Renate Künast:"Ich will ran an das kreative Bürgertum"

Renate Künast über das Spitzenduo der Grünen im Bundestagswahlkampf, mögliche Koalitionen und die Ziele der Partei.

Daniel Brössler

Am Wochenende starten die Grünen auf einem Parteitag ihren Bundestagswahlkampf - mit der Forderung nach einem Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, aber ohne klare Koalitionsaussage. Spitzenkandidaten der Partei sind Jürgen Trittin und Renate Künast.

Renate Künast: Renate Künast will zahlreiche Ideen umsetzen.

Renate Künast will zahlreiche Ideen umsetzen.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Künast, ist Opposition Mist?

Künast: Nein, Opposition gehört zur Demokratie. Aber ich sage ganz klar: In der Regierung hat man mehr Möglichkeiten, aus seinen guten Ideen und Konzepten Realität werden zu lassen. Und ich will grüne Ideen konkret umsetzen: eine Million neue Jobs, Klimaschutz, Mindestlohn, gute Bildungschancen.

SZ: Warum darf in Ihrem Wahlaufruf dann nicht stehen, das sie in einer Ampel mit SPD und FDP regieren könnten?

Künast: Nach engagierten Debatten haben wir gemeinsam einen Aufruf zur Wahl entwickelt, der auf einem breiten Konsens fußt. Er formuliert das Selbstbewusstsein, dass wir regieren wollen und spiegelt gleichzeitig das Bedürfnis wider, sich nicht vorzeitig festzulegen.

SZ: Sie und Jürgen Trittin wollten die Ampel als wahrscheinlichste Variante benennen. Kennen die Spitzenkandidaten die Befindlichkeit der Partei so schlecht?

Künast: Es kann sein, dass wir uns verschätzt haben. Aber jetzt sind wir in der Diskussion längst weiter.

SZ: Aber die Ampel halten Sie immer noch für die wahrscheinlichste Regierungsoption für die Grünen?

Künast: Rechnen darf doch jeder. Wir wollen aber alle nicht mehr so viel über Regierungsbeteiligungen diskutieren, sondern über unser grünes Konzept.

SZ: Wie teilen Sie sich mit Jürgen Trittin die Aufgaben im Wahlkampf?

Künast: Wir bringen unterschiedliche Erfahrungen ein, aber Spitzenkandidaten müssen alles können. Wir haben beide gezeigt, dass wir die grünen Kernthemen Umwelt und Gerechtigkeit vertreten. Wir verfügen aber auch beide über Wirtschaftskompetenz. Es geht darum, die Themen Klima, Umwelt und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden.

SZ: Gibt es auch da für Joschka Fischer noch einen Job?

Künast: Im großen Wahlkampfplan ist er nicht vorgesehen. Das heißt nicht, dass der eine oder andere ihn nicht einladen kann.

SZ: Zu den Verdiensten von Joschka Fischer zählt, die Partei vor 1998 auf die rot-grüne Regierung vorbereitet zu haben. Auf was hat die jetzige Spitze denn die Grünen vorbereitet?

Künast: Zum Beispiel darauf, nicht mehr nur auf die SPD als künftigen Koalitionspartner zu schauen, sondern sich zu öffnen und nach Inhalten zu entscheiden. In den Ländern und Kommunen regieren die Grünen in unterschiedlichsten Koalitionen.

SZ: Waren die vergangenen Jahre nicht eher von Selbstvergewisserung nach schwierigen Regierungsjahren geprägt?

Künast: Es ist richtig, dass man die Opposition auch als Befreiung von zum Teil brutalen Zwängen erlebt und sich wieder Grundsätzlicherem zuwendet. Wir haben uns inhaltlich weiterentwickelt. Wir sagen, dass es nicht mehr die Grenze zwischen dem Ökologischen und dem Ökonomischen gibt. Das ist unser neuer grüner Gesellschaftsvertrag. Da sind wir weiter als alle anderen. Wir haben aber auch alte Zöpfe abgeschnitten.

SZ: Welche?

Künast: Wir haben als Erste ein komplettes Integrationskonzept vorgelegt, in dem wir zur Verwunderung einiger auch gesagt haben: Du musst deutsch können. Wir erwarten nicht nur von der aufnehmenden Gesellschaft etwas, sondern auch von den Migranten. Wir haben uns auch mit dem Familienbegriff auseinandergesetzt und gesagt, dass Familien einen Wert darstellen - unabhängig von Trauscheinen.

SZ: Aber links stehen die Grünen noch?

Künast: Natürlich. Links heißt für uns, eine Gesellschaft gleicher Chancen anzustreben, niemanden zurückzulassen und nicht auf Kosten anderer zu leben. Es geht uns um Generationengerechtigkeit und um Gerechtigkeit rund um den Globus. Wir sind eine moderne, freiheitlich denkende Linke, die nicht den Kategorien der 70er und 80er Jahren entspricht. Wir versprechen nicht Transferleistungen für einzelne Gruppen und sagen : Alles wird fein. Gerechtigkeit heißt für Grüne zuallererst Bildung. Auch in einer Finanzkrise sagen wir, dass man neue Schulden immer begründen und verantworten muss.

SZ: Mit welchen beiden Parteien sehen Sie die größten Überschneidungen?

Künast: Mit der SPD.

SZ: Sind das schon zwei?

Künast: Ich beherrsche die Grundrechenarten, aber es bleibt bei dieser Antwort - wenn auch die SPD versucht, mit grünen Ideen Wahlkampf zu betreiben.

SZ: Der Parteichef der Linken, Oskar Lafontaine, findet Ihr Wahlprogramm auch prima.

Künast: Dann kann er ja die Grünen wählen.

SZ: Wie lange kann man eine linke Mehrheit aus SPD, Linkspartei und Grünen im Bundestag haben, ohne dass eine linke Bundesregierung entsteht?

Künast: Von der Lagertheorie halte ich nichts. Als Grüne will ich auch ran an das kreative und verantwortungsbewusste Bürgertum, das sich in der Mitte oder einen Millimeter links davon sieht.

SZ: Also keine Koalition mit der Linkspartei?

Künast: Die Linkspartei sagt doch selbst, dass sie noch nicht so weit ist. Außerdem müsste sie sich Gedanken über ihren Nationalismus machen. Globale Probleme lassen sich nicht national lösen.

SZ: In Ihrer Partei gibt es auch Befürworter von Rot-Rot-Grün. Was hieße es für die Spitzenkandidatin, wenn der Parteitag so eine Präferenz befürwortete?

Künast: Der Entwurf für den Wahlaufruf gibt den breiten Konsens in der Partei wieder. Jeder ist gut beraten, die Partei im Ganzen im Blick zu haben. Dahinter setze ich nicht nur ein Ausrufezeichen, sondern einen Zaunpfahl.

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