Referendum:Zwischen Oichi und Nai

Referendum: Die Wahlzettel für das griechische Referendum sind bereits gedruckt. Die Frage, die der Bevölkerung am Sonntag vorgelegt werden soll, ist kompliziert. Sie lautet: "Muss der gemeinsame Plan von EZB, EU-Kommission und IWF, der am 25.6.2015 in der Euro-Gruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden? Die zwei Teile sind: 'Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond' und 'Preliminary Debt Sustainability Analysis'". Der Wahlzettel zitiert die englischen Formulierungen aus den Dokumenten der EU und übersetzt sie ins Griechische. Rechts oben, neben dem Text, steht zuerst das Nein ("Oichi"), darunter das Ja ("Nai").

Die Wahlzettel für das griechische Referendum sind bereits gedruckt. Die Frage, die der Bevölkerung am Sonntag vorgelegt werden soll, ist kompliziert. Sie lautet: "Muss der gemeinsame Plan von EZB, EU-Kommission und IWF, der am 25.6.2015 in der Euro-Gruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden? Die zwei Teile sind: 'Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond' und 'Preliminary Debt Sustainability Analysis'". Der Wahlzettel zitiert die englischen Formulierungen aus den Dokumenten der EU und übersetzt sie ins Griechische. Rechts oben, neben dem Text, steht zuerst das Nein ("Oichi"), darunter das Ja ("Nai").

Die Stimmzettel sind schon gedruckt: Noch dürfte die griechische Regierung bei der für Sonntag geplanten Volksabstimmung eine Mehrheit haben. Doch das könnte sich im Laufe der Woche ändern. Erste Anzeichen dafür gibt es.

Von Christiane Schlötzer, Mike Szymanski

Der Himmel ist wolkenverhangen, ziemlich dunkel für einen Juni-Tag, so als habe sogar der griechische Sommer staubgraue Trauerkleidung angelegt. Die Werbung für einen Mobilfunkladen im Athener Zentrum leuchtet dagegen in Ägäis-Blau: "Wir sind auf dem Weg in eine neue Epoche", steht da. Das Geschäft ist geschlossen, das Fenster verklebt. Ganz Griechenland ist auf dem Weg in eine neue Zeit. In der Nacht zum Montag waren vor Banken Polizisten aufgezogen, in schusssicheren Westen, aber lässig an ihre Motorräder gelehnt. Die Staatsmacht gab sich entspannt. Am Morgen sind die Uniformierten weg.

Die ersten Automaten funktionieren gegen Mittag wieder, die Kreditinstitute waren schneller mit der Umsetzung der über Nacht verhängten Kapitalverkehrskontrollen, als die Regierung von Alexis Tsipras es erwartet hatte. Die Geldmaschinen sollten eigentlich erst am Dienstag wieder in Betrieb gehen. Das Limit beträgt 60 Euro am Tag. Nicht alle wollen das glauben. Eine ältere Griechin tippt die Zahl 600 in die Tastatur, am feinen Kolonaki-Platz. Der Automat blockiert. Überall, wo es Geld gibt, bilden sich rasch wieder Schlangen, aber nicht mehr so lange wie in der Nacht, als Hunderte stundenlang anstanden.

Die Kapitalverkehrskontrollen wurden um drei Uhr nachts auf der Webseite der Staatszeitung verkündet. Wie lange sie dauern werden, ist offen, es könnten Monate sein. In Zypern wurden sie erst jüngst aufgehoben - nach zwei Jahren. Die Banken sollen bis zum 6. Juli geschlossen bleiben, womöglich würden sie aber schon früher wieder öffnen, hieß es am Montag aus der Regierung. Die möchte die Griechen offenbar beruhigen vor dem von Tsipras verkündeten Referendum über den Reformplan der Kreditgeber am kommenden Sonntag.

"Ich befürchte, wir erleben ein vollständiges Marktversagen", sagt Athanasios Syrianos, Inhaber der Brauerei Hellenic. "Es wird bald keine Windeln und kein Hundefutter mehr geben." Weil das Land so viel importiert, fast 50 Prozent seiner Lebensmittel, bei Medikamenten ist die Quote noch höher. Der Unternehmer und Vizechef der Deutsch-Griechischen Handelskammer fährt am Montag spät ins Büro, er konnte sich nicht von den TV-Talkshows am Morgen lösen. "Da hören Sie kein Wort der Selbstkritik von den Syriza-Leuten." Syrianos will aber nicht die ganze Schuld an dem Griechenland-Gau der Regierung geben. "Die mögen infantil und rebellisch sein", sagt er, "aber Griechenland ist vielleicht nur das erste Opfer von Leuten, die eine kleinere Euro-Zone wollen."

Jens Bastian, in Athen lebender Ökonom, der früher für die EU-Taskforce tätig war, die den griechischen Beamtenapparat modernisieren half, glaubt: "Je mehr Tsipras der EU den Schwarzen Peter zuschiebt, desto größer sind seine Chancen im Referendum am Sonntag. Je mehr die Griechen aber spüren, dass dies alles in ihren Alltag eingreift, desto eher wird er verlieren." Es gibt Hinweise dafür, dass sich die Schere bereits schließt. In der Nacht zum Samstag, als Tsipras überraschend die Volksabstimmung verkündete, lagen die Sympathien eindeutig auf Seiten der Regierung. Der Vorsprung ist nach Umfragen aber bereits geschrumpft.

Die Gewerkschaft der Seeleute sagt wegen der geplanten Abstimmung einen Streik ab

Auch hinter der Abstimmung selbst steht noch ein Fragezeichen. Ex-Finanzminister Evangelos Venizelos, ein Verfassungsjurist, hat angekündigt, das höchste Gericht, den Aeropag, anzurufen, weil er eine Abstimmung über Finanzfragen für verfassungswidrig hält. "Ich hoffe, dass Venizelos das macht", sagt Philipp Brinkmann, der in Athen ein Internet-Reiseunternehmen aufgebaut hat, das zuletzt stark expandierte. Brinkmann, ein Grieche, hofft, dass das Referendum abgesagt wird. "Wenn es doch kommt, sollte es Transparenz geben, es muss klar sein, dass wir über den Euro abstimmen." Transaktionen ins Ausland werden nun mit Kapitalverkehrskontrollen verhindert, aber die Banken haben die Unternehmer schon beruhigt. "Gegen Vorlage einer Rechnung können wir auch unsere Partner im Ausland bezahlen", sagt Brinkmann.

Die Gewerkschaft der Seeleute hat einen Streik "wegen der jüngsten Ereignisse" abgesagt, damit alle Griechen an dem Referendum teilnehmen können. Viele sind an ihren weit entfernten Geburtsorten in die Wählerlisten eingetragen. Mit denen könnte es auch Probleme geben, sie waren schon bei der Parlamentswahl am 25. Januar nicht auf dem neusten Stand.

Marina Flisvos ist ein Yachthafen vor Athen: Schiff an Schiff, viel weißer Lack, viel Chrom, eher wenig Sorgen. "Bitte nicht fotografieren!", steht auf einem Schild, ein Sicherheitsdienst überwacht den Zugang. John Anagnostopoulos besitzt keine Yacht und gehört auch nicht zu den Superreichen, er entspannt sich nur gern hier. Er ist Unternehmensberater, wenn Firmen in Not geraten, laufen seine Geschäfte in der Regel gut. "Unternehmer geben nicht so leicht auf", sagt er. "Sie kämpfen." Aber eine Situation wie diese habe er noch nicht erlebt. Anagnostopoulos kann die Kreditgeber verstehen. "Sie wollen ihr Geld." Doch Forderungen, die Renten abermals zu kürzen, findet er "nur noch grausam". Zehn Jahre werde Griechenland brauchen, um das Vorkrisenniveau zu erreichen, glaubt der Berater. Seinem Sohn, der auf Jobsuche ist, hat er schon empfohlen, sein Glück im Ausland zu suchen. "Aber komm wieder", hat er ihm gesagt. "Die Alten werden das Land nicht aufbauen können." Auf den Straßen kann man Sätze hören wie: Bei uns werden bald nur noch die Rentner Geld haben.

Zeitungskommentatoren warnen vor einer "tiefen Spaltung der Gesellschaft" durch den Mini-Wahlkampf bis Sonntag. Die Regierung will angeblich all ihre Minister zur Werbung für ein "stolzes Nein" (Tsipras) auf die Straße schicken. Auf den Wahlzettel hat sie das "Nein" (Ochi) oben drucken lassen und das "Ja" (Nai) unten. Die parteiunabhängigen Bürgermeister von Athen und Thessaloniki, Giorgos Kaminis und Giannis Boutaris, haben dagegen zu einer nationalen Initiative für ein "Ja" aufgerufen. Aus den Oppositionsparteien haben sich schon Unterstützer gemeldet.

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