Rede vor dem britischen Parlament:Merkels Vorlesung in Europa-Realismus

Sie schlägt keine Türen zu, bleibt jedoch vage: In ihrer Rede vor dem britischen Parlament skizziert Bundeskanzlerin Merkel ein Europa, das sich ändern muss - aber nicht so stark, wie der britische Premier Cameron das gerne möchte.

Von Johannes Kuhn

Die Briten sind beeindruckt von Angela Merkel - zumindest von ihrem Englisch: Zu Beginn und am Ende ihrer Rede in der Londoner Royal Gallery sprach die Kanzlerin in der Sprache des Gastgeberlandes.

Beeindruckt und überraschend humorvoll erzählte sie von ihrem ersten Besuch in London kurz nach der Wende. Die Speakers' Corner, die Redebühne im Hyde Park also, sei für sie stets ein Symbol der freien Meinungsäußerung gewesen. "Ich hoffe, damit kränke ich die Parlamentarier nicht", scherzte sie vor den versammelten Mitgliedern von Unter- und Oberhaus.

Dann aber kam Merkel zur Sache: "Manche glauben, dass ich den Weg für eine fundamentale Reform der EU freimache, die alle Wünsche Großbritanniens erfüllt. Ich fürchte, ich muss sie enttäuschen." Die Kanzlerin war also nicht gekommen, um den britischen Premier David Cameron bei seiner Forderung nach radikalen Änderungen der EU-Struktur zu unterstützen.

Vielmehr zeigte sich die Kanzlerin als Europa-Realistin, die ihre Kern-Botschaften dann aber doch lieber in deutscher Sprache vortrug. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

  • Der Churchill-Trick - EU ändern, nicht zerbrechen: "Perfekt zu sein bedeutet, sich häufig zu verändern", zitierte die Kanzlerin den ehemaligen britischen Premier Winston Churchill. Damit steckte Merkel den Rahmen der künftigen EU ab. Auf der einen Seite: weniger Bürokratie, mehr Wettbewerb, nur so viel Brüssel wie nötig. Andererseits: keine Änderung an Grundsätzen wie der Freizügigkeit in der EU oder an dem Narrativ, dass Europa für den Frieden auf dem Kontinent essentiell war und ist. Allerdings, so machte die Kanzlerin klar, ist für sie das Friedensprojekt weniger entscheidend als die Bündelung der europäischen Interessen in einer globalisierten Welt.
  • Weizsäckers Weisheit - Großbritannien ist wichtig für Europa: Gleich drei Mal zitierte die Kanzlerin Richard von Weizsäcker, der 1986 als bislang letzter Politiker vor dem britischen Parlament geredet hatte. "Großbritannien braucht seine europäische Berufung nicht zu beweisen", wiederholte Merkel. "Was wäre aus Europa geworden, hätte Großbritannien nicht für die Freiheit gekämpft, teilweise alleine?", spielte sie auf die beiden Weltkriege an. Die Botschaft: Das Vereinigte Königreich ist und bleibt Teil Europas. Wer darauf hoffen würde, die EU werde sich abwenden und nicht bereit sein, "fast jeden Preis für den Verbleib Großbritanniens zu zahlen", täusche sich.* Premierminister Cameron hatte mit Reformforderungen und der Ankündigung eines Referendums zum EU-Verbleib auf die verbreitete Euro-Skepsis auf der Insel reagiert.
  • Leichte Kritik am Finanzplatz London: "Finanzwirtschaft hat eine Aufgabe für das Gemeinwohl", so Angela Merkel fest. Gerade für den Finanzplatz London sei das essentiell. Damit übte die Kanzlerin leise Kritik an den Briten, die sich stets gegen die Regulierung der Banken stellen. In der Zukunft der EU solle auch der Datenschutz Berücksichtigung finden - eine Anspielung auf den britischen Widerstand gegen strenge EU-Richtlinien und, wenn man dies so interpretieren mag, die digitalen Überwachungsaktivitäten des britischen Geheimdienstes GCHQ.
  • Fazit - die Kanzlerin schlägt keine Türen zu: Angela Merkel gab sich so präsidial und vage, wie Deutschland sie aus ihren Regierungserklärungen zu Europa kennt. Einmal mehr skizzierte die Kanzlerin eine EU, die neben politischer Stabilität vor allem für Vorteile im internationalen Wettbewerb steht. Ein Argument, das auch Pro-Europäer der wachsenden Europa-Skepsis im Lande entgegensetzen. Gleichzeitig blieb sie bei Reformversprechen sehr vage und versuchte eher, David Cameron keine Türen vor der Nase zuzuschlagen. Der britische Premier kann weiterhin sagen, dass auch Merkel sich für Reformen in der EU einsetzt. Dass diese in der Praxis wahrscheinlich weit weniger ambitioniert und nationalistisch gefärbt sein werden als die des Torie-Politikers, steht auf einem anderen Blatt.

Im Laufe des Nachmittags trifft Angela Merkel noch die Queen und Oppositionsführer Ed Miliband.

*Update, 28. Februar: Diese Passage wurde nach nochmaliger Prüfung des Redetextes geändert.

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