Flüchtlinge:Warum die Hotspots nicht funktionieren - aber trotzdem gebraucht werden

''Hotspot'' center in Moria

Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos. Schon in vier Wochen sollen die geplanten elf Aufnahmezentren, Hotspots genannt, funktionieren.

(Foto: Socrates Baltagiannis/picture alliance/dpa)
  • Geplant ist, in den kommenden zwei Jahren 160 000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland ins übrige Europa zu bringen, bislang wurden aber nur 322 verteilt.
  • Der zuständige EU-Innen- und Migrationskommissar hat eingeräumt, dass die Pläne gescheitert sind und die Hotspots in Griechenland und Italien in absehbarer Zeit nicht fertig sein werden.
  • Kritik gibt es am Unwillen der Mitgliedstaaten (vor allem an Griechenland) und auch am Kommissar, der nach Meinung vieler nicht konsequent genug durchgreift.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Wenn man auf das statistische Ergebnis schaut, ist die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ein Desaster. 322: So viele Migranten sind bisher, Stand 19. Januar, in andere EU-Staaten "umverteilt" worden. 240 aus Italien, 82 aus Griechenland, nach monatelangem Pläneschmieden in Brüssel, nach schier unendlichen Debatten, Gipfeln und Beschlüssen. Derweil kommen täglich weiterhin Tausende an der deutschen Grenze an.

Geplant ist, in den kommenden zwei Jahren insgesamt 160 000 Flüchtlinge von den beiden besonders betroffenen Ländern an der EU-Außengrenze ins übrige Europa zu bringen. Angesichts von mehr als einer Million, die 2015 auf den Kontinent drängten, angesichts von mindestens ebenso vielen, die in diesem und im nächsten Jahr noch kommen wollen, scheint der Plan auf groteske Weise unangemessen zu sein. Ein Plan, der wohlgemerkt den Flüchtlingsstrom nicht verringern, sondern ihn nur durch eine solidarische Verteilung praktisch und politisch beherrschbarer machen soll.

Und doch sieht es so aus, als würde er nicht im Mindesten funktionieren. Ein maßgeblicher europäischer Politiker verglich ihn kürzlich mit einem "toten Pferd". Es werde nie gelingen, Flüchtlinge in substanziellem Ausmaß umzuverteilen. "Aber manchmal muss man eben tote Pferde weiterreiten."

Der zuständige EU-Innen- und Migrationskommissar weiß das, er hat es vergangene Woche vor dem EU-Parlament eingeräumt. "Diese Pläne haben nicht die erhofften Resultate gebracht", sagte Dimitris Avramopoulos. Er hält an ihnen fest, weil niemand eine Alternative weiß. Die Umverteilung ist nicht das einzige Element der europäischen Strategie; dazu gehören noch die direkte finanzielle und logistische Hilfe für die belasteten Außenstaaten, verstärkte Abschiebungen, besserer Schutz der Außengrenzen sowie mehr Kooperation mit Herkunftsstaaten in Afrika und Asien, vor allem mit dem Schlüssel-Transitland Türkei. Aber sie ist der zentrale Baustein, um den sich alles dreht. Dass tatsächlich, wie Avramopoulos der Süddeutschen Zeitung sagte, in vier Wochen alle Hotspots voll funktionsfähig sind, daran glaubt selbst in Brüssel im Ernst kein Mensch.

Elf solcher Zentren sind geplant, drei sind fertig

Die Aufnahmezentren sollen den Zustand beenden, dass aus Griechenland täglich weiterhin Tausende ungehindert Richtung Norden ziehen. Vielmehr sollen die Flüchtlinge dort empfangen, registriert und dann entweder verteilt oder zurückgeschickt werden. Elf solcher Zentren sind geplant, fünf in Griechenland, sechs in Italien. "Funktionsfähig" sind bisher eines auf der griechischen Insel Lesbos, eines auf Lampedusa sowie ein neues in Trapani im Westen Siziliens. Dort gibt es Experten, Geräte und Platz, um mindestens 400 Flüchtlinge zu empfangen.

hotspots

SZ-Karte: Unterhitzenberger

Warum es nicht schneller geht? Liegt es wirklich am "fehlenden Willen" der EU-Staaten, wie Avramopoulos und seine Kollegen beteuern? "Nein", sagt ein EU-Diplomat, "das Problem des Systems ist nicht der Abfluss, sondern der Zufluss." Denn eigentlich stellen die Mitgliedstaaten genügend Plätze zur Verfügung, Frankreich beispielsweise 900, Bulgarien gar 1300. Sie würden nur nicht in Anspruch genommen, sagt der Diplomat, weil Griechenland und Italien nicht mitzögen.

"Beide haben kein Interesse daran, aus diesen Hotspots geschlossene Zentren zu machen." Die sind aber in Wahrheit nötig, denn es dauert eben eine Weile, bis die Daten eines Flüchtlings und seine persönlichen Umstände aufgenommen sind, bis geklärt ist, ob er Anspruch auf Schutz in der EU hat und bis seine Wünsche mit den tatsächlichen Möglichkeiten abgeglichen wurden. Gleichzeitig müssen jene, die die EU wieder verlassen sollen, am Weiterreisen gehindert, also festgehalten werden.

Computer ohne Internetanschluss, lausige Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden

Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier meint, dass einiges zu verbessern wäre: "Man kann nicht alle ausführlich nach ihren Präferenzen befragen, das ist eine zu visionäre Vorstellung. Die meisten wollen ohnehin nach Schweden oder Deutschland. Wenn ich Schutz in Europa suche, muss ich auch bereit sein, nach Bulgarien zu gehen, wenn dort Plätze angeboten werden." Gleichzeitig existieren weiterhin logistische Probleme in den Zentren: fehlende Eurodac-Geräte, Computer, die keinen Internet-Anschluss haben. Frontex-Beamte wiederum klagen über eine lausige Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden, vor allem in Griechenland.

Auch Hilfsorganisationen üben Kritik. Die EU habe "zu langsam und ungenügend" reagiert; sie sei mitverantwortlich dafür, dass sich die Lage der Flüchtlinge laufend verschlechtere, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht von "Ärzte ohne Grenzen". Darin werden Schicksale verzweifelter Migranten beschrieben, die den Weg nach Europa als reinen "Hindernislauf" erfahren.

Obwohl fast nichts vorangeht, erfährt die Kommission in Brüssel erstaunlich wenig Kritik. "Avramopoulos hat viel vorgelegt", sagt die Grüne Ska Keller. "Es sind die Mitgliedstaaten, die es nicht umsetzen." Andererseits verlieren manche doch auch die Geduld mit dem griechischen Christdemokraten, der eigentlich Präsident seines Landes werden wollte, stattdessen Ende 2014 nach Europa weggelobt wurde.

Avramopoulos liebt den großen Auftritt, mahnt die Staaten gern floskelreich an ihre Pflicht. Aber erreicht habe er wenig, sagt die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel. "Der zuständige Kommissar sollte die Debatte bestimmen, sichtbar sein und Druck machen, etwa in seinem Heimatland." Stattdessen würden die großen Linien der Flüchtlingsstrategie vom Kabinett des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und vom Vizepräsidenten Frans Timmermans vorgegeben.

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