Regierungskrise:Irlands Vize-Regierungschefin wird Opfer der Staatsräson

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Frances Fitzgerald auf dem Weg zum irischen Regierungssitz in Dublin. (Foto: REUTERS)
  • Die stellvertretende irische Premierministerin Frances Fitzgerald hat ihren Rücktritt erklärt.
  • Damit hat sie vorgezogene Neuwahlen vorerst abgewendet.
  • Fitzgerald wird vorgeworfen, sich als Justizministerin in einem Polizeiskandal vor zwei Jahren unkorrekt verhalten zu haben.

Die Regierungskrise in Irland ist bis auf Weiteres beendet, vorgezogene Neuwahlen in der Republik sind vorerst abgewendet. Wenige Stunden bevor am Abend im Parlament über ein Misstrauensvotum abgestimmt werden sollte, hat die umstrittene stellvertretende Premierministerin und ehemalige Justizministerin Frances Fitzgerald ihr Amt aufgegeben.

Das Votum hätte die Minderheitsregierung der Fine Gael Partei von Premier Leo Varadkar zu Fall gebracht. Das hätte starke Rückwirkungen auf die Brexit-Verhandlungen gehabt. Mit dem Rücktritt aber entsprach Frances Fitzgerald der Forderung der Fianna Fáil Partei, die Varadkars Regierung per Duldung unterstützt.

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Frances Fitzgerald stand wegen eines Polizeiskandals unter Druck. Nun ist sie offenbar zurückgetreten - und hat damit mögliche Neuwahlen zu einem schwierigen Zeitpunkt verhindert.

Polizeiskandal sorgt für Rücktritte

Noch am Vorabend hatten Varadkar und der Vorsitzende der Fianna Fáil, Micheal Martin, bis kurz vor Mitternacht verhandelt; niemand wolle vorgezogene Neuwahlen vor Weihnachten und mitten in der vielleicht wichtigsten Phase der Brexit-Verhandlungen. Das hatte Varadkar immer wieder betont. Gleichzeitig hatte er aber bis Montagnacht darauf bestanden, dass seine Stellvertreterin bleibt.

Frances Fitzgerald wird vorgeworfen, sich in einem Polizeiskandal vor zwei Jahren unkorrekt verhalten zu haben. Sie soll durch Mails darüber informiert gewesen sein, dass ein Whistleblower bei der Polizei von seinen Vorgesetzten diskreditiert werden sollte. Fitzgerald, die damals Justizministerin war, zog sich auf die Position zurück, sie hätte als Ministerin sowieso nicht eingreifen können. Es sei bereits eine Untersuchung gelaufen.

Der Langzeitskandal hatte bereits den Rücktritt des früheren Premiers, Eddy Kenny, zur Folge. Dabei geht es um Vorwürfe, Teile der irischen Polizei, der Garda Siochána, hätten schlampig oder einseitig ermittelt und die Belange der Opfer von Straftaten ignoriert.

Eine Untersuchungskommission nahm sich der Sache im Auftrag der Regierung an und untersuchte zahlreiche Insider-Informationen eines Polizisten, der sich an seine Vorgesetzten gewandt hatte. Ein Report, der die Vorwürfe des Polizisten im Wesentlichen bestätigt, wurde 2016 veröffentlicht. Tatsächlich hatte es parallel dazu offenbar eine Schmierenkampagne gegen den Whistleblower bei der Polizei gegeben, dem Faulheit und Untätigkeit vorgeworfen wurden.

Mittlerweile läuft eine zweite, größere Untersuchung, welche die Anwürfe gegen den Beamten untersuchen soll. Irische Medien berichten, diese zweite Kommission werde sich wohl in der nächsten Zeit auch damit befassen müssen, ob es Absprachen zwischen der damaligen Justizministerin Frances Fitzgerald und der Polizeiführung gegeben habe.

Noch während der Verhandlungen von Premierminister Varadkar und der Fianna Fáil-Partei waren weitere, bis dato unbekannte Mails aufgetaucht, die Fitzgeralds Position schwächten. Zum Schluss ließ Varadkar seine Vizeregierungschefin fallen - und vermied damit Misstrauensvotum und Neuwahlen.

Irlands Beziehungen zur EU bleiben offen

Der Preis für die Einigung ist aber, so ist aus dem Dubliner Regierungssitz Leinster House zu hören, eine Vertrauenkrise zwischen den beiden Parteien, die bisher in Fragen der Regierungsarbeit kooperiert hatten. Neuwahlen im kommenden Jahr werden für wahrscheinlich gehalten. Die Opposition, aber auch Abgeordnete der Partei des Premiers (auf Irisch Taoiseach), kritisierten Varadkars Vorgehen massiv; dieser habe die Lage falsch eingeschätzt, er habe sich zu lange vor seine Stellvertreterin gestellt und damit die Regierungskrise überhaupt erst eskalieren lassen. Die Schockwellen reichten bis nach London und Brüssel.

Die Erleichterung über den Fortbestand der Regierung ist nun nicht nur in Dublin zu spüren, sondern dürfte auch in der EU groß sein. Die Position Irlands und die drohende Frage einer echten Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland hatten zuletzt eine zunehmend wichtige Rolle in den Brexit-Verhandlungen gespielt. Varadkar hatte implizit mit einem Veto gedroht, sollte sich London nicht schriftlich dazu verpflichten, eine "harte Grenze" in jedem Fall zu verhindern. Später hieß es dann, ein solches Veto werde nicht nötig sein, da alle anderen EU-Staaten in diesem Punkt hinter Irland stünden.

Die Stimmung war zuletzt aber auch von britischer Seite angeheizt worden. Der Minister für internationalen Handel, Liam Fox, hatte vor zwei Tagen in London gesagt, eine Lösung der irischen Frage sei unmöglich, bis es ein Handelsabkommen der Europäischen Union mit Großbritannien gebe - und damit Klarheit über die künftigen ökonomischen Beziehungen zwischen London und der EU. Dieses Handelsabkommen soll aber nach Lesart Brüssels erst ausgearbeitet werden, wenn die drei wesentlichen Fragen - Geld, Rechte der EU-Bürger und die irische Frage - gelöst und somit "ausreichende Fortschritte" erzielt sind. Dieses Problem dürfte bis zum EU-Gipfel in zehn Tagen kaum gelöst sein.

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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