Reparationen:Deutschlands Schuld gegenüber Polen

Reparationen: Hunderttausende demonstrieren im Mai 2016 gegen die rechte regierenden Pis-Partei.

Hunderttausende demonstrieren im Mai 2016 gegen die rechte regierenden Pis-Partei.

(Foto: AFP)

Die Bundesrepublik muss Polen keine Milliarden an Kriegsentschädigung mehr bezahlen. Trotzdem steht sie in der Schuld des Nachbarn: Sie muss die Freiheit der Polen verteidigen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Zu den Sternstunden Europas gehört die Aussöhnung Deutschlands mit zwei Nachbarn: Im Westen wurde der "Erbfeind" Frankreich zum engsten Freund. Im Osten wurde Polen, das die Nazis wie kein anderes Land geschunden hatten, zum Partner und dann ebenfalls zum Freund. Es sind solche Erfolge, ja Wunder, welche die EU über einen gewöhnlichen Staatenbund hinausheben. In ihnen klingt eine Zeile aus der Europahymne an: "Alle Menschen werden Brüder."

Jetzt aber steht die Freundschaft mit Polen wieder infrage. Der Streit über die Justizreformen der nationalistischen Regierung in Warschau, über die Flüchtlingspolitik oder über die Wirkung deutscher Investitionen entfremdet die beiden Nachbarländer. Nun kommt ein Thema hinzu, das emotional hoch aufgeladen ist: Weltkriegs-Reparationen.

Polnische Spitzenpolitiker wie Jarosław Kaczyński, Chef der regierenden Pis-Partei und starker Mann des Landes, fordern, Deutschland müsse für seine Verbrechen an den Polen im Zweiten Weltkrieg bezahlen. Von einer Billion Dollar ist die Rede, etwa dem Dreifachen des polnischen Staatshaushalts. Kaczyński spricht von einer "historischen Gegenoffensive". Berlin muss damit rechnen, dass sie lang und heftig wird.

Deutsche und Polen leben in der Schicksalsgemeinschaft der EU zusammen

Zwei Antworten gibt es darauf: eine juristische und eine politisch-moralische. Die juristische ist einfach: Der Anspruch auf Reparationen ist erloschen. Denn zur Entschädigung für die Besatzung, Zerstörung und Plünderung des Nachbarlandes hat Deutschland seine Gebiete östlich der Flüsse Oder und Neiße an Polen übergeben müssen, wodurch Millionen Deutsche Heimat, Hab und Gut verloren. Zudem hat die polnische Regierung 1953 auf die Zahlung weiterer Reparationen verzichtet. Jetzt behauptet Warschau, dies sei unwirksam gewesen, weil Polen damals unter Kuratel der Sowjetunion gestanden habe. Folgt man dem, müsste man alle Verträge der früheren Warschauer-Pakt-Staaten für nichtig erklären. Davon kann im Völkerrecht keine Rede sein.

Doch selbst wenn Entschädigungsansprüche fortbestanden hätten, hätte Polen sie 1990 im Umfeld der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen geltend machen müssen, die eine Friedensregelung für Deutschland brachten und den Weg zur Wiedervereinigung öffneten. Das hat Polen aber nicht getan. Berlin kann die Reparationsforderungen daher zurückweisen.

Die politisch-moralische Antwort ist komplizierter. Hier geht es nicht ums Rechthaben, sondern ums Überzeugen. Deutsche und Polen leben in der Schicksalsgemeinschaft der EU zusammen. Sie leiden unter denselben Gefahren: ein aggressives Russland, erratische USA, ein dominanter werdendes China, Terrorismus oder turbokapitalistische, maßlose Internetkonzerne. Berlin und Warschau haben daher alles Interesse daran, gut zusammenzuarbeiten. Beide profitieren vom wirtschaftlichen Austausch und vom Zusammenwachsen Europas. Polen erhielt und erhält zudem Milliarden an Hilfen, die via Brüssel auch aus Deutschland kommen. Der Ruf nach neuen Reparationen klingt da falsch.

Polens Freiheit ist nicht nur von außen bedroht

Politisch muss Berlin für diese Einsicht bei den Polen werben. Kaczyński und seine Regierung wird das allerdings kaum berühren. Denn diese suchen Streit mit Deutschland, um den Nationalismus zu befeuern und ihre Anhänger aufzuputschen - eine ähnliche Strategie, wie sie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolgt. Vielen anderen Polen aber ist an der polnisch-deutschen Freundschaft in einem starken Europa gelegen. Sie dürften sogar in der Mehrheit sein. Sie gilt es zu gewinnen.

Moralisch steht Deutschland - insofern hat Kaczyński recht - bei den Polen in der Schuld. Die Verbrechen der Nazis, die Millionen Polen das Leben kosteten, haben das Land ausgeblutet und dazu geführt, dass es unter das Joch der Sowjetunion geriet. Daher steht Deutschland besonders in der Pflicht, sich für die Freiheit Polens einzusetzen. Daher darf Deutschland nie wieder Geschäfte mit Russland auf dem Rücken der Polen machen.

Polens Freiheit ist jedoch nicht nur von außen bedroht. Die größte Gefahr kommt gerade von der Regierung selbst. Diese zertrümmert den Rechtsstaat, beseitigt die Gewaltenteilung und bekämpft die Meinungsvielfalt, als wolle sie das Werk der kommunistischen Herrscher fortführen. Gerade aufgrund der Geschichte darf Berlin nicht wegsehen, wenn die Polen heute wieder entmündigt werden sollen, und sei es von ihrer eigenen Regierung. Die Bundesregierung braucht keine Milliarden an Kriegsentschädigung zu zahlen. Aber sie muss in der EU darauf dringen, die Exzesse der Pis-Regierung zu beenden. Das ist die wertvollste Reparation, die Deutschland an Polen leisten kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: