Reformen auf Kuba:Die Angst der Castros vor dem Internet

Reformen auf Kuba: Ein Mann sitzt in einem der 118 kubanischen Internet-Cafés vor einem Computer.

Ein Mann sitzt in einem der 118 kubanischen Internet-Cafés vor einem Computer.

(Foto: AFP)

Quälend langsam öffnet sich Kuba der Netzwelt: In 118 Internet-Cafés können die Bürger nun online gehen - allerdings kostet eine Stunde einen kompletten Wochenlohn. Die Regierung will verhindern, dass die Bürger unabhängige Medien nutzen. Doch Blogger testen diese Grenzen aus.

Von Matthias Kolb, Havanna

Der Weg ins Internet ist kompliziert auf Kuba. "Das Cybercafé hat geschlossen", heißt es ständig in einem Hotel in Havanna. Ein anderes Mal, in Matanzas, ist der Rechner kaputt und der Techniker könne erst morgen kommen. "Unsere Computer funktionieren, aber es gibt keine Zugangskarten", erklärt die zuständige Dame im Provinzörtchen Vinales.

Schnell lernt der Besucher: Auch wenn es seit Mitte vergangenen Jahres 120 offizielle Internet-Cafés auf Kuba gibt, gibt es eine Menge Probleme. Wer surfen will, der muss sich nicht nur ausweisen, sondern sich den Spaß auch leisten können. Die Zugangskarte, auf deren Rückseite ein Code freigerubbelt wird, kostet 4,50 Dollar - für eine Stunde. In Nobelhotels wie dem "Habana Libre" sind zehn Dollar fällig. Diese Preise sind schon für Touristen hoch, doch für Kubaner mit einem Monatsdurchschnittslohn von 20 Dollar scheint dies unerschwinglich.

"Bei uns ist das Internet sehr teuer, sehr begrenzt und sehr langsam", sagt David Canella Pina, Skype funktioniere beispielsweise in ganz Kuba nur in einem einzigen Hotel. Der 32-Jährige veröffentlicht seit 2011 Artikel über Politik, Kultur und den Alltag der Kubaner auf Cubanet, einer Website, deren Redaktion in Miami sitzt. Er sieht sich als unabhängigen Journalisten, doch für die Regierung sind Leute wie er im Jahr 55 nach der Revolution weiterhin Gegner.

Jeder weiß, wie weit er gehen kann und was tabu ist

Pina, ein schlaksiger Kerl mit Brille, redet ohne Scheu mit westlichen Journalisten. Er weiß, dass die Behörden ohnehin genau beobachten, was er macht und wohin er geht. "Es gibt einen unausgesprochenen Pakt. Wir Blogger kennen die roten Linien und wissen, was wir nicht schreiben dürfen", erklärt Pina.

Tabu sind Anschuldigungen gegen Fidel Castro und dessen Bruder Raúl, der Kuba seit 2008 offiziell führt. Wer über private Details oder Geschäftsinteressen der Generäle schreibt, bekommt ebenfalls Probleme. "Wir versuchen, die Grenzen langsam zu verschieben", erklärt Pina.

Die Tatsache, dass nur wenige Landsleute seine Texte lesen können, schreckt Pina nicht ab. Laut der Internationalen Fernmeldeunion haben 25 Prozent aller Kubaner Zugang zum Internet; hier sind aber auch alle eingerechnet, die am Arbeitsplatz das landesweite Intranet nutzen. Schätzungen zufolge surfen fünf Prozent regelmäßig im World Wide Web. Gerade mal 0,04 Prozent verfügen über eine Breitbandverbindung - das entspricht dem Niveau von Haiti und Sudan.

In den Genuss eines privaten Internetzugangs kommt nur die Elite, also Politiker, staatstreue Journalisten und Medizinstudenten. Den übrigen Studenten stellen die Universitäten ein bescheidenes monatliches Datenvolumen bereit - und wer im Büro online gehen darf, weiß, dass sein Surfverhalten überwacht wird.

Es ist also weniger die Aussicht auf ein großes Publikum als eine Art persönliche Befreiung, die Blogger antreibt. "Es gibt zwei Arten von Menschen auf Kuba. Es gibt die unabhängigen Blogger und andere Freigeister, die selbstbewusst durch die Straßen laufen und offen sagen, was sie denken. Und dann sind da alle anderen", schreibt die US-Autorin Emily Parker in ihrem soeben erschienenen Buch "Now I know who my comrades are".

Schmutzkampagne gegen die Kritiker

Jahrelang hat sie dafür Blogger in China, Russland und auf Kuba interviewt und recherchiert, wie die Behörden den "Stimmen aus dem Internet-Untergrund" (so der Untertitel) das Leben schwer machen. Während sie die Lage in China und Russland mit "Isolation" und "Apathie" beschreibt, stellt Parker das Kuba-Kapitel unter den Titel "Angst".

Denn das Castro-Regime, von "Reporter ohne Grenzen" oft zum "Feind des Internets" gekürt, setzt auf Einschüchterung. Vor dem Gipfel der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC), der Ende Januar in Havanna stattfand, wurde Oppositionellen und Bloggern deutlich gemacht, was das Regime erwarte: Sie sollten ruhig bleiben, wenn sie keine Arreststrafe riskieren wollten.

Wer noch nicht so bekannt ist wie Yoani Sanchez, deren Texte etwa in der Huffington Post erscheinen, sieht sich Dauerdruck ausgesetzt. Geheimdienstagenten machen unabhängige Journalisten bei Freunden, Familienangehörigen und sogar Ehepartnern schlecht und staatsnahe Blogger diffamieren sie als "CIA-Söldner". Die Juristin Laritza Diversent, die auf "Laritza's Laws" Rechtsverstöße dokumentiert, berichtet, dass die Agenten ihrem Mann hätte einreden wollen, sie betrüge ihn.

Castro-Regime fürchtet echte Lockerung

Diese ständige Unsicherheit, der die Online-Kritiker anfangs ausgesetzt sind, beschreiben viele mit diesem Satz: "Nunca sabe quien es quien." Man wisse nie, wer wer sei und wem man vertrauen könne. Dieses Gefühl kennen viele Kubaner, denn noch immer beobachtet in jedem Häuserblock ein Vertreter des CDR (Comité de la Defensa de la Revolucion - Komittee zur Verteidigung der Revolution), ob Verdächtiges geschieht und gibt diese Informationen weiter.

Auch wenn sie nicht viele sind, schreiben viele Blogger weiter - sie können nicht anders. Die Exilgemeinde in Miami, Spanien oder anderswo ist ihr Hauptpublikum, von dort finden die Texte oft per E-Mail den Weg zurück nach Kuba, wo sie mit Verspätung gelesen werden. Ihre Bekanntheit im Rest der Welt bietet den Aktivisten den wirksamsten Schutz. Es existiere eine große Solidarität, so Emily Parker in ihrem Buch: "Es gibt einen besonderen Zusammenhalt, den Dissidenten früherer Generationen nicht hatten. Diese waren ideologisch verfeindet." Heute hätten Kubas Blogger keine besondere Ideologie oder Hierarchie.

Sie alle eint der beschwerliche Weg, die eigene Meinung ins Netz zu bringen. Die Texte werden zuhause geschrieben, um keine wertvolle Online-Zeit zu verplempern. Ausgerüstet mit USB-Sticks, beginnt die Suche nach einer Internet-Verbindung. "Es gibt Staaten wie die USA, Schweden oder Tschechien, die uns in ihren Vertretungen und Botschaften Computerräume nutzen lassen", berichtet David Canella Pina. Zu den zehn beliebtesten Android-Apps 2013 gehört laut Yoani Sanchez das Tool "Wifi Hacker": Damit kann man sich geheim in ein WLAN einwählen, sofern man eines findet.

Dass das Castro-Regime die Blogger so einschüchtert, erklärt sich mit der eigenen Angst. Die Elite weiß, wie gefährlich es für ihren Machterhalt wäre, wenn die Bürger unabhängige Medien nutzen oder via Skype oder Facebook mit ihren Verwandten im Ausland kommunizieren können. Also wird den Bürgern den Zugang zum World Wide Web erschwert.

Diese Skepsis zeigt sich überall: Seit einigen Jahren wagt Raul Castro Reformen und erlaubt es den Kubanern häufiger, als Selbstständige zu arbeiten oder auch Wohnungen und Autos zu kaufen. Die Produktivität muss steigen, um den Sozialismus zu retten und Devisen ins Land zu bringen, aber echte Flexibilisierung lässt der 82-Jährige noch nicht zu. Die Regierung in Havanna stehe vor der gleichen Herausforderung wie die einstigen Ostblockstaaten, sagt der Schriftsteller José Manuel Prieto jüngst in einem Interview mit der taz: "Wie führt man Reformen durch, ohne die totalitäre Staatsmacht aufzugeben? Das ist die Quadratur des Kreises, aber das ist ihr Ziel."

Prieto, der in New York lebt, ist sich sicher, dass die Spielräume langsam größer werden und gerade die jüngeren Funktionäre die Kritik im Netz genau verfolgen. Auch sie loten mögliche Spielräume zur Liberalisierung aus - jedoch nur in Mini-Schritten.

Es ist also falsch zu sagen, dass sich nichts bewegt in Kubas Gesellschaft. Aber für junge Menschen wie David Canella Pina ändert es sich zu langsam. Er möchte die Welt außerhalb Kubas sehen - um der Erfahrungen und des Vergleiches wegen, wie er sagt. Bis dahin wird er weiter seine Texte schreiben und versuchen, die Grenzen immer weiter zu verschieben. Stückchen für Stückchen, Zeile für Zeile.

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