Regierungsbildung in Italien:Vorsprechen beim zornigen Präsidenten

Italiens Präsident Giorgio Napolitano will schnell eine Regierung bilden

Giorgio Napolitano will bei der Regierungsbildung keine Zeit verlieren.

(Foto: AFP)

"Taub und unfruchtbar": Italiens Präsident Giorgio Napolitano greift die Politiker des Landes an, weil sie dringende Reformen versäumt hätten. Er ruft sie zur Vernunft - und will möglichst schnell entscheiden, wer eine Regierung bilden soll.

Von Andrea Bachstein, Rom

Italiens am Montag vereidigter Staatspräsident Giorgio Napolitano will keine Zeit verlieren, er hat umgehend die Beratungen über eine neue Regierung aufgenommen. Voraussichtlich wird er an diesem Mittwoch entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Das sagte am Dienstagabend, nach den letzten Gesprächen der Partei- und Fraktionsvertreter mit Napolitano, der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen PD, Enrico Letta. Die PD und die PDL von Ex-Premier Silvio Berlusconi sagten dem Präsidenten zu, sich an einer Regierung auf breiter Basis zu beteiligen.

Letta sagte, seine Partei werde eine solche Regierung voll unterstützen, die drei Prioritäten haben müsse: die wichtigsten Wirtschaftsprobleme anzugehen, das Wahlgesetz zu reformieren sowie das Parlament und die staatlichen Strukturen.

Berlusconi sagte nach dem Gespräch mit dem Präsidenten, seine Partei werde den Kandidaten unterstützen, den Napolitano auswählt. Er habe seine Bereitschaft bekräftigt, eine Mehrparteienregierung mitzutragen. Das Land, so Berlusconi, brauche "eine starke Regierung, damit sie wichtige Entscheidungen treffen kann, und es soll keine Übergangsregierung sein".

Giuliano Amato als aussichtsreichster Kandidat

Als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Premierministers wurde der ehemalige Ministerpräsident Giuliano Amato gehandelt, der das Vertrauen des Staatspräsidenten genießt und für beide großen Parteien akzeptabel sein könnte. Der 74 Jahre alte Jurist Amato war zuletzt bis 2008 Innenminister in der zweiten Regierung von Romano Prodi, seine Laufbahn hatte er einst in der Sozialistischen Partei PSI begonnen. Aber auch Enrico Letta von der PD galt als geeigneter Mann.

Im Gespräch war am Dienstag zudem der Sozialdemokrat Matteo Renzi, der sich als Führungsgestalt derer profiliert, die einen Wandel von Politik und Staat fordern. Am meisten Aufsehen hatte der 38 Jahre alte Bürgermeister von Florenz damit erregt, dass er seit Jahren einen radikalen Generationswechsel auch in seiner eigenen Partei verlangt.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am Montag sagte er zwar, ein Regierungsamt sei für ihn nicht die erste Priorität. Renzi hat aber wie bei anderen Gelegenheiten nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass er einem Ruf nach Rom folgen würde.

Außergewöhnliche Rede beim Amtseid

Auf die Frage, welche Rolle er für sich in einer künftigen Regierung sehe, sagte er: "Ehrlich gestanden, ich weiß es nicht und glaube nicht, dass das so interessant ist. Das Problem bin nicht ich. Ich glaube, Italien muss zeigen, dass es wirklich handelt. Mich interessiert es nicht, die PD zu verändern, mich interessiert es, Italien zu verändern. Denn wenn Italien das tut, was Italien kann, wenn es seinen Job macht, geht es uns allen besser - einschließlich Europa."

Seine Partei zu verändern, so Renzi, sei für ihn nur insoweit interessant, als es zur Veränderung des Landes beitrage. Er erwarte, dass nun eine Mehrparteienregierung oder große Koalition entstehe, und es in ein oder zwei Jahren Neuwahlen geben werde. Renzi warf in dem Interview, das an diesem Donnerstag ausführlich in der SZ erscheint, seiner Partei vor, im Parlamentswahlkampf viel zu defensiv agiert zu haben. Sie reagiere auch viel zu ängstlich auf jede Ankündigungen von Berlusconi und von Beppe Grillo, dem Führer der erfolgreichen Protestbewegung 5 Stelle.

Medien nennen Ansprache historisch

In einem Fernsehengespräch sagte Renzi unterdessen, Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei wie sie bisher ist, wolle er nicht werden. Ihr Vorsitzender Pier Luigi Bersani war am Samstag zurückgetreten, nachdem zwei PD-Präsidentschaftskandidaten durchgefallen waren, zuletzt Ex-Premier Romano Prodi.

Italiens Öffentlichkeit stand am Dienstag noch unter dem Eindruck der ungewöhnlichen Ansprache, die Napolitano am Montag vor der Versammlung der Wahlleute im Abgeordnetenhaus gehalten hatte, als er den Amtseid leistete. Napolitano ging mit den Parteipolitikern hart ins Gericht, Medien nannten seine Ansprache historisch. Berlusconi sprach von der "außergewöhnlichsten Rede, die ich in 20 Jahren gehört habe".

Der zurückgetretene PD-Chef Pier Luigi Bersani sagte zur Ansprache des Präsidenten: "Was hätte er sonst sagen sollen? Er hat das, was gesagt werden musste, sehr gut gesagt."

Napolitano warf der Politik vor, sie sei "taub und unfruchtbar", weil sie dringende Reformen versäumt und sich seit der Parlamentswahl als unfähig erwiesen hat, eine Regierung aus der Taufe zu heben und sich auf einen neuen Präsidenten zu einigen. Der 87-jährige Napolitano hatte sich auf Drängen mehrerer Parteien bereit erklärt, als erster italienischer Präsident zu einer zweiten Amtszeit anzutreten.

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