Reportage:Tony Blair am Pranger der vielen Fragen

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Wie Großbritanniens Premier mit dem Skandal um den toten Geheimagenten David Kelly umgeht. Von Stefan Klein

(SZ vom 28.08.2003) - Sieht klasse aus, der Mann. Das Gesicht jedenfalls hat genau die Farbe, wie sie sein soll nach einem ausgiebigen Familienurlaub in der Karibik. Tony Blair scheint sich gut erholt zu haben im Ferienhaus des Sängers Cliff Richard auf Barbados, wo er vermutlich viel geschlafen, viel gebadet und viel gelesen hat, in der Bibel vielleicht oder in Büchern, so stellen wir uns vor, mit anspruchsvollen Titeln wie "Ehrlich währt am längsten".

Tony Blair kehrt vom Verhör in die Downing Street zurück (Foto: Foto: dpa)

Was so ein wahrheitsliebender Premierminister eben liest in seinen wohlverdienten Sommerferien. Doch auch der tollste Urlaub geht irgendwann mal zu Ende, was auch deshalb betrüblich ist, weil daheim in London der Himmel längst nicht so makellos strahlt. Er ist vielmehr so finster wie die politische Großwetterlage im Königreich.

Und weil das so ist, muss Blair an diesem Donnerstag bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte nach der Sommerpause im Saal 73 der Royal Courts of Justice sitzen, muss Fragen beantworten, muss sein Gedächtnis anstrengen, muss einen älteren Herrn ehrerbietig mit "My Lord" anreden - und gleichzeitig dringend zu vermeiden suchen, dass man ihn womöglich für den Angeklagten hält.

Ausgeruht und gut erholt

Letzteres dürfte Blairs Hauptinteresse sein, und so kommt es ihm natürlich zupass, dass er ausgeruht ist und gut erholt. Es ist ein konzentrierter, ruhiger und bestens vorbereiteter Mann, der sich da dem Untersuchungsrichter Brian Hutton und dessen Chefbefrager James Dingemans stellt und der sehr bald deutlich werden lässt, dass er keine Absicht hat, sich durch Fragen irritieren zu lassen oder sich gar eine Blöße zu geben.

Es geht immer noch um die Frage, welche Umstände Mitte Juli den ABC-Waffenexperten David Kelly in den Freitod getrieben haben. Der hatte sich die Pulsader der linken Hand aufgeschnitten, kurz nachdem bekannt geworden war, dass er die Hauptquelle für jenen Bericht des BBC-Reporters Andrew Gilligan gewesen war, in dem die Seriosität des Irak-Dossiers der Regierung vom vergangenen September angezweifelt worden war.

Um die skeptische Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Waffengangs zu überzeugen, ist laut Gilligan das Papier auf Drängen von Blairs Kommunikations-Direktors Alastair Campbell und entgegen den Wünschen der Geheimdienste durch die falsche Behauptung dramatisiert worden, Saddam Hussein sei in der Lage, seine Massenvernichtungsmittel innerhalb von 45 Minuten zum Einsatz zu bringen.

"Außerordentlich ernste Anschuldigung"

Das hieß nichts anderes, als dass der Premierminister das Land auf Grund von manipuliertem Beweismaterial in den Krieg geführt hatte - und entsprechend groß war denn auch die Empörung am Regierungssitz in der Downing Street. Für Blair, so formulierte er es am Donnerstag, war das eine "außerordentlich ernste Anschuldigung" - so ernst, dass sein Rücktritt erforderlich gewesen wäre, wenn sie denn gestimmt hätte.

Wieder und wieder kommt Blair in seiner Befragung auf diesen BBC-Bericht zu sprechen. Er sei nicht übermäßig empfindlich, sagt er, Kritik müsse man vertragen können in diesem Job. Aber hier sei es um seine Glaubwürdigkeit und die Integrität seiner Regierung gegangen. So stellt Blair es dar, und je länger er das tut, umso deutlicher wird das taktische Konzept, mit dem er sich auf diesen Auftritt vorbereitet hat.

Weil die Untersuchung des Richters Hutton längst keinen Zweifel mehr daran erlaubt, dass Blair persönlich den Fall an sich gezogen, Entscheidungen getroffen und so womöglich zur Verzweiflungstat des David Kelly zumindest beigetragen hat, macht es keinen Sinn mehr, diese zentrale Rolle zu leugnen. Stattdessen gilt es, sie zu begründen und zu erklären - und wie ginge das besser als damit, dass man die BBC-Beschuldigungen zur monumentalen Herausforderung verklärt?

Einer Herausforderung von solchen Ausmaßen, dass es des persönlichen Krisenmanagements von Blair sowie seiner höchsten und wichtigsten Helfer bedurfte, nachdem sich Kelly Anfang Juli gegenüber seinen Arbeitgebern im Verteidigungsministerium reumütig als Gesprächspartner des BBC-Reporters Gilligan geoutet hatte.

David Kelly am Pranger

Zu diesem Zeitpunkt war es noch eine interne Angelegenheit, aber wenige Tage später stand der Name in jeder Zeitung und Kelly am Pranger. Vor zwei Untersuchungskommissionen musste er sich äußerst unangenehmen Fragen stellen, kurz darauf war er tot. Das wirkte, als sei da einer gnadenlos in den Tod getrieben worden, und so kommt es, dass sich die Anhörung Blairs bald an der Frage festbeißt, wie und warum der Name Kelly in die Öffentlichkeit gelangen konnte.

Ganz einfach, sagt der Regierungschef, der an dieser Stelle vielleicht mit einer gewissen Erleichterung registriert, dass seine Rechnung aufzugehen beginnt: Weil man sonst womöglich der Vertuschung beschuldigt worden wäre. Es war ja so, dass einer der beiden Untersuchungsausschüsse kurz vor dem Abschluss seiner Arbeit stand - und wäre es nicht dessen Irreführung gleichgekommen, wenn man ihm das plötzliche Auftauchen der Gilligan-Quelle in Gestalt des David Kelly vorenthalten hätte?

Eine gewisse Glätte

Doch, doch, das macht schon Sinn, zumal, wenn man, wie Blair versichert, "alles den Regeln entsprechend" handhaben und sich keinesfalls irgendwelcher Täuschungen oder Versäumnisse schuldig machen wollte. Aber wäre es nicht möglich gewesen, die Sache so vertraulich zu behandeln, dass zwar der Ausschuss informiert worden, der Name Kelly gleichwohl vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben wäre?

Fragte Richter Hutton. Es ist dies die Frage, die womöglich entscheidend war für Tod oder Leben des David Kelly. Tony Blair war in seinem früheren Leben Anwalt, er kennt alle Tricks des Gewerbes und lässt den Richter mit einer Glätte, die sich sehr kalt anfühlt, ins Leere laufen: Wegen der hochempfindlichen Materie sei es besser gewesen, "offen" zu sein, und im Übrigen habe man ohnehin damit rechnen müssen, dass der Name bekannt werden würde.

Keine Eigentore, keine Blößen

Und der Druck, der damit auf Kelly lastete? Es habe keinen Hinweis gegeben, sagt Blair, dass Kelly nicht die "Robustheit" besessen habe, um mit der Situation fertig zu werden. Aber natürlich, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu, natürlich sei es "nicht sehr angenehm", unter das grelle Flutlicht der Medien zu geraten. So kann man es auch ausdrücken, und welchen Widerhall der Satz im Land haben wird, dürfte sich bald zeigen. Blair selber wird nicht unzufrieden sein mit seinem Auftritt. Keine Eigentore, keine Blößen, keine Schwachstelle - aber Sympathie?

Der Mann hat durch den Irak-Krieg und die Umstände, unter denen er begonnen wurde, einen Vertrauenseinbruch erlitten, doch mit seiner makellosen Vorstellung am Donnerstag dürfte er kaum Boden gutgemacht haben. Hutton mag Blair am Ende freisprechen von Schuld, doch die Geschworenen im Land, also die Wähler, werden in zwei Jahren womöglich ein ganz anderes Urteil fällen.

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