Reportage:Die Ohnmacht eines Mächtigen

Ein erlogener Krieg, eine peinliche Affäre, eine abgesprungene Kandidatin: Nach fünf Jahren an der Macht drohen George W. Bush schwarze Tage im Weißen Haus.

Christian Wernicke, Washington

Irgendwer im Weißen Haus hat vorigen Freitag einem Journalisten zugeflüstert, nun gehe "unsere Höllenwoche" zu Ende. Das Wort macht die Runde, blitzschnell. Weil es stimmt. Und weil, will man die wahre Stimmung im Hause Nummer 1600 Pennsylvania Avenue ertasten, nur anonyme Quellen etwas Greifbares hergeben.

Bush am 28. Oktober 2005

Bush am 28. Oktober 2005

(Foto: Foto: AP)

Was George W. Bush derweil zu sagen hat, ist kaum der Rede wert. Steif tritt der Präsident ans Pult, liest mechanisch ein Dutzend Sätze vom Blatt. Es sind Phrasen. Er sei "betrübt", dass einer seiner Berater nun vor Gericht steht, soeben habe er dessen Rücktritt angenommen. Besagter Lewis "Scooter" Libby habe "unermüdlich für das amerikanische Volk gearbeitet", seinem Vize-Präsidenten und ihm selbst "in außergewöhnlichen Zeiten gedient". Das war's, Bush eilt zum Hubschrauber, will hinaus ins Wochenende, auf seinen Landsitz Camp David. Noch ein Wink, weg ist er.

Endlich raus aus der Hölle, fort von den Krisen. Alles kam auf einmal über ihn, wie ein Fluch. Erst raffte der Irak-Krieg Mitte der Woche den zweitausendsten US-Soldaten dahin. Dann erlitt Harriet Miers, Bushs Kandidatin für den Supreme Court, einen jähen politischen Tod. Und seit Freitag ist nun Lewis "Scooter" Libby zum negativen Symbol dieser Regierung geworden: Fünffach sieht sich der bisherige Büroleiter von Vize-Präsident Richard Cheney dem Vorwurf des Meineids, der Falschaussage und der Behinderung der Justiz ausgesetzt. Das könnte ihm, rein theoretisch, 30 Jahre Gefängnis einbrocken. Und weil Libby sich obendrein den linken Fuß gebrochen hat, geht nun ein Bild um die Welt: die Bush-Truppe hinkt.

Heim nach Crawford

Im Fernsehen hat der Präsident gesehen, wie Sonderermittler Patrick Fitzgerald sein Urteil verkündete: In der Affäre um die widerrechtlich enttarnte CIA-Agentin Valerie Plame habe Libby gelogen. Bush bleibt als schwacher Trost, dass die Beweise nicht ausreichen, um den 55-jährigen Juristen auch des Geheimnisverrats aus Rache anzuklagen. Im Auftrag der CIA hatte Plames Ehemann Joseph Wilson 2002 im afrikanischen Niger Gerüchten nachgespürt, Saddam Hussein wolle sich Uran besorgen.

Falscher Alarm, beschied der Diplomat. Nachdem die Bush-Regierung die Affäre dennoch zum Kriegsmotiv hochgespielt hatte, bezichtigte Wilson das Weiße Haus öffentlich der Manipulation. Acht Tage später stand die zweite Identität seiner Frau in der Zeitung.

Die Ohnmacht eines Mächtigen

Wer die Quelle war, bleibt rätselhaft. Klar ist nur, dass Libby jede Spur ins Büro des Vize-Präsidenten mit Sekundär-Straftaten zu verwischen suchte. Alles halb so wild? "Die Vertuscherei ist immer schlimmer als das eigentliche Verbrechen", warnt der Harvard-Professor David Gergen, "dieser Prozess wird aufrollen, wie wir in den Krieg zogen." Der Mann weiß, wovon er redet, diente er doch vier Präsidenten als Berater. Sein erster Chef war Richard Nixon.

Nein, aus Plamegate wird kein Watergate. Und dennoch wirkte George Walker Bush in den Tagen vor der Anklage gereizt, launisch und ungewöhnlich nervös. Das jedenfalls tuscheln Mitarbeiter auf den Korridoren des Weißen Hauses Journalisten zu. Wo immer der Präsident auftaucht, scheint er merkwürdig entrückt. So als möchte er gedanklich in eine andere, in seine eigene Welt entkommen.

Manchmal scheint es, als wolle er sich und seinem Publikum einreden, da habe die vergangenen knapp fünf Jahre ein ganz anderer im Weißen Haus gesessen: Bei einer fahrigen Rede vor Washingtons Economic Club, einer ihm wohl gesonnen Runde, schiebt Bush Mitte voriger Woche allein dem Kongress die Schuld dafür in die Schuhe, dass im Bundeshaushalt ein riesiges Loch klafft. Und überhaupt, alle "diese Leute da in Washington" müssten endlich begreifen, welchen Segen der freie Welthandel übers Land bringe. Als gehöre er nicht hierher, als wolle er heim nach Crawford auf die Ranch. Kleine Fluchten.

"Da kommt er schwer raus ohne seinen rechten Arm"

Aber Bush entkommt der Krise nicht. Der Prozess gegen Lewis "Scooter" Libby wird sich hinziehen, bis weit hinein ins Wahljahr 2006. Absehbare Krönung dürfte der Auftritt des Zeugen Richard Cheney werden, amtierender Vize-Präsident der Vereinigten Staaten und bisheriger Dienstherr des Delinquenten. Und auch Karl Rove, Bushs Mastermind, ist noch nicht aus dem Schneider: Die Ermittlungen gegen ihn laufen weiter. "Es ist noch nicht vorbei", droht Staatsanwalt Fitzgerald. Rove fühlt sich dennoch sicher. Er mimt den Clown am Potomac. Wann immer er vor seinem Haus Journalisten erspäht, zieht er Grimassen hinterm Fenster, winkt er grinsend der Meute zu. Oder salutiert vor Fotografen, wie einst der brave Soldat Schweijk.

Rove wusste offenbar mal wieder etwas mehr als alle anderen: Dass die Beweise nicht ausreichen würden, um ihn jetzt neben Libby wegen Falschaussage auf die Sünderbank zu setzen. Dabei hatte Rove in einer ersten Anhörung vor der Grand Jury zunächst verschwiegen, dass auch er im Sommer 2003 eifrig gegenüber Journalisten über die Frau des Nestbeschmutzers Joseph Wilson getuschelt hatte. Nur war er schlau genug, nicht den Namen Valerie Plame auszuplaudern. Dass Rove sein Büro nahe des Oval Office vorerst nicht räumen muss, nimmt die Bush-Truppe mit Erleichterung auf. Dessen Finessen und Finten braucht der Präsident jetzt, um sich irgendwie aus seinem Schlamassel zu befreien.

"Bush steckt im tiefsten Loch seiner Präsidentschaft", erläuterte David Gergen, der Harvard-Experte, Minuten vor der vorläufigen Nicht-Anklage von Rove live auf CNN: "Da kommt er schwer raus ohne seinen rechten Arm." Der Arm ist noch dran, bleibt aber - solange der Sonderermittler das Verfahren nicht endgültig einstellt - blessiert und in Gips gelegt.

Die Ohnmacht eines Mächtigen

Seit September ist Rove, der Stratege, durch den Skandal lädiert. Zuletzt zog sich der dickliche Herold der Republikaner fast ganz zurück, sagte kurzfristig sogar Veranstaltungen ab, bei denen die Partei um reiche Spender buhlte. Der Präsident mühte sich tapfer, den grauen Himmel über dem Weißen Haus blau zu reden. Ein Hurrikan über dem Weißen Haus? Ach was: Das seien nur "Hintergrundgeräusche, eine Menge Gerede, viele Spekulationen und Meinungsmacherei", sagte Bush an einem trüben Nachmittag im Rose Garden. Derweil räumten Mitglieder des innersten Zirkels im Weißen Haus anonym ein, die Angst vor dem Staatsanwalt "beginnt den Regierungsbetrieb zu lähmen". Schwerste Managementfehler, zum Beispiel des Präsidenten peinliches Zaudern angesichts der Flutkatastrophe in New Orleans, seien auch eine Folge von Plamegate.

Schlimmer noch aber war "das andere Desaster" - der im Oktober so grotesk missratene Versuch, die unscheinbare Bush-Vertraute Harriet Miers als schillernde Kandidatin für den Supreme Court zu vermarkten. Da war Chefberater Karl Rove wieder mal mit sich selbst beschäftigt; er musste nachsitzen bei Sonderermittler Fitzgerald. So fehlte ihm die Zeit, seine Fäden zu spinnen und die rechtskonservative Basis auf Linie zu bringen. Prompt kam es zum Aufstand. Die intellektuellen Führer der Rechten revoltierten gegen die "Zumutung" einer "derartig unfähigen Kandidatin", die Kolumnistin Ann Coulter verhöhnte die Rechtsberaterin als "Putzfrau des Weißen Hauses".

Warten auf Applaus

Bush hat die Kontrolle über jene radikalen Geister verloren, die ihn noch bei der Wahl vor elf Monaten zum zweiten Mal ins Weiße Haus trugen. Bei einer Pressekonferenz muss er sich die Frage gefallen lassen, ob er überhaupt noch ein Konservativer sei. "Wie bitte?" Zwei, drei sehr lange Sekunden vergehen, ehe er sich fängt: "Ich bin noch immer ein Konservativer - mit Stolz, mit Stolz."

Der 43. Präsident, seit September 2001 zum Haupt und Führer der Nation stilisiert, schrumpft binnen Wochen zum Hansel und Fähnrich der Rechten. Im Weißen Haus herrscht Panik. Hektisch präsentierte die dortige PR-Abteilung dem Wahlvolk jeden Tag ein anderes Argument, warum ausgerechnet diese Harriet Miers "die beste aller Kandidaten" für das höchste Gericht sei: erst emanzipierte Karrierefrau, dann bibelfeste Abtreibungsgegnerin, schließlich treue Dienerin des Präsidenten. Also crony, Günstling. Der Wirrwarr der Argumente erinnert fatal an die Tage vor dem Marsch auf Bagdad: Auch damals wechselte man die kausale Verkleidung der Causa Irak wie die Hemden. Vergangenen Donnerstag gibt Harriet Miers entnervt auf, waidwund geschossen von den eigenen rechts-republikanischen Milizen. Im Irak geht der Krieg weiter, für 150.000 Landsleute. Jeden Tag.

Die Ohnmacht eines Mächtigen

Inzwischen nennt Bush nur noch einen Grund, warum er 2003 in den Krieg zog: Nein, kein Wort mehr von Saddams vermeintlichen ABC-Waffen - Amerikas Militärschlag habe vielmehr den Irakern Freiheit und Volksherrschaft geschenkt, "und die Demokratie hat die Fähigkeit zu helfen, den Frieden zu bewahren". Diesen Glaubenssatz verkündet er täglich. In seinen Reden legt Bush an dieser Stelle meist eine kurze Pause ein, blinzelt entschlossen ins Publikum, wartet auf Applaus. Der kommt, aber nur noch lauwarm. Selbst die republikanischen Weggefährten, vor denen der Präsident vorige Woche bei einem Bankett sprach, legen nach wenigen Sekunden die Hände wieder in den Schoß. Es ist jener Abend, an dem die Statistiker drüben im Pentagon den zweitausendsten im Irak gefallenen Soldaten zählen.

Freiheit ist Frieden? Dass Demokratien widerwilliger und seltener Kriege anzetteln als despotische Regime, davon ist auch Oberst Lawrence B. Wilkerson überzeugt. Aber, so sagt der engste Mitarbeiter von Ex-Außenminister Colin Powell inzwischen, vor dem Waffengang nach Bagdad habe jegliche Kontrolle versagt. "Engstirnig und geheimniskrämerisch" habe eine Bande neokonservativer Ideologen den Krieg ausgeheckt: "Die Entscheidungen wurden auf eine Art gefällt, wie man sie eher mit einer Diktatur als einer Demokratie verbinden würde."

Als die Regierung Geisel wurde

Was Oberst Wilkerson schildert, liefert der kleinlichen Juristerei um eine enttarnte Agentin den historischen Rahmen. Und es erklärt, warum mit dem Angeklagten Libby dem gesamten politischen Aufmarsch zum Irak-Krieg der Prozess gemacht werden könnte.

Spätestens im Spätsommer 2002 ist die Bush-Regierung zur Geisel von zwei Männern geworden: "Was ich sah war eine Verschwörung zwischen dem Vize-Präsidenten der Vereinigten Staaten, Richard Cheney, und dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld", sagt Wilkerson. Einer Clique neokonservativer Falken gelang es, den gesamten außenpolitischen Apparat zu umgehen, inklusive aller Bedenkenträger in der CIA und im State Department. Der Kongress schlief, die damalige Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice griff kaum ein. Und an der Schnittstelle zwischen Pentagon und Weißem Haus saß ein Mann - Lewis Libby, der wohl mächtigste Stabschef des mächtigsten Vize-Präsidenten der USA.

Wie diese Kabale zum Krieg seinerzeit funktionierte, dürften Millionen Amerikaner nun per Gerichtsreport im Fernsehen erfahren. Dabei ist es eigentlich nicht neu. Der Enthüllungs-Journalist Seymour Hersh vom New Yorker, sogar ausländische Medien wie die ZEIT, haben es bereits vor zwei Jahren beschrieben - als Methode "Ofenrohr": Eine singuläre Feuerstelle im Pentagon darf ihre vermeintlichen Erkenntnisse ungefiltert ins Weiße Haus blasen.

Die Ohnmacht eines Mächtigen

Pentagon, vierter Stock, siebter Korridor, Ring D. Hier residiert das Office of Special Plans (OSP), eine kleine, schlagkräftige Truppe, die sich fast ausschließlich mit einem Land beschäftigt - dem Irak. Ihr Chef ist wieder ein Intimus von Richard Cheney, seine Arbeitsweise denkbar einfach: Alle noch so obskuren Hinweise auf Massenvernichtungswaffen im Reich des Saddam Hussein werden zu Horrorszenarien verdichtet.

Das Gleiche gilt für jedes Indiz einer angeblichen Verbindung zwischen dem Diktator und dem Terrornetzwerk al-Qaida- gesucht und gefunden wird nur, was man den Feinden Amerikas ohnehin unterstellt: eine Allianz des Bösen.

Anrufe in letzter Minute

Auch die Mär von Saddams Urangeschäften im Niger wird vom OSP genährt. Außenminister Powell, hinterrücks von der CIA mit Zweifeln munitioniert, weigert sich zwar, diese Geschichte bei seinem legendären Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 vorzutragen - ein 48 Seiten dickes Libby-Memo verwirft er als "Blödsinn", Anrufe aus dem Vorzimmer des Vize-Präsidenten noch Minuten vor seiner UN-Rede bleiben ohne Wirkung. Aber Powell geht anderen Fabrikationen des OSP auf den Leim - "ein Schandfleck meiner Karriere", wie er heute einräumt. Egal, die Rumsfeld-Cheney-Connection hatte ohnehin gewonnen. Acht Tage zuvor, am 28. Januar 2003, verkündete George W. Bush vor dem US-Kongress, der Irak feilsche in Afrika um Uran. Eine Behauptung, die er später korrigiert. Nach dem Krieg.

Heute mag von alldem im Weißen Haus niemand mehr reden. Aber im Juni und Juli 2003, als die US-Truppen im Irak partout keine ABC-Waffen fanden und der US-Diplomat Joseph Wilson der Regierung Beweisfälschung zum Zweck einer Invasion vorwarf - schlug das Imperium zurück. Mrs. Wilson wurde als Agentin Valerie Plame geoutet, und die CIA - Verlierer im internen Krieg um den Krieg - nahm Rache: Es war der Geheimdienst, der 2003 verlangte, diesen Fall von Verrat strafrechtlich zu verfolgen.

Nun, im Herbst 2005, hat Plamegate das Weißen Haus erreicht. Lewis "Scooter" Libby räumt sein Büro, gibt an der Pforte seinen Sicherheitsausweis ab. Er verlässt das Weiße Haus und beteuert, auf Krücken, seine Unschuld. Die Hölle hat er hinter sich, jetzt erwartet ihn das Fegefeuer der Justiz.

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