Regenerative Energien:Erneuerbare Entlastung

Deutschland ist für seine Strom-, Wärme- und Kraftstoffversorgung zu drei Vierteln auf Rohstoffimporte angewiesen. Auch wenn die Bundesrepublik noch lange Kohle, Gas und Öl brauchen wird: Die erneuerbaren Energien können langfristig einen signifikanten Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten.

Bernd Oswald

Der Energiegipfel war mit großem Trara angekündigt worden, herausgekommen ist unter dem Strich nicht allzu viel: Die Kanzlerin hat einmal mehr betont, wo die deutschen Energieprobleme liegen: die Abhängigkeit von Energieimporten und die Preise für Strom, Wärme und Kraftstoffe steigen, und wegen des Klimawandels sollten weniger fossile Rohstoffe verbrannt werden.

Die großen Energiekonzerne kündigten an, in den nächsten sechs Jahren bis zu 70 Milliarden Euro in neue Kraftwerke und Netze zu investieren: rund 30 Milliarden Euro in konventionelle Stromerzeugung fließen, bis zu weitere 40 Milliarden in erneuerbare Energien. In den Konzernzentralen deutet sich also ein Umdenken an. Auch dort ist erkannt worden, dass Sonne, Wind, Wasser und Biomasse die einzigen unerschöpflichen Rohstoffe in Deutschland sind.

Aber haben die erneuerbaren Energien das Potenzial, Deutschland mehr Energie-Autarkie zu bescheren?

Das Umweltministerium präsentierte im Februar eine Studie über das langfristige Potenzial der erneuerbaren Energien in Deutschland. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) und das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie attestieren der natürlichen Kraft ein gigantisches Potenzial: Der Anteil der regnerativen Energien könnte sich im Optimalfall bis 2050 verzehnfachen. Beim Strom sehen die Wissenschaftler das Potenzial bei 94 % (aktuell 9,3), bei der Wärmeerzeugung bei 55 % (4,2) und im Kraftstoff-Sektor bei 8 % (1,6). Bezogen auf den gesamten Energieverbrauch halten es die Forscher für möglich, dass 56 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen. 2004 waren es gerade mal 5,1 Prozent.

Noch hohe Verluste bei der Stromproduktion

Wenn diese Annahmen zutreffen, würde Deutschland also mehr als die Hälfte seines Energiebedarfs selbst decken können. Das wären paradiesische Zustände, aber die Frage drängt sich auf: Sind diese Zahlen Utopie?

Hohe prozentuale Zuwächse gibt es immer dann, wenn die Ausgangsbasis niedrig ist. Das ist auch derzeit bei den erneuerbaren Energien in Deutschland der Fall. Zum Zweiten kann man davon ausgehen, dass der Energieverbrauch deutlich sinken wird. Derzeit verbraucht Deutschland die gigantische Summe von 14 Trillionen Joule pro Jahr. Eine 14 mit 18 Nullen. Umgerechnet sind das vier Billiarden Kilowattstunden.

Knapp 30 Prozent davon sind Kraftwerks-Verluste bei der Umwandlung von Rohstoffen in Energie, vor allem in Nutzwärme. Dieser Anteil kann sinken, wenn der Wirkungsgrad von Kraftwerken weiter verbessert wird bzw. noch stärker Blockheizkraftwerke verwendet werden, die auch die Abwärme nutzen, die bei der Stromerzeugung entsteht.

Großes Energiesparpotenzial gibt es auch beim Hausbau. 80 Prozent des Gebäudebestandes sind älter als 20 Jahre. "Durch Neubauten im Niedrigenergie-Standard und durch Renovierungen lässt sich gerade auf dem Wärmemarkt überproportional viel Energie einsparen", sagt Frithjof Staiß, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Statistik für Erneuerbare Energien. Er geht außerdem davon aus, dass sich der Verbrauch von Autos auf 3,5 bis vier Liter halbieren wird. Auch die Haushaltselektronik kann noch effizienter werden. Schließlich bleibt noch die Hoffnung, dass die Deutschen bewusster und sparsamer mit der Energie umgehen.

Windkraft auf See effektiver als an Land

Hauptverantwortlich für einen steigenden Anteil der erneuerbaren Energien ist aber der geplante Ausbau. Vor allem bei der Windenergie ist noch viel Luft. Weniger an Land - hier ist der Widerstand gegen Windparks oft enorm groß - sondern eher auf See. Vor allem Offshore-Windanlagen, die etwa 20 - 25 Kilometer von der Küste entfernt installiert werden sollen, sind vielversprechende Strom-Lieferanten.

Auf dem Meer hat es deutlich mehr Wind, was sich prima mit der Tatsache zusammenfügt, dass der Energieetrag mit zunehmender Windgeschwindigkeit in der dritten Potenz wächst. In ihrer Offshore-Wind-Strategie rechnet die Bundesregierung bis 2010 mit 2000 - 3000 Megawatt Leistung, bis 2025 bzw. 2030, hält das Umweltministerium etwa 20.000 bis 25.000 Megawatt installierter Leistung möglich. Die bestehenden Windräder auf dem Land sollen durch neue leistungsstärkere Anlagen ersetzt werden (Repowering).

Geradezu sagenhaftes Potenzial wird der Geothermie zugemessen, der Gewinnung von Energie aus Erdwärme. Selbst im geologisch nicht besonders aktiven Deutschland gibt es eine Reihe von geeigneten Standorten, um ein paar hundert oder gar tausend Meter in die Erde zu bohren. Vor allem der Rheingraben ist interessant. In 3000 Meter Tiefe ist die Erde zwischen 150 und 200 Grad heiß, normal herrschen in dieser Tiefe nur 100 Grad.

Da es bis dato nur eine geothermische Anlage in ganz Deutschland gibt, fallen hier die Wachstumspotenziale besonders groß aus. "Mit 1000 Anlagen könnte man gut und gerne 200 TWh Strom im Jahr erzeugen", sagt Staiß. Noch größer sind die Potenziale für die geothermische Wärme aus hydrothermalen Quellen.

Wasserkraft wird stagnieren

Erwärmen können sich die Wissenschaftler auch für die Sonne. Ihr Licht ist sowohl zur Stromerzeugung (Photovoltaik) geeignet als auch zur Wärmegewinnung (Solarthermie). Deutschlands Dächer werden bisher nur sehr selten von Solarkollektoren geziert, die Leistung liegt bei gerade mal 850 MW.

Die Studie hält jedoch eine Leistung von 115.000 MW für realisierbar, wenn alle geeigneten Dachflächen in südöstlicher bzw. südwestlicher Richtung genutzt werden. In diesem Fall könnte die Sonne 105 TWh Strom liefern.

Der vielseitigste - und damit aber auch am schwersten zu kalkulierende natürliche - Rohstoff ist die Biomasse. Das organische Material kann als fester (Holz), flüssiger (Gülle) oder gasförmiger (Biogas) Energieträger in Wärme, Strom oder als Kraftstoff umgewandelt werden. Biomasse ist daher besonders für den Einsatz in Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerken geeigenet, die die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme ebenfalls nutzen. Die Studie sieht ein Potenzial von 60 TWh beim Strom und 200 TWh bei der Wärme.

Schon jetzt weitgehend ausgereizt ist die Wasserkraft. Hier werden nur noch geringe Zuwächse von 21 TWh 2004 auf 24 TWh prognostiziert.

Naturschutz begrenzt Naturenergie

Nun muss man derartige Beispielrechnungen mit Vorsicht genießen. Sonne, Wind und Wasser sind nie konstant und somit ist auch die Energieerzeugung daraus gewissen Schwankungen unterworfen. Außerdem kann die Verfügbarkeit geeigneter Standorte nur schwer eingeschätzt werden. Das gilt vor allem für die Geothermie und für die Bereitschaft der Bürger, Sonnenkollektoren auf ihren Privathäusern zu errichten. Deswegen sind sich die Verfasser der Studie bewusst, dass die Ergebnisse ihrer Potenzialabschätzung sehr stark streuen können.

Das Umweltministerium hat sich das Naturschutz-Plus-Szenario zu Eigen gemacht hat, das wegen den Naturschutzaspekten beim Anbau von Biomasse, bei der Windenergienutzung auf dem Land und bei der Wasserkraft von einem geringeren Ausbau ausgeht. Hier liegt der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich niedriger, ist aber immer noch ein Vielfaches von dem Anteil heute: Beim Strom könnten in diesem Szenario im Jahr 2050 etwa 68 Prozent aus der Natur kommen, bei der Wärme wären es rund 40 Prozent. Biokraftstoffe werden vermutlich auch in den nächsten Jahrzehnten eine marginale Rolle spielen.

Europäische Kooperation nötig

Im fiktiven Energiemix des Jahres 2050 für den Gesamtverbrauch an Strom, Wärme und Kraftstoffen würden die erneuerbaren Energien im Naturschutz-Szenario mehr als 43 Prozent ausmachen.

Diese Stratgie hängt zu einem guten Teil auch davon ab, wie auch unsere Nachbarn auf die umweltverträglichen Energielieferanten setzen. Je höher die Nachfrage und die Investitionen, desto eher wird die Öko-Energie marktreif. Momentan liegt Deutschland beim Beitrag der erneuerbaren Energien zum Gesamtenergieverbrauch sogar unter dem EU-Durchschnitt.

Vorreiter sind Lettland, Schweden, Finnland und Österreich mit Quoten zwischen 21 und 33 Prozent. Die geographischen und topographischen Verhältnisse sind in anderen Ländern besser für die Produktion von erneuerbaren Energien (EE) geeignet. Gleichzeitig ist in kleineren Ländern der Verbrauch niedriger. Ab etwa 2020 könnte der EE-Markt in Europa so weit gewachsen sein, dass auch ein Import regenerativer Energien denkbar ist. Langfristig könnten das etwa zehn Prozent sein.

Auch die Stromkonzerne denken längst länderübergreifend und sind bei weitem nicht so auf die Atomenergie fixiert, wie es die Diskussion in Deutschland glauben lässt. Während die erneuerbaren Energien bei Eon Deutschland noch eher ein Schattendasein fristen, setzt Eon Großbritannien sehr stark auf die Windenergie.

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