Regierungsberatungen:Kurze Hosen und lange Gesichter

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Eigentlich sollte die Westbalkankonferenz Optimismus verbreiten. Daraus wurde nun gar nichts.

Von Nadia Pantel

Der Gipfel begann mit Männern in kurzen Hosen und endete mit einer Katastrophe. Die Premier- und Finanzminister Serbiens, Albaniens, Kosovos, Montenegros, Mazedoniens und Bosnien-Herzegowinas spielten vor der Westbalkankonferenz in Wien erst einmal gemeinsam Fußball. Sie waren das Team "Future EU", ihr Gegner die EU. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, im Team EU, konnte bei diesem Anlass beweisen, dass er fußballerisch nicht begabungsfrei ist, und war begeistert: "Hier spielen ehemalige Kriegsgegner zusammen in einem Team!" So seine Botschaft. Tatsächlich zeigte das Match aber auch, wie sehr Politik auf dem Balkan noch in Jungsklub-Atmosphäre stattfindet. Und es bot den Politikern eine perfekte Bühne zur Selbstinszenierung.

So konnte der wegen eines Korruptionsskandals stark in der Kritik stehende mazedonische Premier Nikola Gruevski Jubelfotos nach Hause schicken. Die Pressefreiheit dort ist massiv eingeschränkt. Lediglich zwei mazedonische Journalisten waren bei der Konferenz akkreditiert. In den Medien des Landes dominierte die Berichterstattung über den Gipfel dann folgerichtig, dass der Premier zwei Tore schoss. Das Desaster der Flüchtlinge an der mazedonisch-griechischen Grenze war dann nur noch eine Randnotiz.

Das gut gelaunte Fußballspiel gab den Grundton vor für die Konferenz: Man zeigte sich dem Optimismus verpflichtet, nicht ahnend, wie der Tag enden solle. Der sogenannte Berliner Prozess, angestoßen im vergangenen Jahr von Kanzlerin Angela Merkel bei der ersten Westbalkankonferenz, kommt eher schleppend voran. Die Herausforderungen von 2014 bestehen auch 2015: Die Wirtschaftsmisere lässt Hunderttausende ihre Heimatländer verlassen. Die Terroristen des Islamischen Staates gewinnen auf dem Balkan Anhänger. Die Länder sind hin und her gerissen zwischen Russland und der Nato. Die andauernde Regierungskrise macht Bosnien-Herzegowina de facto handlungsunfähig.

Tatsächlich haben sich die Probleme eher verschlimmert als verbessert. Und nun ist die europaweite Flüchtlingskrise sozusagen als Kollateralschaden auf dem Westbalkan hinzugekommen. Angesichts der gut 2000 Flüchtlinge, die zur Zeit täglich versuchen, Serbien und Mazedonien zu passieren, geriet die Frage nach einem möglichen EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten in den Hintergrund.

Die Länder hoffen auf einen Marshall-Plan. Jetzt gibt es erst einmal 600 Millionen Euro

Die Schuldigen der Flüchtlingskrise wurden schnell ausgemacht. Österreichs Außenminister Kurz sagte, es sei "beschämend", dass das EU-Land Griechenland keine Versuche mehr unternehme, die Flüchtlinge zu registrieren oder zu versorgen, sondern sie direkt nach Mazedonien "durchwinke". Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verurteilte Ungarns Einzelkampf in Sachen Abschottung: "Wir sind keine Verfechter von Grenzzäunen. Wir glauben auch nicht, dass Grenzzäune am Ende das Thema Migration lösen werden." In der Theorie herrschte Einigkeit: Die EU braucht eine gemeinsame Lösung. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte, dass sich die EU-Staaten auf eine feste Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen einigen müssten. Beschlossen wurde diese Quote, wie kaum anders zu erwarten, indes nicht. Stattdessen sicherte Steinmeier Mazedonien und Serbien eine Million Euro für eine bessere Versorgung der Flüchtlinge zu. Menschenrechtsorganisationen hatten kritisiert, dass es in Mazedonien und Serbien an Nahrung, Wasser und Schutz für die Flüchtlinge mangele. Zudem wurden Flüchtlinge, darunter Kinder, bei mazedonischen Polizei- und Militäreinsätzen verletzt.

Beide Seiten, sowohl die Deutschen Merkel und Steinmeier, Österreichs Regierungschef Werner Faymann, EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini als auch die Regierungschef aus Südosteuropa, waren bemüht, die Ziele des Berliner Prozesses zu betonen. Die Westbalkanstaaten sollen langfristig zur EU gehören. Serbiens Außenminister Ivica Dačič griff zu einer nur mühsam verhüllten Drohung: "Solange wir an die EU angebunden sind, benehmen wir uns gut. Sobald man uns den Rücken zuwendet, neigen wir dazu, uns wie unerzogene Kinder zu benehmen." Die Länder des Westbalkans hoffen darauf, dass ein in Aussicht gestellter Marshall-Plan für ihre Region endlich anläuft. Im Hinblick auf die 12 000 Staatsbürger Serbiens, Kosovos, Albaniens und Mazedoniens, die seit Januar in Deutschland Asyl beantragt haben, sagte Steinmeier: "Wir müssen den Menschen mehr Gründe schaffen dazubleiben." Offenkundig, um diese Gründe zu vermehren, wurde ein 600-Millionen-Euro Infrastruktur-Paket zur Stärkung der regionalen Zusammenarbeit zwischen den Ländern verabschiedet.

Am Ende legte sich die Nachricht von den bei Wien gefundenen toten Flüchtlingen als dunkler Schatten auf die Konferenz. Kanzlerin Merkel zeigte sich, wie sie sagte, "erschüttert". Europa, "als reicher Kontinent", sei aber durchaus in der Lage, die Situation zu bewältigen. "Die Welt schaut auf uns." Damit zumindest dürfte sie nicht unrecht haben.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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