Referendum in beiden Teilen Zyperns:Eine Mauer aus Stimmen

Seit Jahrzehnten beklagen die Insel-Griechen die Teilung, nun aber könnte eine Mehrheit von ihnen gegen die Wiedervereinigung votieren.

Von Christiane Schlötzer

Nikosia - "Bevor es am Samstagabend dunkel wird", sagt Rasih Resat, "werden wir wissen, ob es ein neues Zypern gibt." Bis 18 Uhr können 142.971 türkische Inselbürger und 479.551 griechische Zyprer erstmals über eine Wiedervereinigung abstimmen.

Wenn die Urnen ausgezählt sind, wird Rasih Resat in seinem winzigen Büro von Radio Mayis sitzen und ziemlich aufgeregt sein. Resat ist der junge Nachrichtenchef des erst vor zwei Monaten entstandenen Mai-Radios, das mit türkisch-griechischen Programmen die Vereinigung schon vorweg genommen hat. Wenn das Doppel-Referendum zu beiden Seiten des Stacheldrahts ein "Ja" brächte, dann, sagt Resat mit leuchtenden Augen, "gibt es das größte Fest, das Zypern je gesehen hat".

Resat müsste sich dann wahrscheinlich auf seinem Redakteursstuhl festbinden, um nicht auf die Straße zu laufen und mitzutanzen. Doch dies wird kaum nötig sein. Umfragen sagen, dass der griechische Süden den Wiedervereinigungsplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan ablehnen und nur der türkische Norden zustimmen wird.

"Ein wenig gefeiert wird auch das türkische Ja", sagt Resat, "aber ohne Freudentänze." Erst vor kurzem ist Resat aus London, wo Zehntausende Zypern-Türken Zuflucht fanden, zurückgekehrt. Er wollte bei den Umwälzungen in seiner Heimat dabei sein. Andere, die länger schon für eine grenzenlose Insel kämpfen, sind nun bitter, wegen des unerwartet heftigen Widerstands gegen die Wiedervereinigung bei den Zypern-Griechen. "Wir sind doch immer die Verlierer", sagt Hasan Kahvecioglu, der Gründer von Radio Mayis.

Nicht Ja, nicht Nein

Alle denken bereits an den Tag nach dem Referendum, an das Aufwachen am Sonntagmorgen, auch wenn sie es nicht sagen. "Wir haben noch 24 Stunden, so lange werde ich kämpfen", versichert Mustafa Akinci, einer der Führer der Bewegung für ein neues Zypern im türkischen Inselteil. Akinci sagt das bei einem Auftritt im Ledra Palast, das einst das Luxushotel Nikosias war und heute UN-Quartier in der Pufferzone.

Das Ledra ist am Donnerstagabend überfüllt. Von beiden Seiten sind die Menschen gekommen, um jene Politiker zu hören, die ein neues Zypern repräsentieren könnten. Akinci gehört dazu, und Nicos Anastassiadis, der Chef der griechisch-zyprischen Oppositionspartei Disy. "Jedes Nein ist ein Stein in der Mauer, die uns trennt", sagt Anastassiadis.

Auch der Innenminister der griechisch-zyprischen Republik, Andreas Christou, tritt auf. Christou gehört zur Akel, der größten Regierungspartei. Sie hat dem nationalkonservativen Tassos Papadopoulos vor einem Jahr zum Präsidentenamt verholfen. Papadopoulos lehnt den Vereinigungsplan vehement ab, und Christou windet sich, weil er weder Ja noch Nein sagen will.

Das Drama der Linkspartei Akel, die Jahrzehnte für die Vereinigung stritt, und deren Führung nun, den Machtverlust vor Augen, von Papadopoulos sich nicht distanzieren mag, entfaltet sich auf den Gängen des Ledra. Akel-Mitglieder begrüßen ihren türkischen Mitstreiter unter Tränen, oder sie versprechen, für ein zweites, späteres Referendum zu kämpfen.

Die Enttäuschung der Zypern-Türken über Akel entlädt sich still. Man klopft sich auf die Schulter, Müdigkeit und Trauer in den Augen. "Es wird in allen Parteien eine Krise geben, auch Spaltungen", sagt Niyazi Kizilyürek, ein türkisch-zyprischer Experte, der selbst zwischen den Welten lebt, weil er an der Universität im Süden lehrt.

Die Zypern-Griechen würden spüren, meint Kizilyürek, "wie es ist, der EU beizutreten, aber nicht in die EU integriert zu sein".

Zweifel an der EU-Reife Zyperns sind in der EU-Kommission laut geworden, nach massiven Behinderungen einer freien Berichterstattung in den Medien des Neu-Mitglieds. EU-Kommissar Günter Verheugen wurde ein Auftritt im halbstaatlichen TV-Sender RIK ebenso verwehrt wie Annans Beauftragtem Alvaro de Soto.

Zeitungen lehnten Anzeigen der Pro-EU-Kampagne aus dem Norden ab. "Wir werden am 1. Mai den ersten Polizeistaat als EU-Vollmitglied haben", kommentierte das Blatt Cyprus Mail.

Papadopoulos zieht die Fäden der Nein-Kampagne persönlich und malt den Annan-Plan nur in schwärzesten Farben. Dies begann schon während der letzten UN-Gespräche in der Schweiz. Deshalb glauben UN-Diplomaten jetzt, dass die griechisch-zyprische Regierung die ganze Zeit ein Ziel verfolgte: den 1. Mai, den Tag der EU-Aufnahme Zyperns zu erreichen, ohne die staatliche Souveränität mit der türkischen Seite teilen zu müssen.

Die Propaganda wirkte sogar auf die griechische Regierung in Athen. "Erst im Flugzeug auf dem Rückweg aus der Schweiz lasen Athener Experten die letzte Version des Annan-Plans und sahen, dass sie besser war als alle zuvor", schrieb die griechische Zeitung Ta Nea.

Schwarz, die Farbe des Todes, wählten die Nein-Sager auch für ihre großflächigen Plakate, die in Nikosia Bushaltestellen und Häuserwände bedecken. Es sind so viele, dass die Cyprus Mail fragte, wer sie finanziere. "Viel Geld", fand das Blatt, "kommt von Griechen in den USA, denen man gesagt hat, eine Zypern-Lösung sei gleichbedeutend mit Armageddon", dem biblischen Endkampf zwischen Gut und Böse.

Dass es Ängste gibt, auf beiden Seiten, leugnet niemand. Die Geschichte der Insel ist blutig, aber es mutet seltsam an, wenn ausgerechnet die Jüngsten Insel-Griechen die größte Furcht haben.

So sagen 86 Prozent der 18- bis 30-Jährigen nach einer neuen Studie ein gemeinsames Leben mit den türkischen Nachbarn fiele ihnen "sehr schwer". Dagegen meinen 62 Prozent der über 60-Jährigen, das Miteinander werde leicht, obwohl sie persönlich erlebt haben, wie die Volksgruppen sich gegeneinander aufhetzen ließen. Aber die Älteren haben eben auch einst friedlich nebeneinander gelebt.

Der tiefe Graben

Wie bei den Griechen stand auch bei den Zypern-Türken der Nationalismus lange hoch im Kurs. Nun aber ist eine Bürgerbewegung herangewachsen, die unter dem blau-gelben Sternenbanner der EU für die Wiedervereinigung eintritt.

50.000 Menschen versammeln sich am Donnerstagabend in Nikosia-Nord zur letzten großen Kundgebung für ein "starkes Ja". Zehnmal größer ist diese Versammlung als das gleichzeitige Treffen der Einigungsgegner. Die scharen sich um den unversöhnlichen 80-jährigen Rauf Denktasch. Die Nein-Sager schwenken rote türkische Fahnen.

Doch auch das größte türkische Fahnentuch kann den tiefen Graben nicht mehr überdecken, der sich zwischen Denktasch und dem türkischen Premier Tayyip Erdogan aufgetan hat.

Erstmals in 30 Jahren unterstützt eine Regierung in Ankara eine Wiedervereinigung Zyperns. Damit ist auch in den türkischen Medien das alte Zypern-Tabu gefallen. TV-Sender bestürmen das Publikum geradezu mit Aufklärung. Dabei erfahren viele erstmals, dass sich jene Türken, die vom Festland nach Zypern umgesiedelt wurden, nun von Denktasch betrogen sehen.

Dessen Regierung gab ihnen Zertifikate für Grund und Boden, die nie etwas wert waren, weil die Felder vertriebenen Griechen gehören. Selbst der türkische Kampfpilot Mehmet Karagöz, der 1964 die ersten Bomben auf ein griechisches Dorf warf, bekannte sich im Massenblatt Hürriyet zur Vereinigung. "Ich möchte nicht", sagte der 73-Jährige, "dass noch unsere Enkel mit dem Zypern-Problem leben."

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