschlich sehr gut verstanden, insofern dieser "eine ähnliche Biografie hat wie ich".

Zwei Mark für die Opfer

Clintons Buch erscheint in zwei Jahren, schon im Dezember dagegen erscheint im Imperium Strassers - bevor der dann wahrscheinlich deutscher Bundespräsident wird - ein weiteres Buch über bin Laden, wie überhaupt in den nächsten Monaten große Mengen von Islam-Terroristen-Büchern aus vielen Verlagen den Markt überschwemmen werden, nicht zuletzt solche, die in diesen Frankfurter Tagen von amerikanischen Literaturagenten angeboten und an den Mann gebracht werden.

Allerdings wäre es abwegig, dem Kapitalismus vorzuwerfen, er versuche nun auch noch den Terror zu kapitalisieren: Er kann gar nicht anders. (Und hat nicht Rowohlt auf seinen in 18 Tagen produzierten Band mit dem Titel Dienstag, 11. September 2001 sogar einen gelben Aufkleber gepappt, auf dem steht, dass zwei Mark vom Erlös "zu Gunsten der Opfer der Anschläge und ihrer Familien" verwendet würden? Damit ist ja klar, dass es nicht ums Geschäft gehen kann.)

Der späte Nachmittag gehört dem berühmten Kritikerempfang bei Siegfried Unseld, bei dem dieses Mal der Hausherr vom neuen Buch seines Autors Peter Handke erzählt, dessen Manuskript 760 eng beschriebene Seiten betrage und ganz eindeutig das "Opus magnum" des Autors sei.

Als sich allerdings herausstellt, dass - anders als angekündigt - Handke nicht selbst zum Empfang gekommen ist, sondern nur sein Text, versucht FAZ-Herausgeber Schirrmacher ("ich hatte mir einen Wutausbruch versprochen") enttäuscht, wieder zu fliehen, was aber nicht gelingt, weil der Fluchtweg wegen Überfüllung abgeschnitten ist.

Statt Handke liest die Verlegersgattin, freilich nicht sehr lange, sodass noch genug Zeit bleibt, um im Gästebuch des Hausherrn die etwas rätselhafte Eintragung der Oberbürgermeisterin Roth über ein von Unseld ("zu zweit, gekocht vom Hausherrn") offenbar kürzlich für sie ausgerichtetes Abendessen zu studieren: "Die Seelen waren verwandt, durch H. Hesse - in Themen und Gefühl". Es ging bei dem Essen vermutlich um geistige Weltkonzepte.

Donnerstag - Nachmittags um 14.48 Uhr meldet sich in der Halle drei jene Stimme, die sonst manchmal verloren gegangene Autoren ausruft, plötzlich mit der Mitteilung, in dieser Minute vor genau einem Monat sei in New York und Washington der schreckliche Anschlag geschehen, die Besucher möchten bitte innehalten und eine Minute schweigen: Einige amerikanische Gäste, die nicht verstehen, was da gesagt wird, erschrecken erst einmal sehr und fragen die Umstehenden, ob etwas passiert sei; andere Besucher wiederum werden von der plötzlichen Stille ausgerechnet vor dem Stand der Verlagsgruppe Lübbe erwischt und können nach einiger Zeit den Blick nicht mehr von dem Buchplakat wenden, auf dem steht, "Sie werden sich nicht mehr sicher fühlen, wenn Sie den neuen Patterson lesen". Der neue Patterson heißt: "Wer hat Angst vorm Schattenmann?"

Die Gedenkminute ist aber trotzdem nützlich, schon deshalb, weil sonst die Messe noch besser als die große Ablenkungsveranstaltung funktionieren würde, die sie auch ist, mit einer massiven Perspektivenverschiebung: In der wirklichen Welt werden Massenmorddrohungen ausgestoßen, rennen Hundertausende Afghanen um ihr Leben; in der künstlichen Welt bekommt man davon sehr wenig mit, weshalb in der Halle 3,0 der Kollege von dtv die Damen und Herren von Ullstein unbedingt noch fragen muss, ob sie den Karasek nicht hätten am Schreiben seines neuen Buches hindern können. (Die Gefragten wüssten schon deshalb nicht, warum sie das hätten tun sollen, weil sich das Buch schon 31.000 Mal verkauft hat.)

Im Übrigen ist die Branche hübsch zynisch, natürlich auch deshalb, weil Zynismus in diesen Tagen eine Überlebenshilfe ist. Der Mechanismus ist jedenfalls gut zu erkennen: Je öfter - das war schon am Mittwochabend - der oberste Rowohlt-Manager auf seinem Verlagsempfang die "Vorfälle" und die "Ereignisse" erwähnt hat, angesichts derer er "gar nicht von einer Party sprechen möchte oder gar von einem Fest, sondern nur von einem Abend der guten Gespräche", desto zwanghafter haben noch mitten in dieser Rede die Gäste damit begonnen, einander die Witze zur Weltlage zu erzählen. (Noch der harmloseste handelt vom neuen Kriegsnamen des deutschen Verteidigungsministers; der heiße jetzt Rudolf bin Baden.)

Spät nachts an der Bar beim Fest von Antje Kunstmann liest dann noch jemand vor, was der alleroberste Bertelsmann Thomas Middelhoff seinen Mitarbeitern offenbar gemailt hat unter dem Eindruck des Terroranschlags: Es sei auch ein Anschlag auf die Überzeugungen und die Prinzipien des Hauses Bertelsmann gewesen. Weil diesen Aspekt die Terroristen womöglich gar nicht richtig berücksichtigt hatten, wird ein wenig gelacht, und anschließend über das wahre Grauen auf dieser Messe diskutiert: Das sei eindeutig das Buffet gewesen, sagt eine Gewährsfrau, das es heute Mittag bei der Preisverleihung der Gastronomischen Akademie Deutschlands gegeben habe. Geradezu apokalyptisch schlecht seien diese Lammbällchen mit Käse gewesen.

Freitag - Neues von Christian Strasser: Er hat nun auch noch den Nobelpreisträger gewonnen, weil sich Hoffmann und Campe, der V.S. Naipaul bisher publiziert hatte, für den Mann nicht mehr interessiert hat, sodass ihn Kollege Lothar Menne in seine neue verlegerische Heimat mitnehmen hat können: Die siegreiche Mannschaft stößt mit Champagner an und beginnt fieberhaft damit, so schnell wie möglich ein paar Bücher des Preisträgers fertig zu stellen.

Weniger fröhlich wird es bei der Vertragsunterzeichnung eines anderen Münchner Verlegers zugegangen sein: Der Mann hat von einem amerikanischen Literaturagenten ein Buch über bakteriologische Kriegführung erworben und ist davon jetzt offenbar selbst so verstört, dass er sich gestern noch nachts um eins an der Bar des Frankfurter Hofs besorgt nach den Symptomen des Milzbrandes erkundigt haben soll.

Antworten auf alte Fragen

Vielleicht hat ja doch schon das große Umdenken begonnen, das zu Beginn der Woche der Autor Botho Strauß im Spiegel gefordert hat? Die meisten Anzeichen sprechen heute erst einmal gegen diese Vermutung. Zwar ist richtig, dass unter den viel zu vielen Besuchern, die inzwischen die Luft immer stickiger machen, gelegentlich auch eine Doppelstreife von Polizisten ist, die sich nicht weiter einmischen ins literarische Gespräch; dass man aber als Besucher scharf kontrolliert werde vor dem Betreten des Geländes, ist ein Gerücht, das nur die Messeleitung in gelegentlichen Statements verbreitet.

Auch lässt sich an den diversen Ständen nicht feststellen, dass die Menschen schon ganz dabei wären, sich voll auf die neuen Fragestellungen zu konzentrieren. Es müssen ja erst einmal noch die alten Fragen beantwortet werden, mit Hilfe der hier ausgestellten Bücher: Wie man Die besten Kreuzstiche anfertigt, wie man Reich in den Ruhestand kommt, welche Stellungen nach Ansicht von Frau Lilo Wanders welche Genusserlebnisse beim Geschlechtsverkehr ermöglichen.

Auch die modernen elektronischen Medien haben sich den veränderten Paradigmen noch nicht völlig angepasst: Sonst würde der Verlag Heureka-Klett vielleicht nicht dauernd von einem sehr lauten Vorführmann sein neuestes Computerspiel anpreisen lassen, in dem man eine virtuelle junge Frau dabei beobachten kann, wie sie beim Gang durch die virtuelle Stadt Bioskopia plötzlich leblos auf den Boden stürzt, nicht ohne vorher noch gerufen zu haben, sie sei vermutlich infiziert.

Aber so geht das nun einmal zu in diesen Zeiten, ob auf dem Frankfurter Messegelände oder außerhalb - nur dass man den allgemeinen Geisteszustand in den Hallen 1 bis 8 ein wenig konzentrierter als sonst erleben kann: die Ratlosigkeit und die Geschäftstüchtigkeit, die Angst und den Galgenhumor. Vermutlich sollte man auch gar nicht verlangen, dass ausgerechnet bei einer Verkaufsmesse die Umkehr der Menschheit beginnt.

Es wäre ja vermutlich schon einiges gewonnen, wenn die Messe die Leute weiterhin zum Lesen animierte - wer liest, kann wenigstens in dieser Zeit nichts Böses anstellen. Und macht nicht die Gegenpartei auch für sich Reklame? Abfahrt vom Messegelände mit dem Taxi, über den Straßen hängen die Transparente, auf denen für Ulla Hahn geworben wird und für Scholl-Latour. Aber plötzlich ist da auch eine riesige gelbe Reklametafel mit der Aufschrift: "Die einen lesen, die anderen verändern die Welt..."

Um Gottes Willen, das wird doch nicht eine Werbung sein für die Vereinigte Islamisten GmbH? Aber nein, es ist nur die Firma Hornbach, die auf diesem Wege auf ihre 88 Bau- und Gartenmärkte aufmerksam macht.

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