Regierungserklärung zur Flüchtlingsfrage:Schwarz-grünes Kuscheln im Bundestag

Bundestag

"Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan": Die Flüchtlingskrise lässt Union und Grüne im Bundestag unerwartet eng zusammenrücken, hier die Fraktionschefs Volker Kauder und Katrin Göring-Eckardt.

(Foto: dpa)

Die Flüchtlingskrise lässt im Parlament die Fraktionsgrenzen verschwimmen: Die Linke klingt plötzlich konservativ - und Merkels engste Verbündete sind die Grünen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Was auf Merkels Regierungserklärung folgte, war ein erstes schwarz-grünes Tête-à-Tête im Parlament. Denn der Kanzlerin eilten am entschlossensten nicht die eigenen Leute zu Hilfe und auch nicht der Koalitionspartner SPD, sondern die Grünen. Vorher allerdings kamen aus der Linken Töne, wie sie zuletzt eher von Konservativen zu hören waren - und von Leuten, die fürchten, Deutschland sei den vielen Flüchtlingen nicht gewachsen. Oppositionsführerin Sahra Wagenknecht forderte nicht internationale Solidarität mit Flüchtlingen, was man von einer Sozialistin vielleicht erwarten könnte. Die Fraktionschefin der Linken warnte, die Zustände in den Kommunen könnten die Menschen überfordern.

"Auch die hundertste Wiederholung Ihres Satzes 'Wir schaffen das' hilft einem Bürgermeister mit Haushaltsnotstand nicht, der wegen der Unterbringung von Flüchtlingen anderswo kürzen muss", sagte Wagenknecht an die Kanzlerin gerichtet. Es räche sich, dass Lehrer fehlten im Land, dass Deutschstunden ausfielen und Schüler "immer weniger Zugang zu Thomas Manns Zauberberg oder Goethes Faust" bekämen. Vorschläge, den Mindestlohn für Flüchtlinge aufzuweichen und so "Lohndumping" zu betreiben, seien "unerträglich". Die Kanzlerin zeige Flüchtlingen ein freundliches Gesicht, nicht aber Alleinerziehenden oder mittellosen Rentnern. "All diese Not lassen sie seit vielen Jahren zu, mit einem ziemlich ungerührten Gesicht", sagte Wagenknecht. Stattdessen müssten Reiche nun zur Kasse gebeten werden.

Kopfschütteln bei den Grünen

Wagenknechts Warnungen sorgten bei den Grünen für Kopfschütteln. "Wir sollten nicht Angst und Leid verstärken", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Statt sich zu "Anwälten der Angst" zu machen, müsse die politische Klasse das "Zusammenwachsen" stärken. Wie so ein Zusammenwachsen aussehen könnte, ein schwarz-grünes zumindest, führte Göring-Eckardt gleich vor: Die Haltung der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage sei eine "absolut christliche". Auch der Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin lobte Merkels Flüchtlingspolitik. Ganz oben auf der Skala christlich-jüdischer Werte stehe da das "Gebot der Nächstenliebe".

Der Ball wurde von Unionsseite sogleich zurückgespielt - mit einem Bibelzitat, das der CDU-Abgeordnete Gunther Krichbaum aus Pforzheim vortrug, bevor er sich vor seine Kanzlerin warf: "Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan" - diese christliche Botschaft habe Merkel verstanden. In den hinteren Reihen des Bundestags steckten wenig später Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt und Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) die Köpfe zusammen. Nie hat Grün mit Schwarz so schön gekuschelt.

"Wollen Sie, dass geschossen wird an der Grenze?"

Aber es ging da noch ein weiterer Merkel-Unterstützer aus der Deckung. Nach der Rede von Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der - kein Freund von Merkels Kurs - eine entschlossenere Grenzsicherung gefordert hatte, erhob sich der frühere Linken-Chef Klaus Ernst. Er bedankte sich "ausdrücklich" bei Angela Merkel für ihr Interview bei Anne Will. Dort hatte die Kanzlerin gesagt, Zäune wie in Ungarn seien keine Lösung. Um Deutschland könne kein Zaun gebaut werden. Ganz anders klinge da die "schneidige Rede" Friedrichs. "Wie wollen Sie die Menschen denn aufhalten?", fragte Ernst. "Wollen Sie, dass geschossen wird an der Grenze?"

Da wiederum hob es Friedrich aus seinem Sitz. Ernst sei "ein Radikaler", rief er. Seine Unterstellung, Friedrich wolle Schüsse an der Grenze, sei "unsäglich". Merkel aber entschloss sich alsbald zum Aufbruch. Sie hatte nichts Neues gesagt, aber auch wenig Neues gehört.

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