Fremdenfeindlichkeit:Lamya Kaddor wehrt sich gegen den Hass

Lamya Kaddor

Lamya Kaddor, 38, fordert Politik und Justiz auf, ein Zeichen gegen den Hass zu setzen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Publizistin hat ein Buch über Fremdenangst geschrieben. Ihre Gegner attackieren sie wüst - jetzt hat sie 100 Strafanträge gestellt.

Von Matthias Drobinski

Am Freitag hat sie noch einmal ein paar Stunden bei der Polizei gesessen und 100 Strafanträge gestellt. Alles war dabei, was es anzuzeigen gibt diesseits des Faustschlags: Beleidigung, sexuelle Beleidigung, Aufruf zu einer Straftat, Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft, Antisemitismus. Auf eine Mail hin, die sie erreichte, hat sie die Polizei zu ihrem Schutz nach Hause geholt, so konkret war die Drohung. Was es hilft gegen die Flut von Beschimpfungen, Mord- und Vergewaltigungsfantasien, weiß Lamya Kaddor nicht.

Viele haben ganz offen unter ihrem richtigen Namen geschrieben; einen, dessen Suada mit "Heil Hitler" begann, hat die Polizei schon besucht. Ein betrunkener Tropf - aber darf man, weil man betrunken ist, ungestraft jemandem die Menschenwürde absprechen?

Sie will sich das alles nicht mehr gefallen lassen. Lange ist sie dem Rat gefolgt, auf Hassmails nicht zu antworten, weil das die Absender nur ermuntere. "Aber ich fürchte, viele der Schreiber denken, es sei ihr gutes Recht auf Meinungsfreiheit, wenn sie jemanden beleidigen, beschimpfen, falsche Tatsachenbehauptungen über einen aufstellen. Da sage ich klar: Nein. Das ist nicht euer Recht." Auch wenn das die nächste Runde der Empörung bedeutet: Freche Muslime wollen aufrechten Deutschen den Mund verbieten.

Lamya Kaddor, 38 Jahre alt, ist Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin, Publizistin, Mitbegründerin des "liberal-islamischen Bundes". Sie hat ein Buch geschrieben. "Die Zerreißprobe" heißt es und setzt sich mit der Fremdenangst in Deutschland auseinander; ihre zentrale These lautet: Nicht nur die Einwanderer müssen sich anpassen, auch die Mehrheitsgesellschaft hat eine Bringschuld.

Eine Frau mit Migrationshintergrund - und die Jagd ist eröffnet

Die Frau mit den syrischen Wurzeln ist bekannt geworden, weil sie einen eigenen Weg zwischen traditionalistischem Islam und säkularen Muslimen sucht. Sie kritisiert die theologisch konservativen Verbände genauso wie jene Fundamentalkritiker des Islam. Als sie ein Buch über jugendliche Salafisten schrieb, die in den angeblich heiligen Krieg ziehen, war das Lob groß - ausgenommen in jenen Salafistenkreisen, die ihr mit Hölle und Prügel drohten. Jetzt tobt der Mob auf der anderen Seite. "So habe ich das noch nicht erlebt", sagt Lamya Kaddor.

Der Norddeutsche Rundfunk hat die "Zerreißprobe" als "klug und differenziert" gelobt, die Frankfurter Allgemeine hat Kaddor dagegen kritisiert, weil sie legitime Kritik am Islam und Hass in einen Topf werfe. Das ist Autorenschicksal: Den einen gefällt, was man schreibt, den anderen nicht. Man kann ernst nehmen, was Lamya Kaddor über die zunehmende Aggression und die zunehmende Unlust am Argument erzählt, die ihr bei Veranstaltungen und im Netz entgegenschlägt; man muss aber das Wort "Deutschomane" nicht für gelungen halten, das sie als Schlagwort für jene geprägt hat, die das Fremde und die Fremden im Land fürchten oder hassen.

Es muss zudem eine Autorin, die scharf kritisiert, ertragen, dass andere dies auch tun. Aber darum geht es mittlerweile gar nicht mehr. Die Art, wie Buch und Autorin angegangen werden, ist eins von vielen Beispielen, wie sich die öffentliche Debatte im Land vulgarisiert, die Geschichte ist nicht sehr verschieden von jener, die der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali widerfuhr. Eine Frau mit Migrationsgeschichte, die mal mit einer strittigen These kommt - und die Jagd ist eröffnet.

Ist sie überempfindlich? "Frauen mit Migrationsgeschichte sind auf jeden Fall verletzlicher als Männer aus der Mehrheitsgesellschaft", sagt sie. Es sei, als würden die Trolle im Netz all die Identitätsfragen wittern, mit denen sich gerade die muslimischen Frauen herumschlagen müssen, die ein freies Leben führen wollen, ohne ihre Wurzeln abzuschneiden. Als provozierten sie die Islamfeinde stärker als alle Islamisten zusammen: "Die passen ins Klischee - ich passe nicht", sagt sie. Es passen diejenigen Ex-Muslime, die sich von ihrer Religion distanzieren, wie die Autorin Necla Kelek; es passen, als Feindbild, die Salafisten.

Politik und Justiz müssen ein Zeichen gegen den Hass setzen

Es haben, so sieht sie es, durchaus renommierte Publizisten an der Welle des Hasses mitgewirkt. Henryk Broder zum Beispiel, der in seinem Blog eine Kaddor-Kritik irgendwo zwischen Polemik und kalkulierter Beleidigung geschrieben hat; dort nennt er sie "genuin dumm" und wirft ihr vor, sie habe vor allem die Selbstvermarktung im Sinn, die Broder natürlich völlig fern liegt. Oder die Kritik von Thomas Spahn auf dem Blog des ehemaligen Wirtschaftswoche-Chefs Roland Tichy: Der stellt ihre wissenschaftliche Eignung infrage, unter anderem, weil Kaddor nicht promoviert ist - und überhaupt könne man aus wissenschaftlicher Sicht nur Schlechtes am Islam finden.

Das mag alles undifferenziert und unfair sein und der Vorwurf zynisch, dass hier jemand die Morddrohungen, die er erhält, in publizistischer Münze versilbern wolle. Doch natürlich überschreiten weder Spahn noch Broder die Grenzen des Strafbaren. Das tun andere - unter Berufung auf die in der rechtspopulistischen Community beliebten Blogs von Tichy und Broder. "Viele Hassmails berufen sich ausdrücklich auf Broder", sagt Kaddor, "da gibt es für mich schon eine Mitverantwortung". Als sie das auch im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte, legte Broder gleich nach: Arbeitet nicht auch Kaddors Mann beim Deutschlandfunk? Wenn das kein abgekartetes Spiel ist!

"Der Islam ist nur eine Projektionsfläche"

Sie wolle die Auseinandersetzung nicht mehr weiterführen sagt Kaddor, "sie kostet mich zu viel Kraft, und so wichtig ist Broder nun auch wieder nicht". Sie will, so sagt sie, für eine vielfältige Gesellschaft in Deutschland werben, zu der die Muslime selbstverständlich gehören. Im Grunde, sagt sie, ist das die Linie der Auseinandersetzung: "Der Islam ist nur eine Projektionsfläche - die Hassmail-Schreiber hassen alle, die nicht sind wie sie, Schwarze und Schwule, Frauen, Journalisten, alles, was irgendwie links und grün sein könnte."

Sie klingt müde. Sie hat sich vom Schuldienst befreien lassen für ein Jahr, vielleicht auch kürzer, das kostet sie immerhin ihre regelmäßige Einnahmequelle, und sie sagt, die Schüler fehlen ihr. Als das öffentlich wurde, war die Häme bei ihren Gegnern groß: Aha, Madame macht frei. Wollten nicht sowieso fünf Ihrer ehemaligen Schüler in den Dschihad ziehen? So weit ist sie gekommen, mit ihrem Reform-Islam!

Die Politik muss ein Zeichen gegen diesen Hass setzen, sagt Lamya Kaddor. Und die Justiz. Und eine bessere Sozialarbeit braucht es, mehr Bildung. Sie schweigt. Sie weiß es ja auch nicht so recht, was da hilft.

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