Renate Künast im Interview:"Wir bleiben auf dem Teppich"

Keine "Elite-Partei", sondern Vertreter der "kreativen Klasse": Fraktionschefin Renate Künast über das neue Wählerklientel der Grünen - und warum die Partei auch für Schichtarbeiter und Migranten attraktiv ist.

C. von Bullion und M. Bauchmüller

SZ: Frau Künast, bei den Grünen jagt eine gute Umfrage die nächste, in Berlin liegen sie mit 27 Prozent schon vor der SPD. Wie erklären Sie sich das?

Grüne erstmals stärkste Kraft in Berlin

Die doppelte Fraktionschefin - bald mit doppeltem Gewicht? Renate Künast kann sich freuen: Die Umfragen prophezeien ihren Grünen immense Zugewinne.

(Foto: dpa)

Künast: Mit der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit grüner Politik. Es hat auch damit zu tun, dass die Mitte der Gesellschaft sich verändert hat. Ob Sie die Krankenschwester, den Akademiker oder den Facharbeiter nehmen: Sie alle zählen zum werteorientierten Bürgertum. Die Grünen sind eine Partei, die an diesen Werten systematisch und nicht nach Klientelinteressen festhält.

SZ: Viele sehen die Grünen als Partei akademischer Eliten und Gutverdiener.

Künast: Schön wär's, wenn eine gute Ausbildung hieße, sofort einen Job zu haben und gut zu verdienen. So ist es aber leider nicht. Ich sehe uns nicht als Vertreter einer Elite, sondern wir machen Politik fürs ganze Land - für die sogenannte "kreative Klasse" ebenso wie für die Schichtarbeiter, die nicht sagen: Zuerst komm' ich und die Steuersenkung.

SZ: Im Ostteil Berlins kommen die Grünen immer noch deutlich schlechter an als im Westteil. Warum?

Künast: Das hat - wie in allen neuen Bundesländern - mit der Geschichte zu tun. Dort verfügen die Grünen nicht über die historischen Wurzeln wie im Westen. Aber das ändert sich. Auch in den neuen Ländern erkennt man, dass grüne Politik Zukunft und Arbeitsplätze schafft.

"Wir hatten als erste ein Intergrationskonzept"

SZ: Großstädtische Milieus sind oft auch Einwanderermilieus. Die Grünen haben sich um deren Probleme lange nicht weiter gekümmert.

Künast: Als die Diskriminierung von Ausländern besonders scharf war, war es richtig, zunächst die Interessen von Migranten zu vertreten. Aber wir haben gelernt, dass dazu auch gehört, etwas zu fordern: dass sie lernen müssen, die deutsche Sprache zu beherrschen, sich weiterbilden und ihre Kinder dabei unterstützen. Wir waren die ersten, die ein schlüssiges Integrationskonzept hatten.

SZ: Und was macht man mit denen, die sich weigern, sich zu integrieren? Wo die Kinder kaum Chancen haben, frühzeitig richtig Deutsch zu lernen?

Künast: Da hilft nur eins: Umwerben, umwerben, umwerben, sowohl die Eltern als auch die Kinder. Wir können Bildung interessant machen, so dass Kinder sagen: Ich will auch da hin, wo mein Nachbarskind ist. Wir müssen in Vereine und Religionsgemeinschaften gehen. Wir Grüne haben immer Ganztagsschulen gefordert. Wir müssen Kindergärten personell so ausstatten, dass jedes Kind altersgemäß entwickelt in die Schule kommt.

SZ: Das kostet viel Geld, aber das Land Berlin, wo die Probleme besonders drängen, ist pleite. Was werden Sie als Spitzenkandidatin vorschlagen?

Künast: Die Berliner Grünen arbeiten jetzt an ihrer programmatischen Aufstellung. Ende des Jahres werden Personalentscheidungen getroffen. Mehr sage ich dazu auch jetzt nicht.

SZ: Glauben Sie, dass die Grünen in Berlin stärkste Kraft werden?

Künast: Wir bleiben trotz aller guten Umfragen auf dem Teppich. Zu Übermut besteht kein Anlass. Aber es ist schon beachtlich, dass wir während der Banken- und Finanzkrise bundesweit bei 10,7 Prozent standen, und das ohne Regierungsperspektive, und jetzt so hohe Zustimmung erfahren. In der bürgerlichen Mitte bewegt sich viel, aber auch bei jungen Frauen, die Beruf und Familie verbinden wollen. Die sagen: "Die Grünen gehen da ganz pragmatisch ran." Finde ich gut.

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