Regierungserklärung:Merkels codierte Botschaft an Obama

"Nein, das kann nicht richtig sein": Kanzlerin Merkel stellt sich in ihrer Regierungserklärung gegen die Überwachung durch die NSA. Zugleich beschwört sie die Freundschaft - und sagt einen Satz, der Datenschützer alarmieren muss. Ihre Kernbotschaften im Überblick.

Von Michael König

Sie tun es fast alle. Barbara Hendricks, die Umweltministerin, tippt beinahe die ganze Zeit in ihr Gerät. Andere, wie Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas, schauen eher verstohlen darauf. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt tut sich als Handynutzerin hervor. Während Angela Merkel ihre Regierungserklärung abgibt, sind auf den Fernsehbildern aus dem Bundestag viele Smartphones zu sehen. Auf der Regierungsbank, bei der Opposition. Die NSA liest die ganze Zeit mit.

Das ist zumindest die Erkenntnis aus den Enthüllungen von Edward Snowden, der das Ausmaß amerikanischer Überwachung am Sonntagabend in einem ARD-Interview noch einmal bekräftigte. Gegenbeweise gibt es nicht. Der für die Spionageabwehr zuständige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen antwortete im Handelsblatt auf die Frage, wie aktiv der amerikanische Nachrichtendienst in Deutschland sei: "Wir wissen es nicht genau."

Merkel nimmt die nicht enden wollende Affäre zum Anlass, in ihrer mit Allgemeinplätzen aus dem Koalitionsvertrag aufgeblähten, einstündigen Regierungserklärung einen Schwerpunkt zu setzen. Sie sendet eine Botschaft an US-Präsident Obama, die sich mit "Es ist nicht okay, aber" zusammenfassen lässt. Die Betonung liegt auf "nicht okay".

Ihre Kernbotschaften im Überblick, thematisch sortiert:

"Vertrauen ist die Grundlage für Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern. Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird, verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen."

Merkel greift die Affäre um ihr abgehörtes Telefon auf, ohne sie explizit zu erwähnen. Die Warnung vor dem Misstrauen passt zur ihrer bisherigen Linie, wonach es "gar nicht geht", wenn Verbündete einander aushorchen.

"Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit."

Damit reiht sie sich implizit ein in die Riege der Kritiker, die eine Massenüberwachung wie jene der NSA und des britischen GCHQ für übertrieben halten. Selbst von Obama eingesetzte Experten sind der Meinung, die totale Ausspähung der Bürger bringe keine zusätzliche Sicherheit, sondern nur hohen Aufwand.

"Kann es also richtig sein, dass unsere engsten Partner sich Zugang verschaffen zu allen denkbaren Daten mit der Begründung, das diene auch den Interessen aller Partner, also auch uns? (...) Nein, das kann nicht richtig sein."

Das vielleicht stärkste Zitat. Eine Absage an das Universalargument der Amerikaner, jeder Überwachungsvorgang diene letztlich dem Kampf gegen den Terror. So geäußert etwa vom ehemaligen US-Botschafter John Kornblum, der am Sonntag bei Günther Jauch verkündete, die Technologie sei an einem Punkt, wo sich schon die US-Regierung schwertue, sie zu kontrollieren. Europäische Regierungen hätten die Kontrolle erst recht nicht mehr, deshalb sei Deutschland auf die USA angewiesen.

"Wir wollen, dass das Internet eine Verheißung bleibt. (...) Wir wollen es schützen vor Zerstörung von innen durch kriminellen Missbrauch und durch intransparente, allumfassende Kontrolle von außen. Der bisherige rechtliche Rahmen reicht nicht mehr aus (...). Das heißt, wir betreten Neuland."

Dass Merkel "kriminellen Missbrauch" mit "Kontrolle von außen" gleichsetzt, dürfte manch einem Netzaktivisten nicht gefallen. Die NSA-Affäre mit Problemen wie Passwort-Diebstahl oder Phishing-Seiten gleichzusetzen, käme für sie wohl einer Verniedlichung gleich. Dass der Rechtsrahmen "nicht mehr ausreicht", würden hingegen vermutlich alle unterschreiben. Das "Neuland" ist eine Hommage an ihr Zitat vom 19. Juni 2013, für das sie heftig verspottet wurde.

"Wir arbeiten mit Hochdruck an einer europäischen Datenschutzverordnung. Wir achten sehr darauf, dass deutscher Datenschutz nicht unverhältnismäßig geschwächt wird."

Der "Hochdruck" ist wohl relativ, so sehen das zumindest die Grünen.

Der zweite Satz muss Datenschutzaktivisten alarmieren. Was heißt "nicht unverhältnismäßig geschwächt"? Ein bisschen Schwächung wäre also okay? Merkel sagt dazu nichts, außer das die Bundesregierung die Verantwortung trage "für unsere Privatsphäre, Freiheit und Sicherheit".

"Viele sagen, ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten sei unrealistisch. Mag sein. Mit Sicherheit wird das Problem nicht mit einer Reise von mir behoben sein. (...) Andere Hebel, die Amerika zum Umdenken zwingen könnten, gibt es meiner Meinung nach nicht."

Damit geht Merkel zum zweiten Teil von "Es ist nicht okay, aber" über. Also zum "aber".

Merkels Absage an "Trotzhaltungen"

Sie räumt Probleme mit dem No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA ein, das Washington wohl nicht abschließen will, zumindest nicht in konkreter Form. Sie lehnt zugleich den Vorschlag ab, die USA durch eine strengere Haltung bei den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen Amerika und der EU zum "Umdenken zu zwingen", wie sie es ausdrückt. Kein Wunder, Merkel ist eine Antreiberin des TTIP.

"Trotzhaltungen haben noch nie zum Erfolg geführt." Stattdessen solle "mit der Kraft unserer Argumente" agiert werden.

Die "Kraft unserer Argumente" dürfte neuen Spott nach sich ziehen, schließlich geht die NSA-Affäre schon eine Weile und deutsche Argumente haben nicht viel gebracht. Das sieht die Opposition so, auch ihr Anführer Gregor Gysi. Der Linken-Fraktionschef fragt nach Merkels Erklärung rhetorisch: "Warum gibt es keine Ermittlungen? Das ist nicht hinnehmbar. Warum gibt es hier zweierlei Recht?" Gysi rügt, Merkel sei nicht auf den von Snowden bekräftigten Vorwurf eingegangen, die USA betrieben Wirtschaftsspionage. "Jetzt ist es die Linke, die Unternehmen schützen muss", sagt Gysi. Gelächter im Plenum. Aber zurück zu Merkel.

"Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Geheimdienste unverzichtbar ist. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Geheimdienste noch wichtiger geworden ist."

Eine von zwei Passagen, um die Transatlantiker zu beruhigen. Politiker, die das transatlantische Verhältnis durch Snowden gefährdet sehen, nicht durch dessen Enthüllungen. Merkel sagt das gleich zu Beginn der NSA-Passage und leitet das "Nicht okay, aber"-Prinzip damit ein. Sie schließt mit einer Versicherung:

"Deutschland kann sich keinen besseren Partner wünschen als die USA. Die transatlantische Partnerschaft ist und bleibt von überragender Bedeutung."

Zu hart will Merkel Obama nicht kritisieren, heißt das frei übersetzt. Aber ein bisschen. Gerade so sehr, dass die Parlamentarier im Bundestag wieder guten Gewissens ihre Smartphones benutzen können.

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