Rede in Berlin:Obamas heile Welt

Weniger Atomwaffen. Das ist schon das Konkreteste, was der US-Präsident in seiner Rede in Berlin zu bieten hat. Weil Obama aber seinen Charme spielen lässt, wird er vom Publikum bejubelt. Das zeigt zweierlei: Die deutsch-amerikanische Freundschaft kann mit wenig Einsatz und viel Routine beschworen werden. Und allzu viel Optimismus hat Obama nicht für Europa übrig.

Eine Analyse von Matthias Kolb, Berlin

Die Messlatte für Barack Obama ist nicht besonders hoch, als er ans Pult vor dem Brandenburger Tor trat. Zuvor hatten Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Kanzlerin Angela Merkel zu den 4500 Zuschauern geredet und erneut bewiesen, dass sie ihre Ämter ohne funkelnde Rhetorik errungen haben. Wowereit hatte wenig inspirierend über die deutsch-amerikanische Freundschaft gesprochen und von Merkels Worten wird nur in Erinnerung bleiben, dass sie den mächtigsten Mann der Welt duzte und ihn mit einem "Not yet" zurück in seinen Stuhl beorderte.

Als Obama endlich reden darf, fällt es ihm nicht schwer zu glänzen. Der US-Präsident gibt den Show-Man, legt in der Hitze sein Jackett ab und wünscht sich, mit 92 so gut auszusehen wie Colonel Halvorsen. Der flog 1948 einen "Rosinenbomber" und sitzt als Ehrengast im Publikum. Wer sich selbstironisch gibt, Anekdoten erzählt und die Berliner für ihren Kampf für die Freiheit lobt, der kriegt viel Applaus.

Die Geschichte ist immer präsent

Die Luftbrücke bleibt nicht der einzige Verweis auf die deutsche Geschichte in der 28-minütigen Rede. Obama spricht über den Aufstand des 17. Juni 1953, den Philosophen Immanuel Kant und das "Land der Dichter und Denker". Die Herausforderung, Kennedys "Ich bin ein Berliner" zu überbieten, nimmt Obama gar nicht erst an - sondern zitiert den Spruch. Der 44. US-Präsident erinnert vielmehr daran, dass der 35. Präsident stets darauf aus war, die Menschen voranzutreiben. Das schwingt im bekannten "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst" mit und in einem weiteren Zitat aus der Rede vor dem Schöneberger Rathaus im Juni 1963: "Hebt Euren Blick auch über die Aufgaben von heute hinaus."

Hier hätte Obama eine Chance gehabt, aus dem Routine-Modus auszubrechen, der den ganzen Auftritt auf dem Pariser Platz durchzieht. Denn die mit Spannung erwartete Rede ist eben vor allem eins: routiniert. Wenn Obama mehr als zwanzig Jahre nach dem Mauerfall die "Selbstgefälligkeit" der Europäer anspricht, dann teilt er den Partnern eine in Washington weit verbreitete Meinung mit. Die Zukunft liegt in den jungen Gesellschaften in China, Indien oder Südostasien - und eben nicht bei den immer älter werdenden Europäern, die vor allem den Status Quo bewahren wollen.

Obama, der glänzende Rhetoriker, unterlässt es, die Zuschauer in Berlin zu mehr Optimismus zu ermuntern. Er hätte genauer erklären können, was viele Amerikaner an Europa verwundert und dass sich Veränderungen auch als Herausforderung und nicht nur als Bedrohung ansehen lassen. Stattdessen bleibt Obama lieber vage und liefert so wenig Angriffsfläche. Das Publikum stört Obamas Reise ins Abstrakte nicht, es ist bereit, dem Präsidenten zuzujubeln.

Zu Prism nur Bekanntes

Er will dafür kämpfen, das Gefangenenlager auf Guantànamo zu schließen und sich dafür einsetzen, den Klimawandel ("die Bedrohung unserer Zeit") zu bekämpfen. Homosexuelle sollten nicht länger diskriminiert werden und Mädchen die gleichen Chancen haben wie Jungen. Die Welt und der Westen dürften nicht ruhen, solange die Freiheit der Welt durch die Existenz von Atomwaffen bedroht werde. Deswegen will er versuchen, Wladimir Putin davon zu überzeugen, dass Russland und die USA ihr Arsenal an Nuklearsprengköpfen um ein Drittel reduzieren. Das ist dann schon auch das Konkreteste, was Obama zu verkünden hat.

Auch beim Spähprogramm Prism oder dem Drohnen-Einsatz, also jenen Themen, die in Europa zuletzt für Verstimmung sorgten, wiederholt Obama Bekanntes. Es gebe strenge Regeln, die eingehalten würden. Wie schon in einer Pressekonferenz im Kanzleramt betont Obama, dass er für eine Balance zwischen dem Bedürfnis nach Privatsphäre und der Garantie von Bürgerrechten einerseits und dem Schutz der Bürger und der Terrorbekämpfung andererseits sorgen werde. Seine Botschaft: "Vertraut mir, ich sorge dafür, dass nichts aus dem Ruder läuft."

Dass sich ein Gefühl der Enttäuschung bereits in jenem Moment einstellt, als Barack Obama in die Menge winkt und mit dem über die Schulter geworfenen Jackett an der Seite von Merkel und Wowereit die Bühne verlässt, liegt an einer anderen Messlatte. Die hatte Obama in früheren Jahren, etwa bei seinem Auftritt vor der Siegessäule 2008, in ungeahnte Höhen gelegt. Seitdem hat er viele Versprechen unerfüllt gelassen und viele Menschen weltweit enttäuscht. Das ist unzählige Male beschrieben worden.

Doch dass es dem einstigen Hoffnungsträger nun genügt, der geschätzten "Angela" schöne Bilder für deren Wahlkampf zu liefern und auch dem heimischen Publikum zu beweisen, dass die Berliner Amerika noch schätzen, stimmt etwas traurig. Der in diesen 25 Stunden seines Besuchs so oft beschworenen deutsch-amerikanischen Freundschaft hätte es gut getan, wenn Obama etwas weniger routiniert aufgetreten wäre und mehr Denkanstöße geboten hatte.

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