Regierungsumzug:Ab nach Berlin

Berlin ist seit dem Regierungsumzug zu seinen weltoffenen Wurzeln zurückgekehrt - doch eine funktionierende Hauptstadt ist es noch lange nicht. Kein Mensch kann vernünftig erklären, warum immer noch Teile von Ministerien in Bonn stehen.

Constanze von Bullion

Als der Bundestag 1991 den Umzug nach Berlin beschloss, flossen Tränen im Bonner Wasserwerk, auch solche der Rührung. Die Abgeordneten hatten mit knapper Mehrheit entschieden, dem wiedervereinigten Deutschland seine historische Hauptstadt als Regierungssitz zurückzugeben.

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Artisten vor dem Reichstag: Weltoffen und intellektuell ist Berlin wieder geworden - aber um eine richtige Hauptstadt zu sein, müssten auch endlich alle Ministerien komplett dorthin ziehen.

(Foto: AFP)

Der Theaterdonner war groß, das Pathos auch; es gehe um die Zukunft Deutschlands, erklärte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble. Viele empfanden die Entscheidung als historische Zäsur - und meinten damit vor allem den Westen. Es war die alte Bundesrepublik, die Abschied nehmen musste vom Regierungssitz Bonn, der nicht mehr taugte für das größer gewordene Land. Man wollte eine richtige Hauptstadt, die es mit Paris und London aufnehmen konnte.

In Berlin sollte alles neu und strahlend werden, irgendwie, im Westen dagegen gedachte man nicht, am inneren Status quo der Gesellschaft zu rütteln. Daran hat sich nichts geändert, weshalb das Land 19 Jahre nach dem Umzugsbeschluss noch immer keine richtige Hauptstadt hat.

Berlin ist seit dem Mauerfall zur interessantesten und international attraktivsten deutschen Großstadt geworden. Nirgends im Land lassen sich so viele Geistesarbeiter und Kreative nieder, die akademische Landschaft blüht nicht nur an den Universitäten. Die Zahl der Hauptstadtbewohner wächst, und es sind längst nicht mehr nur Studenten und Ausgeflippte, die nach Berlin ziehen. In der Metropole und rund um sie herum gedeihen bildungsbürgerliche, gutsituierte Biotope. Dort lebt man in großer Gelassenheit, auch das ist typisch für Berlin, neben den Vierteln der Armen und Ungebildeten her. Wenn man so will, dann hat Berlin seit der Wende also ein gutes Stück Weg zurückgelegt, auch zurück zu seinen historischen Wurzeln als weltoffene, intellektuelle Kapitale.

Womit der Jubel denn auch ein Ende hat, denn die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ist weit von dem entfernt, was eine funktionierende Hauptstadt ausmacht. Berlin ist nicht nur hochverschuldet und landespolitisch in der Provinz verblieben, Berlin ist trotz des Umzugsbeschlusses auch in bundespolitischer Hinsicht nur eine Möchtegern-Hauptstadt. Viele Behörden und sechs Bundesministerien verharren seit 1991 in einer absurden Teilung zwischen den Standorten Bonn und Berlin.

Das führt dazu, dass viele Beamte in der Luft sind statt am Schreibtisch, allein 2010 fliegen sie insgesamt 24.000-mal hin und her. Die "aufteilungsbedingten Dienstreisen", so heißt das nutzlose Gependel, kosten mehr als vier Millionen Euro im Jahr, Tendenz steigend.

Spitzenreiter unter den vielfliegenden Regierungstruppen sind die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, und es wird jetzt mal wieder diskutiert, ob man sie alle nach Berlin schaffen sollte. Das würde Strukturen straffen und langfristig Kosten senken - stößt aber auf Empörung am Rhein. Wo käme man da hin, wenn die Stadt Bonn auf das reduziert würde, was sie ist: eine kleine Stadt mit begrenzter Bedeutung für den Rest der Welt?

Die Hauptstadt hat Solidarität verdient

Sämtliche Ministerien in Berlin zusammenzulegen, und zwar zügig, gilt im westdeutsch geprägten Politikbetrieb als abwegig. Finanziell macht es zwar Sinn, und politisch ist es überfällig, denn kein Mensch kann mehr vernünftig erklären, warum es den Standort Bonn überhaupt noch gibt. Es würde aber an der inneren Verfasstheit einer Gesellschaft rühren, deren dominierender Teil, der Westen, gar nicht bereit ist, Wesentliches an seinen Strukturen zu verändern - Wiedervereinigung und Hauptstadtbeschluss hin oder her.

Im halbherzig vollzogenen Regierungsumzug spiegelt sich eine Haltung, die sich in der Wirtschaft fortsetzt. Alle wichtigen deutschen Unternehmen haben sich eine Dependance in Berlin eingerichtet, vorzugsweise einen schicken Showroom an der Friedrichstraße oder sonstwo in Mitte, mit geschätzten zwei bis drei Mitarbeitern. Kaum eines dieser Unternehmen aber hat nach der Wende seine Zentrale, also die Masse der Arbeitsplätze, aus Westdeutschland nach Berlin verlegt.

Der Autobauer Daimler, der mal unter viel Getöse an den Potsdamer Platz gezogen ist, hat dort ein paar hundert qualifizierte Jobs geschaffen, jetzt sollen die meisten von ihnen wieder abgezogen werden, gen Stuttgart. Auch die Lufthansa hat null Bock auf Berlin. Die Hauptstadt baut sich einen Großflughafen, die Flotte bleibt in Frankfurt. Die Konzernleitung von Siemens bleibt natürlich in München, nicht aus Bosheit, sondern weil im Süden eben besser verdient wird als im Osten. Und weil es so gut wie kein Interesse gibt, das zu ändern.

Berlin ist Deutschlands buntes Schaufenster zur Welt, die Geschäfte aber werden anderswo gemacht. Wenn diese Großstadt irgendwann zu einer lebensfähigen Hauptstadt werden soll, muss das Land Berlin große Unternehmen in die Stadt holen und alle Ministerien. Es ist aber auch mehr Hauptstadt-Engagement aus der freien Wirtschaft nötig - und aus Bundesländern, die Abschied nehmen müssen von einem Land, das es nicht mehr gibt. Mag sein, dass man sich im Westen der Republik inzwischen etwas verstaubt vorkommt neben Berlin. Statt Neid aber verdient die Hauptstadt Solidarität. Weil sie für alle da ist.

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