Regierungserklärung der Minister:Beifall nach jedem vierten Satz

Bundestag

Verspricht eine "neue Dynamik für Deutschland": Bildungsministerin Anja Karliczek.

(Foto: dpa)

Mehrere Minister halten ihre Regierungserklärungen im Bundestag. Bildungsministerin Anja Karliczek verkündet dabei viele Selbstverständlichkeiten - und hält ein bemerkenswertes Plädoyer.

Von Markus Balser, Stefan Braun, Nico Fried und Henrike Roßbach, Berlin

Am Donnerstag waren sechs Minister mit ihrer Regierungserklärung an der Reihe, nachdem am Mittwoch die Kanzlerin, der Außenminister und die Verteidigungsministerin gesprochen hatten.

Anja Karliczek

Wie schön doch Rituale sein können. Gerade wenn man noch einigermaßen neu ist. Neu wie Anja Karliczek, die Ministerin für Bildung und Forschung. Sie hat am Donnerstag ihren ersten großen Auftritt im neuen Amt - und kann sich drauf verlassen, dass die Kolleginnen und Kollegen immer wieder Beifall klatschen. Sie machen es selbst dann, wenn Karliczek keine Überraschungen, sondern Selbstverständlichkeiten verkündet. Botschaften also, die ihre Vor- und ihre Vorvorgängerin auch schon als große Ziele präsentiert hatten. So verspricht Karliczek eine "neue Dynamik für Deutschland"; sie kündigt eine "Offensive für Digitalisierung und Forschung" an und betont, wie wichtig es sein werde, Chancen zu schaffen und "Mut zur Zukunft" zu erzeugen.

Karliczek sagt damit nichts Falsches, ganz im Gegenteil, sie sagt das, was über Bildung und Forschung schon oft erklärt wurde. Sie bewegt sich auf sicherem Terrain. Man kann das verstehen, vor wenigen Wochen hätte sie jeden belächelt, der ihr das Amt der Bildungsministerin vorhergesagt hätte. Jetzt aber ist sie die Chefin in einem Ministerium, das nicht nur zentrale Zukunftsthemen zur Aufgabe hat, sondern dafür auch ein gigantisches Budget zur Verfügung hat. 17, 6 Milliarden Euro verteilt das Ministerium, es soll die Digitalisierung in die Schulen tragen; es soll die Wissenschaft nach vorne bringen. Und es soll - das ist in der Tat das Neue - für eine engere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eine Grundgesetzänderung durchsetzen.

So jedenfalls steht es im neuen Koalitionsvertrag; und genau so kündigt es auch Karliczek an. Dabei wird deutlich, dass die neue Ministerin eines auf alle Fälle schon verstanden hat: Dass sie für die hierfür nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht nur Union und SPD, sondern auch andere Parteien benötigt. "Es geht nur gemeinsam", erklärt die CDU-Politikerin. Anders sei das Ziel nicht zu erreichen, die Situation in allen Regionen Deutschlands nachhaltig zu verbessern. Ob gelingt, was sie vor hat, will sie nicht an Statistiken und schlauen Experten messen. Am Ende, so Karliczek, gehe es zuallererst um das Bild, das Kinder und Jugendliche von ihrer Schule hätten: "Ist Schule ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist? Oder ist Schule ein Ort, der Zukunft atmet?

Bemerkenswert ist an Karliczeks Auftritt ihr Plädoyer, nicht länger zwischen guten und schlechteren Bildungswegen zu unterscheiden. "Deutschland braucht jedes Talent", sagt sie an einer Stelle. Und an einer anderen fügt sie hinzu, dass nicht die Art des Abschlusses entscheidend sei, sondern "das, was jemand daraus macht". Karliczeks Botschaft: Wir brauchen in Deutschland längst alle, ganz gleich, ob sie ein Studium abschließen oder eine andere Ausbildung machen.

Andreas Scheuer

Wie schwer es wird, den Abgasstreit zu befrieden? Der neue Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer macht das gleich zu Beginn seiner ersten Rede im Bundestag selbst klar. Scheuer hat sein Manuskript aufs Pult gelegt. Er redet trotzdem frei. "Luftqualität ist Lebensqualität", sagt Scheuer. "Aber Mobilität ist das auch." Und Mobilität sei auch noch der "Kraftstoff" der Wirtschaft. Scheuer redet laut und kraftvoll. Doch zwischen den Zeilen schwingt die leise Frage mit: Wie soll ein Minister diese Zielkonflikte auflösen?

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Manuskript auf dem Pult: Andreas Scheuer (CSU).

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Vor den Abgeordneten macht Scheuer klar, dass er am Kurs seines Vorgängers Alexander Dobrindt wenig ändern will. Hartes Durchgreifen gegen die Industrie ist von Scheuer nicht zu erwarten. Die Deutschen sollen bei der Mobilität alle Freiheiten behalten. "Keine Panik und keine Verbote, sondern Anreize und Maßnahmen - und das konkret und schnell", sagt Scheuer. Dem neuen Minister geht es erst mal um die kleinen Lösungen. Er kündet eine neue Förderrichtlinie zur Umrüstung von Diesel-Bussen an. 28 000 Stadtbusse sollen so umweltfreundlicher werden. Das koste 107 Millionen Euro. In einem nächsten Schritt sollten auch öffentliche Fahrzeuge wie Müll- oder Krankenwagen umgerüstet werden. Mit Software-Updates der Hersteller bei älteren Diesel sollten die Stickoxid-Emissionen bis Ende 2018 um bis zu 30 Prozent reduziert werden.

Am Ende zitierte Giffey noch Theodore Roosevelt

"Sie haben recht", reagiert Scheuer auf empörte Zwischenrufe der Grünen: "Das reicht noch nicht." Welche Schlüsse Scheuer daraus zieht, bleibt erst mal offen. Nur bei einem Ziel wird der CSU-Politiker konkret: In den deutschen Städten sollen bis 2020 die vor allem von Dieselautos verursachten Schadstoff-Grenzwerte eingehalten werden. Saubere Luft solle wieder ein "Exportschlager" werden, sagt Scheuer. Doch er bekommt schon an diesem Nachmittag zu spüren, dass es eine schwere Amtszeit wird. Denn sogar der Koalitionspartner SPD setzt den Verkehrsminister von Anfang an unter Druck. Er erwarte, dass die Industrie bei der Nachrüstung zur Verantwortung gezogen wird", sagt SPD-Verkehrspolitiker Sören Bartol - eine Forderung, die in der Union umstritten ist. Und er hoffe dabei auf alle Parteien im Parlament.

Franziska Giffey

Von der Kommunalpolitik an die Spitze eines Bundesministeriums, das ist eine ziemlich steile Karriere, die es vor Franziska Giffey so noch nicht gegeben hat in der deutschen Politik. Und so wunderte es auch nicht, dass die 39-Jährige, die bis vor Kurzem noch Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Neukölln war, dann doch etwas Respekt zu haben schien bei ihrem ersten Auftritt im Bundestag. Eher sanft und zurückhaltend blieb sie während ihrer Rede. Jedenfalls gemessen daran, wie munter, handfest und locker sie vor einer Woche auftrat, als sie vor dem Brandenburger Tor einer Eisskulptur zu Leibe rückte, um auf die ungerechte Bezahlung von Frauen aufmerksam zu machen. Der Grünen-Abgeordneten Annalena Baerbock fiel das offenbar auch auf, zumindest forderte sie später in der Debatte "eine laute Familienministerin".

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Eher zurückhaltend: Franziska Giffey (SPD).

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Giffey erzählte zu Beginn, was ihr die Bürger von Neukölln mitgegeben hätten beim Abschied vergangene Woche: "Bitte vergessen Sie uns nicht." Das, versprach sie am Donnerstag, wolle sie beherzigen. Dass Giffey in Neukölln stets glasklar Stellung bezogen hatte gegen Zwangsehen und Parallelgesellschaften, schien die AfD-Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel nicht zu irritieren. Sie richtete ausgerechnet an die Neuköllnerin den Vorwurf, die Bundesregierung stehe für eine Familienpolitik, die nichts bewirke gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und gegen Zwangsverheiratungen. Giffey quittierte die Gegenrede mit unbewegtem Blick.

Sie selbst nannte als Herzensthemen die frühkindliche Bildung, in die künftig zusätzliche 3,5 Milliarden Euro fließen sollten. Frühkindliche Bildung sei eine Grundlage für Chancengleichheit. Notwendig sei mehr Qualität in den Kindertagesstätten, aber auch eine Entlastung der Eltern bei den Kita-Gebühren. "Eltern wollen beides", sagte Giffey, was vor allem die SPD-Fraktion, die sich offenbar aufmunterndes Klatschen nach mindestens jedem vierten Satz vorgenommen hatte, mit Applaus bedachte. Stark machen werde sie sich auch für den Ausbau des Ganztagsschulbetriebs, versprach die neue Ministerin dann noch, ebenso Verbesserungen beim Kinderzuschlag. "Damit kommen viele Familien, die weniger Geld haben, besser über die Runden." Am Ende zitierte sie noch Theodore Roosevelt: "Tu, was du kannst, mit dem, was du hast, wo immer du bist." Und getan werden, so Giffey, könne eine ganze Menge.

Olaf Scholz

Der Finanzminister und Vizekanzler trat ohne Manuskript ans Rednerpult. Das trauen sich nicht viele im Plenum des Bundestages. Prominentester Freiredner ist bislang Volker Kauder gewesen, der Unions-Fraktionschef. Allzu schwer dürfte es Olaf Scholz (SPD) allerdings auch nicht gefallen sein, denn Scholz hatte nicht vor, konkret zu werden oder gar mit Zahlen zu hantieren - abgesehen natürlich von der schwarzen Null, die er klar verteidigte. Der Staat habe in der Vergangenheit zu lange zu viele Schulden gemacht, so Scholz zu Beginn seines insgesamt staubtrockenen Vortrags. "Wir brauchen eine ganz lange Phase, in der wir keine neuen Schulden machen." Der Minister ging sogar weiter: Er wolle auch "Defizite abbauen", so Scholz, eine Ankündigung, die ihm in den eigenen sozialdemokratischen Reihen keinen ungeteilten Beifall bringen dürfte.

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Freie Rede über die schwarze Null: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Bundesregierung wolle die vorhandenen Spielräume aber auch nützen, um Geld in Zukunftsprojekte zu stecken und in den sozialen Zusammenhalt. "Beides ist möglich: Solide Haushaltspolitik und Investitionen." Mit Blick auf die Zukunft des Euro sagte er eine Prüfung der französischen Vorschläge von Präsident Emmanuel Macron zu und versicherte erneut, dass Deutschland nicht für alles aufkommen könne. "Ein deutscher Finanzminister bleibt ein deutscher Finanzminister, egal welches Parteibuch er hat". An dieser Stelle klatschten vor allem die Abgeordneten der Union, angeführt von Volker Kauder - und mit Verzögerung auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Mit Blick auf künftige Zahlungen an die Europäische Union vertrat Scholz die Position, dass bisher zu oft gesagt worden sei, man müsse nicht zahlen, und dann sei es anders gekommen. Er plädiere dafür, lieber gleich zu Beginn höhere Ausgaben einzuplanen - vielleicht werde es ja dann hinterher weniger als erwartet.

Die AfD kritisierte insbesondere die Euro-Politik der Regierung. Peter Boehringer, Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sagte, man befinde sich bereits in einer Schuldenunion, in der die Verbindlichkeiten "vergemeinschaftet" würden. Er warnte die Regierung davor, noch mehr Europa zu wollen. Christian Dürr (FDP) warnte hingegen davor, die Folgen einer bevorstehenden Wende an den Kapitalmärkten zu unterschätzen. Die Zinsen würden auch in der Eurozone steigen; der Bundeshaushalt müsse sich jetzt darauf vorbereiten. Die Grünen-Abgeordnete Anja Hajduk sagte, die "ganz dicken Brocken" wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Steuerpflichtigen kämen erst 2021, würden dann aber den Haushalt massiv belasten. Das sei keine nachhaltige Politik. Linken-Finanzpolitiker Fabio de Masi bekräftigte die Forderung seiner Partei nach einer Vermögenssteuer für Millionäre und Milliardäre.

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