Regierungskrise in Israel:Etappensieg eines Verlierers

Überraschend hat Regierungschef Ehud Olmert sein Amt verteidigt, doch er hat nur eine Gnadenfrist. Die Israelis lieben Olmert wahrlich nicht, doch der umstrittene Premier klammert sich weiter an die Macht.

Thorsten Schmitz

In der israelischen Politik überschlagen sich die Ereignisse. Eben noch galt vielen als sicher, dass Regierungschef Ehud Olmert sein Amt abgeben muss. Schwer lastet der Vorwurf der Untersuchungskommission zum Libanon-Krieg auf ihm, er habe in der Ausübung seines Amts versagt und die Armee planlos gegen die Hisbollah kämpfen lassen.

Olmert, Reuters

"Ich wusste, dass ich eines Tages Premierminister sein werde. Heute bin da, wo ich sein soll": Ehud Olmert und Außenministerin Tzipi Livni.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch Olmert scheint durch die massiven Rücktrittsforderungen, die unter anderem von Außenministerin Tzipi Livni geäußert werden, nur noch mehr angefeuert zu sein, im Amt bleiben zu wollen. So schnell möchte er offenbar nicht von der Macht lassen.

Sein ganzes Leben hat er schließlich darauf hingearbeitet, wie er vor wenigen Monaten in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Time zugab: ,,Ich wusste, dass ich eines Tages Premierminister sein werde. Heute bin ich da, wo ich sein soll.'' So leicht wird Olmert daher nicht aufgeben. In der Nacht zu Donnerstag erklärte er: ,,Ich bin über 61 Jahre alt, ich habe schon vieles erlebt, und ich habe gelernt, nicht vor der Verantwortung davonzulaufen.''

Einen Etappensieg hat der Machtmensch und frühere Rechtsanwalt bereits erzielt. Ihm ist es gelungen, seine Kollegen von der Kadima-Partei hinter sich zu scharen. Nur Marina Solodkin, Tzipi Livni und Avigdor Izchaki forderten seinen Rücktritt. Izchaki legte aus Protest sogar sein Amt als Fraktionschef nieder. Alle anderen solidarisierten sich mit ihrem gebeutelten Partei- und Regierungschef Olmert.

Solidarität mit dem Parteichef

Sogar Vize-Regierungschef Schimon Peres, der üblicherweise nicht für emotionale Aussagen zu haben ist, äußerte sich im Anschluss an die dreistündige Krisensitzung der Partei euphorisch: ,,Olmert genießt eine nie da gewesene Unterstützung. Das ist ein großer Tag für unsere Partei, die aus diesem Treffen geeint und gestärkt hervorgeht.''

Die Solidarität mit dem Parteichef ist sicher auch auf eine Abneigung gegen Neuwahlen zurückzuführen: Viele Kadima-Abgeordnete würden bei einem vorgezogenen Votum nicht mehr ins Parlament gewählt werden, Vorteile hätten vielmehr mehrheitlich die Mitglieder der Oppositionspartei Likud.

Am Donnerstagnachmittag jedenfalls war Olmert, der unbeliebteste Regierungschef in der Geschichte Israels, fürs Erste gerettet. Bei einer Sondersitzung des Parlaments schallte ihm zwar dutzendfach der Ruf nach Rücktritt entgegen - doch ohne Wirkung.

Bei der Parlamentsdebatte, an der Olmert schweigend teilnahm und Peres reden ließ, meldete sich Likud-Chef Benjamin Netanjahu am lautesten zu Wort. Er verlangte Neuwahlen, nachdem die Schwäche Olmerts die Likud-Partei gestärkt hat. Am Donnerstag forderten mehr als 100000 Demonstranten in Tel Aviv den Rücktritt Olmerts. Ein Sprecher des Premiers erklärte umgehend, Olmert bleibe bei seinem Entschluss, an seinem Amt festzuhalten.

Dutzende Tote in den letzten Kriegsstunden

Der Premier, der laut einer Umfrage fast keinen Rückhalt mehr bei den Wählern hat, verfügt nurmehr über eine Gnadenfrist bis zum Sommer. Im August will die Kommission unter Vorsitz des unbestechlichen Richters Elijahu Winograd den Abschlussbericht zum Libanon-Krieg vorstellen, der seit Wochen offiziell ,,zweiter Libanon-Krieg'' heißt. In ihm wird der gesamte Verlauf des Krieges unter die Lupe genommen, besonders im Visier sind die letzten 60 Stunden nach der Vereinbarung eines Waffenstillstands, in denen Olmert die Armee zu einer Schluss-Offensive gedrängt hatte.

Allein in den letzten Kriegsstunden waren mehrere Dutzend israelische Soldaten getötet worden, unter ihnen auch der Sohn des Schriftstellers David Grossman. In Regierungskreisen heißt es, die Sanduhr laufe, und zwar gegen Olmert. Der Abschlussbericht werde auch die Empfehlung für einen Rücktritt Olmerts enthalten.

Die Gnadenfrist bis zum Sommer werde Olmert nutzen, um sich selbst einen ,,würdevollen Abgang'' zu ermöglichen, sagt Jossi Klein Halevi vom ,,Schalem''- Zentrum in Jerusalem, einem Institut für jüdisch-politische Studien. Die israelische Bevölkerung verzeihe Olmert nicht, dass Israel den Krieg gegen die Hisbollah verloren habe. In der Vergangenheit hätten Israelis stets ihre Regierungschefs zum Rücktritt gezwungen, ,,wenn die Politiker ihre Wähler desillusioniert haben''.

Dass es schon bald zu Neuwahlen kommt, hält Halevi, der auch für die liberale US-Zeitschrift The New Republic schreibt, allerdings für unwahrscheinlich. Er vermutet, dass die Kadima-Partei einen neuen Vorsitzenden wählen wird. Sein Tipp fällt auf Tzipi Livni, die bereits am Mittwoch erklärt hatte, sie werde in der Regierung bleiben, spreche sich aber für die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden aus.

Peres trägt eine reine Weste

Als möglicher neuer Parteichef wird auch Schimon Peres gehandelt. Der 83- jährige Friedensnobelpreisträger verfügt über die größte Erfahrung im Politbetrieb. In Gesprächen mit der Kommission hatte er erklärt, er wäre nicht in einen Krieg gegen die Hisbollah gezogen.

Peres trägt also eine reine Weste. Andererseits ist er in Israel weitaus unbeliebter als im Ausland. Er könnte vielleicht die Kadima-Partei für eine gewisse Zeit führen, aber Wahlen gewinnen ließe sich mit Peres nicht. Noch nie hat er in all den Jahrzehnten eine Wahl zu einem Regierungsamt gewonnen.

Wenn Olmert in den nächsten Tagen nicht doch noch zurücktreten sollte, wird er sich auf eine Kabinettsumbildung konzentrieren. Olmert wägt noch die Vor- und Nachteile ab, seine Außenministerin Livni zu entlassen. Wenn er sie ihres Amtes enthöbe, würde dies ihre Position innerhalb der Partei stärken. Andererseits ist das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden stark zerrüttet.

Livni hält Olmert nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts für nicht mehr tragbar. Auch kritisierte sie jetzt erstmals öffentlich, dass sie während des Libanon-Kriegs von Entscheidungen ausgeschlossen wurde. Sie spricht sich zwar gegen Neuwahlen aus, plädiert aber für eine Urwahl in der Partei und würde sich dann als Kandidatin aufstellen lassen.

Wie sie gedenkt, weiterhin unter einem Premierminister zu arbeiten, dem sie den Rücktritt nahegelegt hat, bleibt ihr Geheimnis. Andererseits braucht Olmert unbestechliche Minister wie Livni, die im Untersuchungsbericht gelobt werden und auf internationalem Parkett, unter anderem auch vom deutschen Außenminister, als kluge und besonnene Politiker sehr geschätzt werden.

Es ist kein Geheimnis, dass die 48 Jahre alte Livni, die vier Jahre beim Mossad und anschließend als Rechtsanwältin tätig war, Premierministerin werden möchte. Doch noch fehlen der populären Politikerin, die wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Mann von der Öffentlichkeit abschirmt, die Ellbogen für den Kampf in Israels brutalem politischen Alltag.

Ehud Barak ist im Rennen

Dass sie Olmert zum Rücktritt aufgefordert hat und dennoch in dessen Regierung bleibt, wird ihr von Politikern und Medien gleichermaßen als Schwäche und Feigheit ausgelegt. Wenn Politikern in Israel etwas nicht passt, treten sie üblicherweise schnell zurück. Livni dagegen bleibt. Damit schafft sie Irritation.

Gehen wird auf jeden Fall Verteidigungsminister Amir Peretz, dem von der Kommission vorgeworfen wurde, für das Amt nicht geeignet zu sein. Peretz habe in fahrlässiger Weise für seine Entscheidungen im Krieg keine andere Alternative erwogen und zudem über keine Kenntnisse in Fragen der Armee-Führung verfügt.

Der frühere Gewerkschaftsführer hat bereits mehrmals vor der Veröffentlichung des Zwischenberichts erklärt, er werde sein Amt Ende Mai abgeben und strebe das Finanzministerium an. Doch vermutlich steht Peretz' kurze Ministerkarriere vor dem Aus, denn bei den Wahlen zum Parteivorsitz Ende Mai werden seinem Widersacher Ehud Barak die größten Chancen vorhergesagt.

Olmert jedenfalls hofft, dass Barak das Rennen machen wird, denn dieser ist mit der Armee bestens vertraut. Barak war jahrelang Armeechef und ist Israels höchstdekorierter Soldat.

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