Regierungserklärung: Merkel vs. Steinbrück:Die Erfindung der Coolness

Vor dem EU-Gipfel will Angela Merkel in einer Regierungserklärung zur Euro-Rettung souverän wirken - und scheitert. Wie dünnhäutig die Kanzlerin ist, offenbart ihr früherer Finanzminister Peer Steinbrück.

Lena Jakat, Berlin

Das Redeprotokoll ist sortiert, der Plan klar. Noch ein aufmunterndes Lächeln von ihrem Vizekanzler, dann tritt Angela Merkel am Donnerstagmorgen für ihre Regierungserklärung ans Rednerpult. Bevor sie nach Brüssel zum Gipfeltreffen mit den europäischen Kollegen fliegt, will sie im Bundestag eigentlich nur eines: das komplexe Vorhaben zur Euro-Rettung noch einmal erklären und Zweiflern ihre Sorge nehmen. Vor allem jenen in der eigenen Koalition.

Punkt für Punkt, so steht es im Manuskript, will sie das Reformpaket mit all seinen Vorteilen noch einmal erläutern: von der Gläubigerbeteiligung über die Bareinlagen bis hin zur Verschärfung des Stabilitätspakts. Der "richtige Weg", die "richtige Entscheidung": Nach den vielen Vorwürfen in den vergangenen Wochen, Merkel fahre einen Schlingerkurs, will die Kanzlerin nun anscheinend wieder zurück auf den vertrauten rhetorischen Pfad der "Alternativlosigkeit". Auch wenn sie das häufig kritisierte Wort vermeidet.

Klar ist der Weg zur Rettung des Euro und klar ist die Haltung der Bundesregierung: Von dieser Botschaft soll nichts ablenken, nicht einmal das sonst übliche farbige Kostüm; zu diesem Anlass trägt Merkel einen braunen Gehrock. Dann allerdings stellt sie sich selbst eine altbekannte Falle und verfällt in ein bisschen zu große und oft hohle Phrasen: "Niemand wird alleingelassen", sagt die Kanzlerin mit Blick auf die europäischen Partner, "wir zeigen konkrete Solidarität." Auf das Gegrummel der Oppositionsfraktionen antwortet sie mit einem "Die Wahrheit ist immer konkret". Schließlich ruft sie noch ein europäisches "Jahr des Vertrauens" aus. Gelächter aus der Opposition.

Eigentlich, so der Eindruck, ging es Merkel bei ihrem wohl letzten großen Auftritt vor den gefürchteten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg darum, Souveränität und Entschlossenheit auszustrahlen. Spätestens mit den Zwischenrufen aus der Grünen-Fraktion scheitert dieser Plan: Auf vergleichsweise leises Gemurmel reagiert die Kanzlerin überzogen, kündigt beleidigt an, die Details nur den eigenen Fraktionen vorzutragen, wirft den Kritikern "Kleinkariertheit" vor. Auf einmal wirkt Merkel überspannt. Ihre Hülle der Entschlossenheit ist dünn geworden in den vergangenen Wochen.

Die vielgerühmte, bisweilen als Aussitzer-Mentalität kritisierte Gelassenheit Merkels, wo ist sie geblieben? Und dann folgt der Kanzlerin auch noch einer ans Rednerpult, der diese überspannte Wirkung Merkels unterstreicht - doppelt, mit dicken Strichen.

Nicht in Stimmung für Selbstironie

Peer Steinbrück spricht, als hätte er die Coolness erfunden. Für Merkels früheren Finanzminister ist es die erste Rede aus der Opposition heraus. Fast eineinhalb Jahre hat er sich Zeit gelassen. Das Warten hat sich für die SPD gelohnt. Die Rede sitzt, von Anfang an. "Sie müssen nicht ganz so angefressen reagieren", sagt Steinbrück hanseatisch-kühl zum Einstieg in Richtung der Kanzlerin. Die hat den Kopf über ihre Unterlagen gesenkt, blickt nicht auf.

Steinbrück legt los. Das europäische Rettungspaket sei richtig, aber unzureichend, bescheidet er seiner Ex-Chefin. In originellen Bildern kritisiert der Sozialdemokrat mangelnde Entschlossenheit der Regierung: Als sie die Finanzhilfen für Griechenland zunächst versagt hatte, sagt Steinbrück an die Adresse Merkels, sei sie auf einer "Welle gesurft, die sie als eiserne Kanzlerin stilisierte", habe dann aber doch umgeschwenkt. Er spricht nicht von Schlingern, sondern von "Volten" der Regierung - in Sachen Guttenberg, Atom, Libyen. "Wenn Sie dann sagen, es sei ganz klar", sagt der SPD-Mann, "geht bei mir die Warnblinkanlage an."

Steinbrück scheint die Rückkehr ans Mikrofon zu genießen. Er benutzt Begriffe wie "Orwell'sche Sprachverdrehung" in Sachen automatische Sanktionen für europäische Schuldensünder, streut ironische Spitzen zwischen die Sätze - "Nicht, dass es da zu Copyright-Streitigkeiten kommt" - und bescheinigt der schwarz-gelben Koalition "Neo-Sozialismus". Betont trocken und ruhig trägt Steinbrück gerade diese Teile seiner Rede vor.

Während der gesamten 20 Minuten - die Fraktion hat ihm ihre gesamte Redezeit geschenkt - hören die meisten Abgeordneten aufmerksam zu; als der Vorwurf des Neo-Sozialismus fällt, fängt Deutschlands oberster Liberaler Guido Westerwelle an zu lachen - nur Merkel zeigt keine Regung, gibt sich betont unbeteiligt. Sie scheint nicht in der Stimmung für Selbstironie zu sein.

Es ist unbenommen: Für die Opposition ist es oftmals leichter, aus der Vorlage der Regierung Kapital zu schlagen, als für die Regierung, komplexe Kompromisse als politischen Erfolg darzustellen. Und die Umfragewerte vor den Wahlen am Sonntag sehen für die Union dramatischer aus als für die Sozialdemokraten.

Die Coolness ihres früheren Finanzministers könnte die Kanzlerin in diesen Zeiten gut gebrauchen.

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