Regionalwahlen:Warum die Rechtsextremen in Frankreich so erfolgreich sind

French National Front political party leader and candidate Marine Le Pen reacts as she delivers her speech after the announcement of the results during the first round of the regional elections in Henin-Beaumont

Marine Le Pen nach dem Sieg des Front National bei den Regionalwahlen am 6. Dezember 2015.

(Foto: REUTERS)

Die Gründe für den Wahlerfolg finden sich nicht bei Le Pens Front National, sondern bei den etablierten Parteien. Auch Merkels Kurs spielt eine Rolle.

Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Es ist so schlimm gekommen wie befürchtet: Fast jede dritte Stimme bei den landesweiten Regionalwahlen am Sonntag ging an den Front National (FN). Nach dem ersten, noch nicht entscheidenden Wahlgang liegt die eurofeindliche, islamophobe Truppe von Marine Le Pen in sechs der 13 Regionen vorn. Ein Triumph.

Endgültig siegen werden die Rechtsextremen am kommenden Sonntag. Dann steht der zweite Wahlgang an. Wenigstens in zwei Landstrichen - im Rostgürtel des altindustriellen Nordens wie im sonnigen Südosten zwischen Seealpen und Côte d'Azur - scheint kaum noch etwas die Machtübernahme des Front National aufhalten zu können. Schlimmstenfalls kommt noch die Großregion im Osten an der Grenze zu Deutschland hinzu: Auch im Elsass, in Lothringen, der Champagne und den Ardennen votierten beinahe vier von zehn unserer Nachbarn für den FN.

Keine spontane Reaktion, sondern ein lang anhaltender Trend

Die spinnen, die Franzosen? Vorsicht, das Ergebnis vom Sonntag ist kein Irrläufer. Die Stimmen für Le Pen sind nicht etwa einem jähen Wutausbruch auf die politischen Eliten geschuldet. Oder nur Folge einer Welle von Angst und Terrorschrecken nach den Attentaten des 13. Novembers. Nein, die FN-Werte steigen seit Jahren: stetig, kräftig, scheinbar unaufhaltsam.

Die Gründe finden sich nicht beim FN selbst. Suchen muss man die Ursachen der Malaise bei jenen, die seit Jahrzehnten die Macht in der Fünften Republik unter sich aufteilen: bei Sozialisten und Republikanern, bei ihren aktuellen, gleichwohl längst verbrauchten Helden François Hollande und Nicolas Sarkozy. Immer wieder haben die etablierten Parteien Wandel und Reformen versprochen - aber dann schrecklich wenig geändert.

Drei Zahlen mögen als Beleg dienen: Am Ende der Ära von Nicolas Sarkozy waren 750 000 Franzosen mehr arbeitslos als bei seinem Amtsantritt 2007, Hollande meldet als bisherige Zwischenbilanz seiner Regentschaft seit 2012 plus 700 000 Landsleute ohne Job. Macht unterm Strich 10,2 Prozent Arbeitslose.

Frankreichs Integrationsmodell ist gescheitert

Mehr und mehr Franzosen wähnen ihre Nation im ökonomischen Niedergang. Obendrein nähren die Attentate vom Januar und November das Gefühl, dass die Gesellschaft innerlich zerbricht. Es waren zumeist Nachfahren maghrebinischer Einwanderer und zugleich gebürtige Franzosen - mithin Kinder der Republik -, die da mordeten. Frankreichs Integrationsmodell, das in den elendsten Quartiers der Banlieues über dem Eingang jeder Schule das doch tagtäglich gebrochene Versprechen von "Égalité" und Chancengleichheit verkündet, ist längst gescheitert. Und der Laizismus, das einst fortschrittliche Gebot zur Trennung von Kirche und Staat, verkommt zum Knüppel, um gläubige Muslime auszugrenzen.

Es gibt in diesem französischen Wahlergebnis einen deutschen Treibstoff: "Merkels Migranten", wie man in Paris sagt, sind den Nachbarn längst unheimlich geworden. Zwar hat die Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten das Land westlich des Rheins kaum berührt. Die Zahl der Asylbewerber und politischen Flüchtlinge ist stabil, bei ungefähr 60 000 für 2015. Aber die "Willkommenskultur" der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat gleichwohl neue Ängste vor noch mehr Muslimen geschürt.

Auch der Front National hat keine Lösungen zu bieten

Also haben die Franzosen - ungeduldig, verunsichert, frustriert - dem FN eine Chance eingeräumt. Was soll's, alle anderen versagen eh. Früher war solch ein Votum ein Zeichen des Protests. Inzwischen stimmen die Bürger für Le Pen aus verzweifelter, erbitterter Überzeugung.

Lösungen hat der Front National nicht zu bieten. Sein sozial-nationales Wirtschaftsprogramm weist in die Irre, gegen Europa und gegen den Rest der Welt. Und seine Tiraden gegen Ausländer und Muslime verraten urfranzösische Prinzipien wie Humanität und Menschenrechte.

Dennoch, der FN hat gewonnen. Frankreichs Premierminister Manuel Valls hatte noch am Sonntag arg martialisch gemahnt, seine Landsleute sollten ihr Wahlrecht bitteschön als Machtbeweis gegen Gewalt und Terror nutzen: "Unsere Waffe, das ist der Stimmzettel."

Dazu jedoch mochten sich die Franzosen nicht aufraffen. Sie gaben sich ihrer Mattigkeit hin. Die einst stolze Nation scheint vor den Extremisten in den eigenen Reihen zu kapitulieren. Nur jeder zweite Franzose war am Sonntag überhaupt bereit, sich aufzuraffen zur demokratischen Stimmabgabe. 22 Millionen wahlberechtigte Citoyens taten untätig so, als sei ihnen die eigene Republik schlicht egal.

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