Regierungserklärung:Ruhe bewahren

Die Kanzlerin will im Bundestag den Eindruck zerstreuen, die griechische Schuldenkrise könne der gesamten Währungsunion schaden.

Von Cerstin Gammelin

Übertragen auf die nach oben offene Richterskala, mit der die Stärke von Beben angegeben wird, verursacht die Krise in Europa nur noch leichtere Erschütterungen. So jedenfalls sah es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag erneut die Haltung vertrat, dass die Währungsunion auf gutem Weg aus der Krise sei. Wie zur Beweisführung ließ sich Merkel einige Zeit, bis sie direkt auf das Epizentrum zu sprechen kam, das sie in fünf langen Jahren nicht geschafft hat zu beruhigen - Griechenland.

Die Rede war offenbar dazu gedacht, die Gemüter zu beruhigen. Merkel suchte den Eindruck zu erwecken, dass sie erstens über die Aufregung um Griechenland nicht die Agenda Europas aus den Augen verlieren werde, als da wären das Schicksal der hunderttausend Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn nach Europa gekommen sind, der Krieg in Syrien, die Unruhen im Nahen und Mittleren Osten und die Sorgen um die Ukraine sowie der Umgang mit Russland. Und dass sie, zweitens, konsequent bei ihrer Rettungspolitik bleiben wird: Entweder lenkt die griechische Regierung ein und erfüllt die Konditionen der Kreditgeber.

Oder eben nicht. "In der Europäischen Union stehen enorme innere wie äußere Herausforderungen an, die gleichzeitig bewältigt werden müssen", sagte Merkel. Es hörte sich an wie eine gewaltige, aber beherrschbare Aufgabe - allen Spekulationen zum Trotz, dass Europa zu zerbröseln drohe, sobald das erste Land die Gemeinschaft verlasse. Und es klang beruhigend im Vergleich zu dem, was sie vor fünf Jahren sagte, damals, als die Krise noch jung war. Am 19. Mai 2010 hatte Merkel im Bundestag von einer "existenziellen Bewährungsprobe für Europa" gesprochen. Und für alle, die es noch deutlicher hören wollten, den inzwischen berühmten Satz angefügt: "Scheitert der Euro, scheitert Europa".

Regierungserklärung: "Wo ein Wille ist, ist ein Weg". Wie ein Mantra wiederholt Merkel diesen Satz, an Athen gewandt.

"Wo ein Wille ist, ist ein Weg". Wie ein Mantra wiederholt Merkel diesen Satz, an Athen gewandt.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Sie hat diesen Satz schon lange nicht mehr wiederholt, er passt genauso wie das Wort existenziell nicht zu der mindestens öffentlich vertretenen Haltung, wonach die Bundeskanzlerin ihrem Ziel, "dass Europa stärker aus der Krise herauskommt als es hineingegangen ist" ein großes Stück näher gekommen sei. "Europa ist robuster geworden", befand Merkel am Donnerstag. Sie erinnerte daran, dass der Euro immer "weit mehr" gewesen sei als eine Währung, dass die Entscheidung für den Euro "symbolisch steht für die Einheit Europas wie keine andere".

Griechenland stehe nicht auf der Tagesordnung des Gipfels nächste Woche, stellte Merkel klar - da war der Sondergipfel kommenden Montag noch nicht bekannt. Dann wollte sie über Griechenland einige "allgemeine" Bemerkungen loswerden. Sie wolle den Beratungen der Finanzminister, die sich am Nachmittag in Luxemburg trafen, um vergeblich über eine Einigung im Schuldenstreit mit Athen zu beraten "nicht vorgreifen". Sie sei aber "unverändert überzeugt, wo ein Wille ist, ist ein Weg".

Diese Aussage ist so bekannt wie die, dass die Bundesregierung "darauf hinarbeitet, Griechenland im Euro zu halten". Wenn die griechische Regierung sich bemühe, sei noch eine Einigung möglich, sagte Merkel. Deutschland und sie würden hart daran arbeiten, natürlich zusammen mit Frankreich und Staatspräsident François Hollande

Oppositionsführer Gregor Gysi versuchte, den präsidialen Auftritt Merkels, der von gelegentlichem Beifall aus den eigenen Unionsreihen und noch weniger Zwischenrufen so gut wie störungsfrei über die Bühne gegangen war, mit bekannter Leidenschaft, aber leider auch hinreichend bekannten Fakten beizukommen. Mit den Krediten für Griechenland seien ja nur Banken gerettet worden und große Gläubiger aus Deutschland und Frankreich, und überhaupt sei ja die Krise in Griechenland nicht von dem jetzt regierenden Linksbündnis Syriza verursacht worden, sondern von den Schwester- und Bruderparteien der Union und der SPD. Was in der Tat so ist, Gysi aber außer Beifall in den eigenen Reihen nichts brachte. Einzig eine Zwischenfrage aus dem Plenum ließ den scheidenden Fraktionsführer der Linkspartei noch einmal aufwachen. Ob er denn dem Zwischenruf eines Kollegen seiner Fraktion beipflichten wolle, wonach die Rettungspolitik der Bundesregierung in Griechenland einem "finanzpolitischen Massenmord" gleiche. Worauf der als rhetorisches Talent bekannte Gysi unter Gelächter entgegnete, manche Kollegen neigten offenbar zu extremen Zuspitzungen, ihm sei derartiges jedoch fremd.

Regierungserklärung: Solidarität mit Griechenland forderten Linken-Abgeordnete. Das gefiel dem Bundestagspräsidenten gar nicht.

Solidarität mit Griechenland forderten Linken-Abgeordnete. Das gefiel dem Bundestagspräsidenten gar nicht.

(Foto: gam)

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann fuhr der Kanzlerin ein wenig in die Parade. Er lobte Merkel dafür, dass sie die Beilegung der griechischen Krise an sich gezogen habe. "Ich bin froh, dass Merkel und Hollande das Thema zur Chefsache gemacht haben", sagte Oppermann. Die Kanzlerin dürfte sich über dieses Lob wenig gefreut haben - weil es im Umkehrschluss heißt, dass die Finanzminister, die in Luxemburg tagten, inzwischen zu Statisten geworden sind, weil es eine Einigung zwischen Athen und den Euro-Partnern nur auf höchster Ebene geben kann. So kam es dann auch. Am Abend berief EU-Ratspräsident Donald Tusk für Montag einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs zur Schuldenkrise ein.

Im Bundestag zeigte sich am Donnerstag auch, dass griechische Beben weder sicher vorauszusagen noch zu verhindern sind. Einige Abgeordnete der Linkspartei standen plötzlich auf und demonstrierten eine Minute lang mit Plakaten für mehr Solidarität mit Griechenland. Die Hausordnung verbietet Derartiges, der Ältestenrat muss sich damit befassen. Grund zur Beunruhigung ist das freilich nicht.

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