Reportage:Feuerprobe im Vorhof der Macht

Wie ein 26-jähriger deutscher Student einer der Berater des französischen Premierministers Raffarin wurde - und was er in Paris bewegen kann.

Von Gerhard Bläske

(SZ vom 26.11.2003) - Die Rue de Varenne mit ihren eleganten Stadtpalästen ist eine sehr gute Adresse in Paris. Im Hotel de Villeroy, Haus Nr. 80, befindet sich das Landwirtschaftsministerium, das Hotel de Gouffier de Thoix (Nr. 56) fällt durch das von einer steinernen Muschel gekrönte Portal auf, und das prachtvolle Hotel Biron (Nr. 77) kennen viele Paris-Touristen, weil es das Rodin-Museum beherbergt.

Mittendrin, auf Nummer 58, direkt gegenüber vom schlossähnlichen Palais Matignon, dem Amtssitz des französischen Premierministers, hat Christoph Gottschalk sein Büro. Gottschalk ist als "Conseiller Technique" einer der etwa 50 Berater des Regierungschefs Jean-Pierre Raffarin. Von seinen "Kollegen" unterscheidet er sich in zwei wesentlichen Dingen: Mit 26 ist der Student der Politischen Wissenschaften an der Freien Universität jünger als sie und - er ist Deutscher. Der einzige Ausländer im so genannten Kabinett Raffarins, der internen Beraterrunde des Regierungschefs.

Ohne Genehmigung der Presseabteilung des Premierministers ist kein Durchkommen zu dem groß gewachsenen, schlaksigen jungen Mann mit den blauen Augen, den nach hinten gekämmten blonden Locken und der Metallbrille. Gottschalks Büro, am Ende eines engen Gangs gelegen, ist eher bescheiden. In der Mitte steht ein repräsentativer, brauner Schreibtisch im Louis XVI-Stil, in der einen Ecke ein Computer, in der anderen ein Fernseher, auf dem gerade der Parlamentskanal eingeschaltet ist. Das Fenster geht auf einen idyllischen, begrünten Innenhof, in dem ein paar Autos parken.

Beraterstatus als Etappe auf der Karriereleiter

Gottschalk sitzt im Vorhof der Macht. In den Stab des Premierministers berufen zu werden, das ist schon was. Das Kabinett arbeitet dem Regierungschef unmittelbar zu, berät ihn, bereitet alle wichtigen Themen politisch vor und steuert häufig den politischen Kurs, auch wenn es letztlich der Premierminister ist, der entscheidet. Anders als in Deutschland, wo die Referenten oft direkten Kontakt zu den Ministern oder zum Regierungschef haben, dienen die Kabinette in Frankreich als Filter nach oben wie nach unten zur Verwaltung.

Besetzt werden sie fast ausschließlich mit Absolventen von Eliteschulen wie der ENA und anderer Kaderschmieden der Nation. Für viele von ihnen ist der Beraterstatus nur eine Etappe auf der Karrierestufe. Ein großer Teil der früheren oder heutigen französischen Minister und Wirtschaftsbosse hat so angefangen. Ein gewisser Jacques Chirac schaffte es später sogar bis in den Präsidentenpalast.

Dass der französische Premieminister ausgerechnet den deutschen Studenten holte, war kein Zufall. Zunächst einmal wurde damit ein Ungleichgewicht beseitigt, denn Kanzler Gerhard Schröder hatte mit der kürzlich verstorbenen Französin Brigitte Sauzay jahrelang eine französische Beraterin. "Deutschland ist nun bei jeder von Raffarins Entscheidungen präsent" freut sich Fritjof von Nordens kjöld, Deutschlands Botschafter in Paris.

Die Beziehungen der ehemaligen "Erbfeinden" sind sehr eng

Gottschalk ist bei fast allen Sitzungen dabei. Er wird oft gefragt, wie ein bestimmtes Thema in Deutschland gesehen wird und muss zum Beispiel erklären, wie es in Deutschland möglich ist, dass sich Opposition und Regierung auf eine Gesundheitsreform einigen können. Das ist in einer nach wie vor zerrissenen Gesellschaft wie der französischen mit immer wieder aufflammenden sozialen Konflikten gar nicht vorstellbar.

Nordenskjöld findet es wunderbar, dass Jean-Pierre Raffarin einen so jungen Mann geholt hat. Da ist nun jemand, der anders als die klassischen Deutschland-Spezialisten oder Diplomaten mit ihren oft gedrechselten Worthülsen, "ungefiltert vermitteln kann, wie die nachwachsende Generation tickt", meint der Botschafter. Denn die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den ehemaligen "Erbfeinden" sind zwar sehr eng.

Doch die vom Versöhnungsgedanken der Nachkriegszeit beseelte Generation, für die die deutsch-französische Freundschaft immer eine Herzensangelegenheit war, ist überaltert und tritt ab. Den meisten jungen Franzosen ist das Nachbarland gleichgültig.

Als Bassist in einer Blues-, Funk- und Rockband

In Frankreich wird Deutschland häufig als kalt, rigide und langweilig wahrgenommen. Die Sprache des Nachbarlandes wird kaum noch gelernt. Zwar gibt es zahlreiche Städtepartnerschaften. Doch wenn beispielsweise die Unterhachinger Blasmusik-Kapelle zum x-ten Mal in der Partnergemeinde Le Vésinet zum Volkstanz in bayerischer Tracht aufspielt, dann kann das junge Franzosen kaum noch hinter dem Ofen hervorlocken.

Christoph Gottschalk, der "clevere Junge" (Nordenskjöld) aus einer Mittelklasse-Familie im noblen Taunusort Kronberg, soll nun helfen, dass sich das ändert. Er kennt die Nöte und Bedürfnisse der jungen Generation. Gottschalk ist gewissermaßen ein Mustereuropäer. Aus einem bescheidenen Elternhaus stammend, wollte er, der seinen Vater schon mit 13 verlor, "schon immer etwas bewegen".

Er engagierte sich in der Schülervertretung, spielte jahrelang Bass in der Blues-, Funk- und Rockband "Georgia Jukin", mit der er auch eine CD aufnahm, studierte unter anderem im südfranzösischen Aix-en-Provence, machte Praktika beim Fernsehen und der Oper und arbeitete einige Monate beim Deutsch-französischen Jugendwerk, das unzählige Jugendliche beider Länder zusammenbrachte.

Mit dem Bus zum Bewerbungsgespräch

Im Europäischen Jugendparlament, dessen Präsident er zuletzt war, lernte er nach eigener Einschätzung, "diplomatischer zu werden, eigene Wahrheiten in Frage zu stellen und mit Vertretern anderer Länder auf einen Nenner zu kommen". Raffarins Umfeld wurde auf ihn aufmerksam, als er im Januar anlässlich des 40. Jahrestags des Elysée-Vertrags eine Diskussion von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Kanzler Gerhard Schröder mit Schülern moderierte.

Aus Geldmangel fuhr er am 9. Mai mit dem Bus zum Bewerbungsgespräch nach Paris. Obwohl es Mitbewerber gab, fiel die Entscheidung schnell: Noch am gleichen Abend stellte ihn Raffarin bei einem Empfang als neuen Berater vor. Gottschalk ist parteilos, doch er hat "keine Schwierigkeiten, ein Bekenntnis zu dem (rechten) Premierminister Raffarin abzugeben".

In seinem eleganten, dunklen Anzug unterscheidet sich der junge Mann zwar äußerlich kaum von seinen Kollegen in dem als arrogant und kalt verschrienen Elitezirkel der Berater des Regierungschefs. Dennoch ist er dort ein Exot, weil er weder den klassischen französischen Karriereweg beschritt noch Diplomat ist oder im Rahmen eines Austauschprogramms nach Paris kam.

In einigen Ländern gibt es gemeinsame Botschaften

Er bereichert das immer enger werdende Austauschgeflecht zwischen Deutschland und Frankreich. Frankreichs Europaministerin Noelle Lenoir, die im Sommer einen Intensiv-Sprachkurs in Tübingen gemacht hat, hat sich den Deutschen Christian Heldt als Berater geholt. Auch der junge Jan-Muck Schlichting arbeitet im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen Bundestag und Nationalversammlung im Auswärtigen Ausschuss des französischen Parlaments.

Die beiden Volksvertretungen haben jetzt sogar eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Abgeordneten beider Häuser gebildet, die sich regelmäßig trifft und zum Beispiel Arbeitsstrukturen harmonisieren will. Seit Mitte der Achtzigerjahre haben jeweils etwa 50 Beamte des gehobenen und mittleren Dienstes im jeweiligen Nachbarland Dienst getan.

In einigen Ländern gibt es gemeinsame Botschaften. In den Außen- und Finanzministerien sowie zwischen französischen Regionen und deutschen Bundesländern gehen auch auf Verwaltungsebene regelmäßig Beamte für ein paar Jahre ins Nachbarland. Sie arbeiten dort aktiv mit und bereiten beispielsweise, wie zum Beispiel der Deutsche Christian Dahlhaus, über ein knappes Jahr hinweg EU-Finanzministertreffen für den französischen Minister vor. Seit zwei Wochen wird in Frankreich sogar heftig über eine deutsch-französische Union debattiert.

Gottschalks Berufung nur ein Feigenblatt?

Auch Gottschalk sieht sich als Mittler und will sensibilisieren für Deutschland. "Es hilft zum Beispiel, wenn ich einem Kollegen empfehle, mal ins Kino zu gehen und Good Bye Lenin anzuschauen." Das eröffne dem ganz neue Horizonte. Doch als "Berater für Jugend, Kultur und Bildung" hat er auch konkrete Aufgaben zu erfüllen. Er soll dazu beitragen, die deutsch-französischen Beziehungen mit neuen Inhalten zu füllen.

Und es gibt noch viel zu tun für den jungen Mann, meint Botschafter Nordenskjöld. Die heutige Generation wolle konkrete Fortschritte bei der europäischen Einigung, und die seien nur zu erzielen, wenn Deutschland und Frankreich harmonierten. "Nur durch persönliche Kontakte können wir die Beziehungen voranbringen", sagt Gottschalk.

Die Benutzung eines gemeinsamen Geschichtsbuchs zum Beispiel, wie jüngst beim Treffen zwischen französischen Regionen und deutschen Bundesländern in Poitiers beschlossen, spiele da eine Rolle. Oder die Beseitigung rechtlicher Hindernisse, die es heute beispielsweise jungen Deutschen fast unmöglich machen, ein Praktikum in einem französischen Unternehmen zu absolvieren. All das seien Dinge, die junge Menschen wie Gottschalk interessieren - und die er deshalb beeinflussen kann.

Wichtige und spannende Aufgaben. Doch es gibt auch Zweifler, für die seine Berufung nur ein Feigenblatt ist. Nach dem Medienrummel um seine Nominierung muss sich der Deutsche nun im praktischen Alltag beweisen. Doch selbst wenn der angeschlagene Raffarin bald gehen sollte, bleibt es für Gottschalk persönlich doch eine tolle Erfahrung.

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