Regierungserklärung der Kanzlerin:Merkel macht Afghanistan zur Chefsache

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Angela Merkel wollte das Thema Afghanistan aus dem Wahlkampf heraushalten, nun reagiert sie auf den Luftangriff bei Kundus mit einer Regierungserklärung. Der CSU-Vorsitzende Seehofer pocht derweil auf eine Exit-Strategie, Linken-Chef Lafontaine fordert ein konkretes Abzugsdatum der Bundeswehr.

Nach der heftigen Kritik an dem von der Bundeswehr befohlenen Nato-Luftangriff in Afghanistan will die Bundesregierung das Parlament am Dienstag umfassend über den Vorfall informieren.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte eine Regierungserklärung an, auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sollte zu den Vorfällen Stellung nehmen. Die Kritik an Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hielt unvermindert an.

"Der Vorfall muss aufgeklärt werden", sagte Merkel am Montagabend in der ARD. Gleichzeitig forderte sie eine deutliche Verbesserung der Lage in Afghanistan bis zum Jahr 2014. "Wir müssen schauen, dass wir in den nächsten fünf Jahren einen massiven Schritt vorankommen", sagte Merkel. Es müsse jetzt "Tempo gemacht" werden beim Aufbau möglichst eigenständiger afghanischer Sicherheitskräfte.

Die Bundesregierung plant nach einem Zeitungsbericht einen schrittweisen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan von 2015 an. Wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise in Berlin schreibt, muss bis 2015 in Afghanistan eine "selbsttragende Sicherheit" hergestellt werden. Einen sofortigen Rückzug lehnt die Bundesregierung weiterhin entschieden ab.

Am Wochenende hatte bereits Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) den Termin 2015 ins Gespräch gebracht.

Den Zeitrahmen für die Beendigung des Afghanistan-Einsatzes will die Bundesregierung auch auf der europäischen Afghanistan-Konferenz erörtern. Die Konferenz soll auf Anregung von Merkel noch in diesem Jahr stattfinden.

Lafontaine fordert Abzug bis 2011

Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer erwartet von der nächsten Bundesregierung "die Vorlage einer Strategie für einen Truppenabzug der Bundeswehr aus Afghanistan". Dabei müsse die Bundesregierung "von sich aus" aktiv werden und dürfe nicht nur internationale Entwicklungen abwarten, sagte er der Leipziger Volkszeitung.

Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) forderte ein baldiges Ende des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan. "Wir brauchen ein glaubwürdiges Ausstiegsszenario", sagte Brok, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments, der Frankfurter Rundschau. Voraussetzung sei aber, dass das Land selbst in der Lage sei, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.

Der Vorsitzende der Linken, Oskar Lafontaine, hat sich für ein konkretes Datum für einen Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan ausgesprochen. "Diesen Kampf kann man nicht gewinnen. Es ist an der Zeit, die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen", sagte Lafontaine den in Dortmund erscheinenden Ruhr-Nachrichten. "Zumindest sollte man jetzt ein festes Abzugsdatum nennen - etwa 2010 oder 2011." Die Linke plant für Dienstag eine Demonstration gegen den Einsatz vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte die Reaktion von Verteidigungsminister Jung auf den Luftangriff. Wer wie Jung eisern daran festhalte, der Angriff sei richtig gewesen, "verspielt in Afghanistan jedes Vertrauen in die internationalen Soldaten", sagte Özdemir dem Hamburger Abendblatt. Jung und Merkel (CDU) gefährdeten mit ihrer Reaktion auf das Bombardement die Bundeswehrsoldaten vor Ort.

Robbe warnt vor Vorverurteilung

Jung selbst betonte in der ARD, er denke trotz der Kritik nicht an Rücktritt. Den Nato-Luftangriff verteidigte er erneut. "Die Taliban haben ja angekündigt, auch gerade vor den Bundestagswahlen einen derartigen Anschlag durchzuführen", sagte er. Er denke deshalb, dass "diese Schutzmaßnahme im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten geboten gewesen" sei. Zivile Opfer schließt er allerdings nicht mehr aus. Einen vorläufigen Nato-Bericht, der von mehreren zivilen Opfern spricht, dementierte er am Montag im ZDF nicht.

Kritik des afghanischen Präsident Hamid Karsai an der Bundeswehr wies die Union zurück. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Eckart von Klaeden, sagte Handelsblatt.com, Karsais Äußerungen seien eine "voreilige Bewertung" der Vorfälle. Karsai hatte der Bundeswehr eine "Fehleinschätzung" vorgeworfen. "Mehr als neunzig Tote für einen einfachen Tanklaster, der obendrein in einem Flussbett feststeckte!", sagte Karsai der Pariser Zeitung Figaro.

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe (SPD), warnte vor einer Vorverurteilung des deutschen Offiziers, der den Nato-Luftangriff angefordert hatte. Für den Oberst gelte "selbstverständlich auch die Unschuldsvermutung", sagte Robbe der Bild-Zeitung. Der Angriff auf zwei Tanklaster in der Nacht zu Freitag in der Nähe von Kundus hatte international scharfe Kritik ausgelöst. Bei dem Bombardement waren mehr als 50 Menschen getötet worden, darunter womöglich auch Zivilisten.

Vor Racheakten der Taliban gegen Bundeswehrsoldaten in naher Zukunft warnte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Walter Kolbow. "Ich glaube nicht, dass die Taliban einfach zur Tagesordnung übergehen werden", sagte Kolbow dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Die Taliban forderten derweil eine Untersuchung durch die Vereinten Nationen. Wenn die UN die Menschenrechte respektierten, sollten sie die Wahrheit über das Geschehen ermitteln, hieß es in einer Erklärung der Taliban. Auf den Militärflughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul wurde am Dienstagmorgen ein Selbstmordanschlag verübt.

© AFP/dpa/AP/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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