Referendum zum Sparpaket in Griechenland:Erpressung, Drama, Katharsis

Die Atempause nach dem EU-Gipfel ist schlagartig vorbei: Mit ihrem Referendums-Plan will die griechische Regierung ihre Gegner zur Verantwortung zwingen. Die Opposition spricht von "Einschüchterung" und bangt schon um die Zukunft des überschuldeten Landes. Doch noch weiß keiner, worüber genau abgestimmt wird. Klar ist nur: Die Drachme will niemand zurück.

Kai Strittmatter

Am vergangenen Donnerstag, in Brüssel war soeben das neue Rettungspaket für Griechenland geschnürt worden, hieß es im Leitartikel der konservativ-liberalen Athener Zeitung Kathimerini, das Abkommen habe immerhin ein Gutes: Die Unsicherheit weiche. "Wenigstens vorübergehend lüften sich die Nebel, und wir wissen, wo wir stehen." Der Leitartikel endete dann mit der Prophezeiung, dem Land werde nun eine "kurze Atempause" zuteil. Aber so kurz? Nicht einmal eine Woche?

Akropolis in Athen, 2004

Dämmerung über der Akropolis: Griechenlands Regierung streitet mit der Opposition wegen des Spar-Referendums.

(Foto: dpa/dpaweb)

Damit hätte keiner gerechnet: Die Vertrauensfrage im Parlament schon an diesem Freitag, ein Referendum über den Rettungsplan wahrscheinlich im Januar - und an jeder Biegung dieses langen Weges die Möglichkeit des Scheiterns eines Pakets, das Europa, das die Welt für eine ausgemachte Sache hielten. Auch die Pasok-Abgeordneten, denen Premier Giorgos Papandreou sein Vorhaben eröffnete, traf der Schritt unvorbereitet.

Finanzminister Evangelos Venizelos, der war eingeweiht. Seine Worte verrieten viel über die Motive hinter dem Schritt. "Ich kann die Umfragen nicht mehr sehen", sagte Venizelos am Dienstag, "in denen sich die Mehrheit gegen das Rettungsprogramm ausspricht, in denen aber gleichzeitig eine Mehrheit den Verbleib in der Euro-Zone möchte." Dann ging er ins Krankenhaus und ließ sich gegen Magenschmerzen behandeln. Griechenlands Führer sind erschöpft - und sie sind es leid, zu Hause verteufelt zu werden für die Entscheidungen, die Europa ihnen aufdrängt.

Die Regierung will nicht länger die Verantwortung alleine tragen. Erst verweigerte sich die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia allen Versuchen, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden. ND-Führer Antonis Samaras forderte erneut Neuwahlen und sagte, er werde sich nie "zum Komplizen" des Premiers machen. Dann drohten immer mehr Funktionäre der eigenen Regierungspartei Pasok mit Rebellion. Sechs Mitglieder des nationalen Parteirats forderten Papandreou zum Rücktritt auf, die Pasok-Abgeordnete Milena Apostolaki trat am selben Tag aus der Partei aus.

Die Mehrheit der Pasok im Parlament ist damit kurz vor der Vertrauensabstimmung im Parlament auf nur mehr zwei Sitze geschrumpft. Der Premierminister gerät mehr und mehr in Bedrängnis, er fühlt sich von allen allein gelassen, jetzt will er die Bevölkerung in die Pflicht nehmen. "Lasst die Bürger über das Schicksal des Landes entscheiden", sagte Papandreou. Er habe Vertrauen in das Volk.

Es ist wohl Papandreous letztes Ass im Ärmel, laut Kathimerini ein "gefährlicher Schachzug", der sich als "tragischer Bumerang" erweisen könnte: dann nämlich, wenn nun Monate scharfen Wahlkampfs und gewalttätiger Demonstrationen drohen, wenn Märkte, Gesellschaft und Politik nun von noch mehr Turbulenzen und Instabilität heimgesucht werden, an deren Ende im schlimmsten Fall ein "Nein" der Griechen steht.

Zukunft "in die Luft geschnippst wie eine Münze"

Bei einer Umfrage der Zeitung To Vima sprachen sich 60 Prozent der Befragten gegen den in Brüssel verhandelten Schuldenerlass und das neue Sparpaket aus. Grund sind die neuen Kürzungen, Grund ist aber auch die verabredete stärkere europäische Aufsicht über die Athener Reformschritte: Papandreou musste sich auch schon Landesverräter schimpfen lassen.

Aber die Umfragezahlen müssen noch nichts heißen. Wenn die Regierung die Vertrauensabstimmung Freitagnacht überlebt, dann wird sie die nächsten Wochen dazu nutzen, den Griechen einzuhämmern, was ein Nein bedeuten würde: wahrscheinlich den ungeordneten Staatsbankrott mit katastrophalen sozialen Folgen - und womöglich dem Austritt aus der Euro-Zone.

Der Text der Referendumsfrage steht noch nicht fest, aber es scheint die Strategie der Regierung zu sein, daraus eine Abstimmung über den Verbleib in der EuroZone zu machen. Den nämlich wollen noch immer drei von vier Griechen: Keiner wünscht sich die Drachme zurück. Griechenland erlebe ein Drama, und die Volksbefragung sei eine Katharsis, sagte Finanzminister Venizelos: "Klar können die Griechen nein sagen - aber dann müssen ihnen auch die Konsequenzen klar sein."

Die rechte wie die linke Opposition sprechen nun von "Einschüchterung" und "Erpressung" des Volkes. ND-Sprecher Yiannis Michelakis nannte Papandreou "gefährlich": Er habe die Zukunft Griechenlands in Europa "in die Luft geschnippst wie eine Münze". Die Regierung spekuliert wohl auch darauf, dass sie nun EU und IWF gegenüber mehr Verhandlungsmacht hat: Die Details des Rettungsplanes sind nämlich noch nicht ausgehandelt. Jetzt, wo das Schreckgespenst einer Ablehnung durch das griechische Volk im Raum steht, könnten die Geldgeber Athen bei der einen oder anderen umstrittenen Frage noch entgegenkommen.

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