Regierung in Italien:Strohmann Conte

Regierung in Italien: Ministerpräsident Conte (links) flankiert von Innenminister Salvini

Ministerpräsident Conte (links) flankiert von Innenminister Salvini

(Foto: AFP)
  • Der Ministerpräsident bestimmt die politischen Richtlinien der Politik, heißt es in Italiens Verfassung.
  • Doch der neue Premier Conte wurde von seinen zwei Stellvertretern bestimmt: Di Maio von den Cinque Stelle und Salvini von der Lega hatten da den Koalitionsvertrag bereits ausgehandelt.
  • Conte gilt deshalb als Marionette. Nur ein einziges Mal schritt er bisher ein: Als Salvini Roma und Sinti zählen lassen wollte.

Von Oliver Meiler, Rom

Irgendwann werden sich die Italiener wohl mit Verwunderung an diese Zeit zurückerinnern, da man ihnen einen Ministerpräsidenten präsentierte, von dem sie davor nie gehört hatten. Einen gewissen Giuseppe Conte, 53, aus Volturara Appula im süditalienischen Apulien, Anwalt und Professor für Zivilrecht an der Universität von Florenz.

Nicht einmal der Staatspräsident hatte je von ihm gehört, bevor er ihn zu sich in den Palast auf dem Quirinal rief. Er erteilte Conte dennoch den Regierungsauftrag, ohne zu wissen, wie und was der denkt, etwa über Europa, den Euro, die Migration, die Bürgerrechte, die großen Fragen. Wo hat es das schon einmal gegeben?

Man sagte sich, dass es vielleicht gar nicht so wichtig sei, wie der Mann mit der Haarsträhne und den eleganten Anzügen tickt. Er wurde ja von seinen zwei Vizes bestimmt, von Luigi Di Maio von den Cinque Stelle und von Matteo Salvini von der Lega, den Wahlsiegern vom 4. März. Beiden hatten einander gegenseitig verhindert für den Topposten. Auch das passt gut in diese verrückte Geschichte. Unterstellt, vorgesetzt - alles eine optische Täuschung.

Di Maio und Salvini hatten auch den Vertrag formuliert, der ihre Koalition tragen soll. Der gute Conte? Er kam erst nachher dazu. Dabei müsste es umgekehrt sein. Im Artikel 95 der Verfassung steht: "Der Ministerpräsident bestimmt die politischen Richtlinien der Regierung und trägt dafür die Verantwortung." Klarer geht es nicht.

In der Geschichte der Republik kam es auch schon vor, dass nicht der Wahlsieger den Premier stellte. Giovanni Spadolini schaffte es 1981 an die Macht, obschon sein Partito Repubblicano bei den Parlamentswahlen nur drei Prozent der Stimmen gewonnen hatte - so viel, wie die damaligen Koalitionspartner noch für eine Mehrheit im Parlament brauchten. Eineinhalb Jahre lang hielt sich Spadolini, das war damals gar nicht wenig.

Conte dagegen kam aus dem Nichts, hatte noch nie zuvor an Wahlen teilgenommen. Er wurde einfach dahingesetzt von seinen Mentoren, die je mehrere Millionen Stimmen gewonnen hatten. Di Maios Cinque Stelle: elf Millionen. Salvinis Lega: sieben Millionen. Und Stimmen sind in einer Demokratie nun mal die Währung der Macht. Sie verpflichten auch.

"Marionette", "Mr. Nobody": Contes wenig schmeichelhafte Namen

Selbst Zeitungen, die dem einen oder anderen Lager der populistischen Koalition nahestehen, nannten Conte einen "Exekutor", einen Ausführer des Willens seiner Stellvertreter. Die weniger freundlich gesinnten Blätter nannten ihn "Puppe", "Marionette", "Lautsprecher", "Mr. Nobody", "Gespenst". Bei einem Auftritt in der Abgeordnetenkammer zoomten die Fernsehkameras das Rednerpult ausgerechnet in jenem Moment nahe heran, als sich Conte einmal zu Di Maio bückt, der rechts neben ihm sitzt, und ihn fragt: "Darf ich das sagen?" Di Maio, ganz trocken: "No!"

Ein Monat ist nun verstrichen, und die Italiener wissen noch immer nicht, wie Conte denkt. Doch es ist etwas Erstaunliches passiert: Seine Popularitätswerte sind in den Himmel geschossen - von null, was seiner totalen Unbekanntheit geschuldet war, auf sensationelle 60 Prozent. Die Italiener mögen Conte.

Warum, das ist nicht so klar. Die Exegeten solcher Umfragen sagen, seine politische Unerfahrenheit sei sein größter Trumpf, sie mache ihn sympathisch, volksnah, man halte ihn deshalb für sauber und unverbraucht. Das ist schon viel. Er selber nennt sich "Anwalt des Volkes".

Man hört Conte selten reden, was ihn wohltuend abhebt von all den Vielrednern in der Regierung. Außerdem gefällt den Leuten, wie er im Ausland auftritt: etwas dandyhaft, immer elegant. In seiner langen akademischen Karriere kam er viel herum, sein etwas aufgehübschter Lebenslauf kündet von Aufenthalten in aller Herren Länder. Er spricht mehrere Sprachen.

Italien isoliert, der Premier allein

Kaum war er im Amt, fuhr Conte zum G-7-Gipfel nach Kanada. Die Weltbühne der Macht zum Einstieg. Vor seinen berühmten Kollegen soll er ständig wiederholt haben, er sei an den Koalitionsvertrag gebunden, viel Autonomie bleibe nicht. Als wollte er sich entschuldigen. Donald Trump klopfte ihm gönnerhaft auf die Schultern.

Koalitionsverträge gab es in der politischen Tradition Italiens bisher nie, dass die Regierungspartner nun erstmals trotzdem einen aufgesetzt haben, ist nicht falsch. Allerdings wäre es hilfreich, wenn die Inhalte so formuliert wären, dass sich ihre Kosten durchrechnen ließen. Dafür aber fehlen die Zahlen. Im Vertrag stehen die Wahlversprechen, die Prinzipien, der Premier soll sie umsetzen. Wenn das nicht klappt, sind die Vizes fein raus.

Salvini ist neben Vizepremier auch Innenminister, das war immer schon sein Lieblingsposten gewesen: Als solcher kann man den Sheriff geben und billig Stimmung machen. Viele glauben, Salvini überziehe den Bogen in der Migrationsfrage bewusst und nehme dabei in Kauf, dass das Bündnis zerbrechen könnte. Würde heute neu gewählt, wäre seine Lega wohl stärkste Partei im Land.

Man muss sich das mal vorstellen: Vor fünf Jahren stand die Lega bei vier Prozent, in den jüngsten Umfragen nun bei dreißig. Salvini bläst alle weg mit seinem ständigen Poltern, allen voran Conte. Er ist der eigentliche Chef dieser Regierung.

Die Fünf Sterne ducken sich, als fürchteten sie ihn. Nur ein einziges Mal schritt Conte bisher ein. Als Salvini sagte, er wolle die Roma und Sinti zählen lassen, sagte der Premier: "Basta jetzt! Das geht zu weit." Es hörte sich so an, als wollte er sagen: Ich lass ihm sonst schon alles durch. Nahm Conte sich da seine erste Freiheit? Am Tag darauf richtete Salvini aus, die Sache mit den Roma ziehe er durch.

"Mein Herz schlug immer links", sagt Conte

Conte hat nichts von einem Populisten, sein Gestus ist eher der eines Technokraten. Sein Beziehungsnetz reicht von der katholischen Kirchenhierarchie bis zum Arbeitgeberverband Confindustria. Establishment pur. Fußball spielt er im Circolo Canottieri, dem blasierten Ruderklub am Tiber. In seiner Garage steht ein alter Jaguar, den er mal für wenig Geld gekauft hat. Conte fuhr ihn früher gerne aus, das würde sich jetzt nicht mehr so gut machen.

Zur Politik kam Conte zufällig. Angefragt wurde er von seinem ehemaligen Studenten Alfonso Bonafede. Als ihm der heutige Justizminister vor vier Jahren anbot, auf Empfehlung der Cinque Stelle in einem Aufsichtsgremium Platz zu nehmen, sagte Conte: "Ich habe euch nie gewählt, mein Herz schlug immer links." Er nahm die Offerte dennoch an.

Conte wäre es wohl lieber gewesen, wenn die Fünf Sterne sich mit den Sozialdemokraten vom Partito Democratico zusammengetan hätten statt mit der rechten Lega. Mit Salvini sind die Probleme programmiert. Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident, verstand die spezielle Dynamik als Erster und versuchte, einen Keil zwischen die beiden zu treiben, um Salvini zu neutralisieren. Er lud Conte nach Paris ein, umgarnte ihn, drängte ihn zu mehr Eigenständigkeit.

Viel hat es nicht gebracht. Am Sonntag, beim informellen Migrationsgipfel in Brüssel, saß Macron neben Conte und sagte: "Es gibt Populisten, die ins Feuer blasen, Innenminister, die Agenda-Setting betreiben." Er meinte Salvini. Conte ließ sich nicht in Versuchung führen und erwiderte: "Salvini und ich sind eine Einheit, wir haben dasselbe Ziel." Das musste er wohl sagen.

Den mitgereisten Reportern aus Italien erzählte Conte danach, Italien sei isoliert. Was zugleich bedeutet: Auch er, der Premier, ist ganz allein. Ohne Erfahrung, ohne Macht und ohne tatsächliche Richtlinienkompetenz.

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