Renate Künast: Kampf ums Rote Rathaus:Die Kandidatin übt noch

"So was von irre": Renate Künast hat ihren Aufgalopp in Berlin verstolpert, und zwar gründlich. Die Kandidatin für das Bürgermeisteramt verschreckt Berlins Grüne mit forschen Äußerungen über heikle Themen - und plötzlich hat Klaus Wowereit gute Laune.

C. von Bullion

Klaus Wowereit hat seit ein paar Tagen ganz außerordentlich gute Laune. Am Dienstagabend zum Beispiel sitzt er unter Fachwerkbalken im Alten Zollhaus am Kreuzberger Landwehrkanal und juxt vergnügt über seinem Weinglas herum. Das Restaurant ist eines von der teureren Sorte, die Kerzen brennen, die Tische sind weihnachtlich gedeckt, der Regierende Bürgermeister hat die Berliner Rathausreporter zum traditionellen Gänsebraten eingeladen. Aber noch bevor die Hauptstadtjournaille sich an Amuse-Gueule-von-Irgendwas machen darf, steht Wowereit auf und serviert genüsslich ein paar Spitzen gegen seine Rivalin Renate Künast.

Ja ja, sagt er, es sei schon lustig, wie die Chefin der Grünen im Bundestag sich zurückbewege in die Berliner Landespolitik. Neulich habe er "das Renatchen" zum Beispiel im Cafe Einstein gesehen, beim Gespräch mit einem Pressefritzen. Künast ist ja viel in den Zeitungen, seit sie Berliner Bürgermeisterin werden will. Aber. Na ja. Wowereit lächelt gönnerhaft. Er jedenfalls sei sicher, auch nächstes Jahr wieder in diesem herrlichen Etablissement tafeln zu können. "Das setzt natürlich voraus, dass ich", Kunstpause. Dass ich wieder gewählt werde, denkt man. "Dass ich wieder eingeladen werde", sagt er. Eingeladen von den Wirtsleuten, lautet die Botschaft. Gewählt werde er sowieso.

So viel Frohsinn war lange nicht im Hause Wowereit, über Monate drangen aus dem Roten Rathaus vor allem dröge und missmutige Töne. Nach zwei Amtszeiten wirkte der Regierende Bürgermeister nicht so, als würde er sich wirklich nach einer dritten sehnen. Und was immer er unternahm, um interessierter zu erscheinen, er wurde als Berlins lahmste Ente wahrgenommen. Das könnte sich nun ändern, jedenfalls hoffen sie das in der Berliner SPD. Denn erstens ist Wowereit so ein Typ, der erst richtig in Fahrt kommt, wenn er einen ernst zu nehmenden Gegner hat. Jemanden mit Haaren auf den Zähnen, und an denen fehlt es Renate Künast ja nicht. Und zweitens beobachten Wowereits Leute begeistert, dass die Grüne ihren Aufgalopp in Berlin verstolpert hat, und zwar gründlich.

Es geht schon los, als Renate Künast am 5. November unter klassizistischen Arkaden eines Berliner Museums steht und ruft: "Ich bin bereit!" Sie ist bereit zur Spitzenkandidatur, will "eine für alle" sein und Berlin befreien von einer lausigen Regierung, sagt sie. Wie das genau gehen soll, sagt sie nicht, überhaupt ist die Ansprache eher ordentlich als brillant. Das aber ist es nicht, was in der grünen Gefolgschaft für Irritation sorgt. Es ist der Eindruck, dass Künast mit angezogener Handbremse startet, emotional gebremst, dass sie vielleicht gar nicht wirklich will, zurück zum Landes-Kleinklein.

Künast spricht bei ihrer Bewerbung lange über Schulen und ihre Riesenprobleme in armen Bezirken. So geht das nicht, sagt sie, da muss angepackt werden. Berlin laufen junge Lehrer davon, weil sie in fast allen anderen Bundesländern verbeamtet werden. Man müsse darüber nachdenken, ob Berlin seine Lehrer wieder verbeamten sollte, sagt Künast. Wie bitte? Der grüne Bildungsexperte Özcan Mutlu wird leise anmerken, es sei mit der Nachhaltigkeit nicht gut vereinbar, künftigen Generationen neben Berlins Milliardenschulden auch noch Beamtenpensionen zu hinterlassen. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann muss nachbessern. Er macht inzwischen kein Hehl mehr daraus, dass es da, nun ja, zu Missverständnissen gekommen sei. "Verbeamtung wäre eine Katastrophe", sagt er. Er meint: für den Landeshaushalt. "Aber es kann sein, dass wir es machen müssen." Er meint: Damit Berlin für Lehrer attraktiv bleibt. "Nichts anderes hat Renate gesagt." Wirklich?

Na ja, denken sie bei den Berliner Grünen am Anfang noch, Renate ist halt noch nicht so im Stoff. Sie selbst denkt das offenbar nicht, jedenfalls gibt sie dem Tagesspiegel kurz nach ihrer Nominierung ein Interview, das ihr Pressesprecher im Bundestag gegengelesen haben dürfte, aber keiner von den Kleinkrämern im Abgeordnetenhaus. Auf die Frage, ob sie Gymnasien abschaffen will, sagt Künast munter, in der nächsten Legislaturperiode nicht. "Danach muss man weitersehen." Zur Frage, ob sie Tempo 30 will in der ganzen Stadt, sagt sie, dass sie "mehr Mobilität" will, aber weniger Lärm und Spritverbrauch.

Die Stimmung in der Presse kippt

Und dann passiert, worauf sie wohl nicht gefasst ist. Die Stimmung in der Presse kippt. Nach Monaten im Grünenrausch, der Künast zahllose Schmeichelporträts beschert hat, und ihrer Partei Umfragewerte von bis zu 30 Prozent, wird sie plötzlich an Inhalten gemessen. "Künast für Tempo 30 in ganz Berlin", steht am nächsten Morgen auf Seite 1 des Tagesspiegel, und dass sie das Gymnasium vielleicht abschaffen will. So hat sie das zwar nicht gesagt, aber das Ding lässt sich nicht zurückholen. Jetzt regen sich die neuen grünen Zielgruppen auf, ausgerechnet: enttäuschte FDP-Wähler mit Kind im Gymnasium, CDU-verdrossene Automobilisten, Taxifahrer.

Mitgliederabend der Berliner Grünen - Künast

Renate Künast will erste Regierende Bürgermeisterin Berlins werden.

(Foto: dpa)

Und damit nicht genug. Auch die Berliner Unternehmerschaft, in der nicht wenige mit grünen Ideen sympathisieren, vergrault Renate Künast. Es geht um den Großflughafen BBI, gegen den seit Monaten protestiert wird. Wowereit haben die Demonstranten ausgepfiffen, also geht Renate Künast mal zu einer Demo. Am Morgen hat sie noch schnell ein Radiointerview gegeben und mit den Flugrouten mal eben den ganzen Großflughafen in Frage gestellt, der ja nicht unbedingt ein Drehkreuz mit Interkontinentalverbindungen werden müsse, sondern vielleicht nur eine "Europaverbindung".

Fahrlässig, sagen jetzt die Unternehmer. "So was von irre", sagt Klaus Wowereit. "Vielleicht müssen wir uns noch besser absprechen", sagt Grünen-Fraktionschef Ratzmann. Er hört sich nicht übermäßig glücklich an in diesen Tagen.

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