Übergangsregierung in Tunesien:Kaum im Amt, schon zurückgetreten

Lange hat die tunesische Übergangsregierung nicht gehalten: Aus Protest gegen die alten Kräfte im Kabinett haben drei Minister ihren Posten aufgegeben.

Einen Tag nach dem Amtsantritt einer Übergangsregierung in Tunesien gibt es schon die ersten Rücktritte. Aus Protest gegen den Verbleib alter Kräfte an der Macht hat sich die Gewerkschaft UGTT von der Regierung distanziert und ihre drei Minister aus dem Kabinett zurückgezogen. Weitere Oppositionspolitiker berieten ihr Vorgehen, hieß es nach Angaben der Gewerkschaft.

TUNISIA-POLITICS-UNREST-DEMO

Die Unruhen nehmen kein Ende: Polizisten in Tunis gehen gegen gewalttätige Demonstranten vor.

(Foto: AFP)

Aber auch bei der Bevölkerung kommt die neue tunesische Regierung kaum an. Kabinett und Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi sahen sich am Dienstag erneut Protesten ausgesetzt. In der Hauptstadt Tunis demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen die Regierung. Ghannouchi verteidigte jedoch seine Entscheidung, die Mehrheit der Minister, die bereits unter dem gestürzten Präsidenten Zine al Abedine Ben Ali dienten, im Amt zu belassen. Zu den sechs Mitgliedern zählt Ghannouchi selbst sowie die Chefs der drei Schlüsselressorts Innen, Verteidigung und Außen.

Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1956 waren mit den drei prominenten früheren Regimekritikern Oppositionspolitiker an der Regierung beteiligt. Das verhasste Informationsministerium, das für die Ben-Ali-Propaganda zuständig war, wurde abgeschafft. Ghannouchi holte außerdem einen der Blogger, der während der Unruhen inhaftiert worden war, sowie einen Filmemacher ins Kabinett. Unter den Oppositionspolitikern sind unter anderen Ahmed Nejib Chebbi von der marxistischen Partei PDP (Demokratische Fortschrittspartei) und Mustapha Ben Jaafar von der Partei Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheit (FDTL) sowie Ahmed Brahim von der Bewegung Ettajdid (Erneuerung).

Ghannouchi will Neuwahlen voraussichtlich erst in sechs Monaten ansetzen, statt wie in der Verfassung vorgesehen innerhalb von 60 Tagen. Das hatten zahlreiche Oppositionelle gefordert, um mehr Zeit zu haben, sich zu organisieren.

Es meldete sich außerdem bereits ein erster Präsidentschaftskandidat: Moncef Marzouki (65), der ehemalige Vorsitzende der Menschenrechtsliga, will sich für die Nachfolge des ins Exil getriebenen Ben Ali bewerben. Marzouki kritisierte die Übergangsregierung als "Maskerade". Das tunesische Volk werde es nicht akzeptieren, dass so viele Minister ihren Posten behalten, sagte er der französischen Zeitschrift Le Point. Die Islamisten-Bewegung al-Nahda hatte bereits angekündigt, sich nicht an der Übergangsregierung zu beteiligen. Ihr im Londoner Exil lebender Chef Raschid Ghannouchi wollte aber demnächst in die Heimat zurückkehren.

Die USA begrüßten die Reformen in Tunesien. Es werde erwartet, dass die tunesische Regierung freie und faire Wahlen abhalte, um die Hoffnungen der Bevölkerung zu erfüllen, sagte Regierungssprecher Tommy Vietor nach der Vorstellung einer neuen tunesischen Einheitsregierung. "Wir mahnen Ruhe und ein Ende der Gewalt in Tunesien an", sagte Vietor.

Die neue Regierung versprach vieles von dem, wofür die Tunesier auf die Straße gegangen waren: Sie will bislang verbotene Parteien und Nichtregierungsorganisationen zulassen, unter ihnen auch die tunesische Menschenrechtsliga. Politische Häftlinge werden freigelassen. Bei den Wahlen soll es ein unabhängiges Komitee und internationale Beobachter geben.

Die Regierung legte am Dienstagmorgen auch eine neue Opferbilanz der Unruhen vor: Demnach gab es bei den Demonstrationen 78 Tote und knapp 100 Verletzte. Zu ihnen gehört auch der deutsch-französische Fotograf Lucas Mebrouk Dolega, der am Montag in einem Krankenhaus in Tunis seinen Verletzungen erlag. Der 32-jährige Reporter war am Freitag während der Ausschreitungen in der Hauptstadt aus nächster Nähe von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: