Reformgesetz:Milliarden für die Pflege

Demenzerkrankungen

Wer an Demenz leidet und beispielsweise wichtige Handgriffe des Alltag vergisst, bekommt auf Basis der neuen Pflegegrade mehr Geld.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Eine halbe Million Menschen mehr sollen von 2017 an Geld aus der Pflegeversicherung erhalten. Die Reform wird im ersten Jahr acht Milliarden Euro kosten. Doch es ist pauschal schwer zu sagen, ob die Reform den Betroffenen etwas bringt oder nicht.

Von Kim Björn Becker

Für viele Politiker ist es ein besonderer Erfolg, wenn ihnen gelingt, was dem jeweiligen Vorgänger versagt blieb. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) müsste daher eine gute Woche haben - sein Ministerium hat kürzlich den Referentenentwurf eines Gesetzes verschickt, mit dem eine weitreichende Pflegereform angestoßen wird. Das Projekt hatte zuvor bereits drei weitere Gesundheitsminister aus SPD und FDP umgetrieben.

Seit fast zehn Jahren rügen Kritiker nun schon das geltende System, nach dem in Deutschland entschieden wird, wer pflegebedürftig ist und somit Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält. Bei der Begutachtung durch einen Prüfer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) werde zu sehr auf die Gebrechen geschaut und zu wenig auf die vorhandenen Fähigkeiten, hieß es. Vor allem Demenzkranke bekämen deshalb oft nicht ausreichend Hilfe.

Dem will Gröhe entgegenwirken, zum 1. Januar 2017 an soll das Begutachtungswesen umgekrempelt werden. Im Ergebnis sollen in den nächsten Jahren eine halbe Million Menschen Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, die nach den alten Regeln abgewiesen worden wären. Dazu sollen die bisherigen drei Pflegestufen abgeschafft und durch fünf sogenannte Pflegegrade ersetzt werden. Das geht aus dem Referentenentwurf des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes hervor, der in Koalitionskreisen kursiert. Das Dokument liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Es soll im August vom Kabinett beschlossen werden.

Für die geschätzt 2,8 Millionen Menschen, die bereits pflegebedürftig sind oder es bis zum Ende des kommenden Jahres voraussichtlich werden, sind Überleitungsregelungen vorgesehen. Sie sollen garantieren, dass Pflegebedürftige nicht erneut von einem Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) eingestuft werden müssen, nur weil die Politik die Spielregeln ändert. Stattdessen plant das Ministerium, die alten Pflegestufen mittels einer festgelegten Formel in die neuen Pflegegrade zu übertragen. Ein Bestandsschutz soll sicherstellen, dass hierbei niemand schlechter gestellt wird als bislang. Der Entwurf sieht vor, dass Menschen mit der bisherigen Pflegestufe I in den neuen Pflegegrad II eingruppiert werden; wer heute Stufe II hat, kommt in Grad III, und so weiter. Liegt zusätzlich eine "eingeschränkte Alltagskompetenz" vor, wie etwa bei Demenz oder einer psychischen Erkrankung, klettern Pflegebedürftige um zwei Punkte, also zum Beispiel von der Stufe II auf Grad IV.

Verschiedene Modellrechnungen führen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen, es ist daher pauschal schwer zu sagen, ob die Reform für Betroffene viele Verbesserungen bringt oder nicht. Wer bislang beispielsweise Pflegestufe I hat und ambulant zu Hause versorgt wird, erhält derzeit 244 Euro monatlich. In Zukunft wären es mit Pflegegrad II ganze 316 Euro. Ein anderer Patient, der heute mit Pflegestufe II in einem Heim untergebracht ist, erhält 1330 Euro pro Monat, mit dem neuen Pflegegrad III wären es aber nur 1262 Euro. Die Rechnung ist damit nicht abgeschlossen, Gröhe will darüber hinaus auch die Eigenanteile der Betroffenen anpassen. Statt eines stetig mit den Pflegestufen steigenden Satzes soll es bei stationärer Pflege nur einen einheitlichen Beitrag von 580 Euro pro Monat geben - auch das bringt Gewinner und Verlierer hervor. Nach Berechnungen des Ministeriums soll die Reform im Jahr ihrer Einführung etwa 3,7 Milliarden Euro kosten, in den Folgejahren sollen die Kassen mit etwa 2,5 Milliarden Euro jährlich zusätzlich belastet werden. Um das Vorhaben zu finanzieren, soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum 1. Januar 2017 um 0,2 Prozentpunkte steigen. Darüber hinaus verursache die Reform einmalig Kosten in Höhe von 4,4 Milliarden Euro, heißt es. Das Geld soll aus den Rücklagen der Pflegeversicherung kommen, die derzeit 6,6 Milliarden betragen.

In der Koalition ist zeitgleich ein Streit über den Pflege-TÜV entbrannt. Nach dem Willen des Pflegebeauftragten Karl-Josef Laumann (CDU) sollte die umstrittene Notenvergabe für Heime und Hilfsdienste ausgesetzt werden, bis ein verbessertes System entwickelt wurde. Die SPD stellte sich dagegen. Der nun bekannt gewordene Referentenentwurf sieht indes vor, dass die Noten vorerst beibehalten werden sollen, auch wenn ihr Aussagegehalt gering ist. Laumann kündigte an, er wolle "weiterhin versuchen, bei der SPD Überzeugungsarbeit zu leisten"

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