Renten-Diskussion:Eine Zukunft voll ängstlicher Wenns

Warum sollte ein junger Mensch nicht auch selbst für sein Alter vorsorgen? Die Antwort ist simpel: Weil er es nicht kann. Lebensläufe sehen anders aus als zu der Zeit, in der die Eltern heutiger Berufseinsteiger zu arbeiten begonnen haben - sie sind voller Brüche. Deswegen ist es umso wichtiger, dass endlich in Berlin debattiert wird. Wer nicht mehr an den Sozialstaat glaubt, der pflegt ihn auch in Zukunft nicht.

Charlotte Frank

Die Zukunft? Das ist das gründlich andere. Alles zu seiner Zeit. Die Zukunft, die Schönheit und die Vollkommenheit, die sparen wir uns auf, eine Belohnung eines Tages, für unermüdlichen Fleiß. Dann werden wir etwas sein, dann werden wir etwas haben." Es war Mitte der sechziger Jahre, als Christa Wolf diese Sätze schrieb, in ihrem Roman "Nachdenken über Christa T.", im zerrütteten Ostdeutschland.

Rische glaubt nicht an baldige Angleichung von Ost- und West-Renten

Rentner am Ammersee: Endlich wird in Berlin über Altersarmut diskutiert.

(Foto: ag.ddp)

Heute, im vereinten, wohlhabenden Deutschland, lassen sie einen innehalten. Nicht etwa, weil man als junger Mensch nicht mehr an die Schönheit der Zukunft glaubte. Sondern, weil man Wolfs Sätzen so viele Wenns anhängen möchte: "Dann werden wir etwas sein" - wenn wir privat vorgesorgt haben. "Dann werden wir etwas haben" - wenn wir uns zusatzversichert haben. Dann winkt die "Belohnung für unermüdlichen Fleiß" - wenn wir zu aktiven Zeiten bloß nicht als Kassiererin, Kellner oder anderer Niedriglöhner fleißig waren.

Der Blick junger Menschen in die Zukunft ist voll ängstlicher Wenns. Diese sind der Nährboden für den Radikalindividualismus und die egomane Zielstrebigkeit, die ihnen oft vorgeworfen werden - ausgerechnet von jenen, die diese Wenns nicht kennen. Weil sie auch das Gefühl nicht kennen, in einem Sozialstaat aufzuwachsen, der seine grundsätzlichen Versprechen nicht mehr grundsätzlich hält - etwa das einer existenzsichernden Rente. Weil ihnen nicht schon mit dem Start ins Berufsleben zugerufen wurde: Kümmert euch selbst!

Es ist gut, dass in Berlin nun diskutiert wird, was eigentlich passiert, wenn sich einer nicht selbst kümmern kann. Auch wenn über das hehre Ziel, die Bekämpfung der Altersarmut, die Mittel wild durcheinandergeraten.

Wer in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland erwachsen geworden ist, kennt keine andere Sozialpolitik als die des Verschlankens. Egal, ob die Sozialhilfe reformiert wurde, die Arbeitslosen-, Kranken- oder Rentenversicherung: Immer stand der Gedanke im Mittelpunkt, dass die Deutschen endlich mehr Verantwortung für ihren Lebenslauf übernehmen müssen. Das ist nicht unvernünftig. Auf die Rente bezogen: Warum sollte ein junger Mensch nicht auch selbst für sein Alter vorsorgen? Die Antwort ist simpel: weil er es nicht kann.

Eine Zeit der Unwägbarkeiten

Lebensläufe sehen heute völlig anders aus als zu der Zeit, in der die Eltern heutiger Berufseinsteiger begonnen haben. Im Durchschnitt fangen die Deutschen erst mit 25 Jahren zu arbeiten an, oft unter großen Schwierigkeiten. Sie heißen Befristungen, überlange Probezeiten, Praktika, Unterbezahlung, Armut an Perspektiven. Das gilt für Schulabbrecher genauso wie für Uni-Absolventen.

Aber selbst jene, die es auf eine feste Stelle geschafft haben, arbeiten in dem Wissen, jederzeit mit Unterbrechungen ihres Erwerbslebens rechnen zu müssen. Sie verdienen ihr erstes Geld in einer Zeit der Unwägbarkeiten. Wie soll Vertrauen in die Märkte als Basis ihrer individuellen Altersvorsorge wachsen, wenn eine Krise die nächste jagt? Wie soll Vertrauen in sozialpolitische Prinzipien wachsen, wenn diese Jahr um Jahr zusammengestrichen werden?

Unter diesen Bedingungen kann Vertrauen nicht wachsen. Kein Wunder also, dass zu wenige in der Generation der Berufsanfänger tatsächlich Geld für die private Altersvorsorge sparen. Und diejenigen, die es tun, setzen zu kleine Beträge ein. Es nutzt nichts, diesen Umstand zu beklagen. Es nutzt auch nichts, immer wieder zu erklären, was geschähe, wenn man in Zukunft zu einer rein staatlichen Daseinsfürsorge zurückkehrte. Die jungen Menschen kennen die vielen Wenns ihrer Zukunft. Sie wissen, dass sie selbst vorsorgen müssen. Aber offensichtlich ist: Viele überfordert das.

Es ist überfällig, auf diese Überforderung einzugehen. Die Debatte über Altersarmut künftiger Generationen, die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen angestoßen hat, tut das. Sicher, die Ministerin hat sich in der Ausgestaltung verrannt: Ihre Zuschussrente ist an zu viele Wenns geknüpft, sie basiert auf einer riskanten Verflechtung grundsätzlicher Prinzipien des Sozialstaats, des Versicherungs- und des Fürsorgeprinzips. Sie ist ungerecht, weil sie die Verantwortung für arme Rentner allein den rentenversicherten Bürgern aufbürden will - und nicht allen. Aber bei all diesen Schwächen: Endlich wird in Berlin über Altersarmut diskutiert. Das ist wichtig.

Denn jeder sollte sich fragen, ob er wirklich in einem Staat leben will, in dem junge Menschen dem Versprechen misstrauen müssen, in Würde altern zu können. Es ist eines der wichtigsten Versprechen des Sozialstaats, in das der Glauben verloren geht. Aber wer an den Sozialstaat nicht mehr glaubt, der pflegt ihn auch in Zukunft nicht.

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