Redaktionsleiter von Radio Vatikan:"Der Papst ist unschuldig"

Die Aufregung um die Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners war eine PR-Panne, glaubt Eberhard von Gemmingen. Papst Benedikt XVI. werde oft missverstanden.

Barbara Vorsamer

Für Papst Benedikt XVI. hagelt es derzeit scharfe Kritik, weil er vier Bischöfe der erzkonservativen und politisch umstrittenen Bruderschaft von Marcel Lefebvre wieder in die Kirche aufgenommen hat. Besonders angegriffen wird seine Entscheidung, auch die Exkommunikation des Holocaust-Leugners Richard Williamson aufzuheben.

Redaktionsleiter von Radio Vatikan: Eberhard von Gemmingen über Papst Benedikt XVI.: "Er wird oft missverstanden."

Eberhard von Gemmingen über Papst Benedikt XVI.: "Er wird oft missverstanden."

(Foto: Foto: AP)

Medien sehen darin eine Spaltung der Kirche und einen neuen, konservativen Kurs des Papstes, ein katholischer Theologe ist aus Protest aus der Kirche ausgetreten, ein deutscher Bischof hat protestiert und Katholiken auf der ganzen Welt sind empört. Doch kaum einer versteht, was da los ist - deswegen hat sueddeutsche.de im Vatikan nachgefragt: bei Eberhard von Gemmingen, dem Redaktionsleiter von Radio Vatikan.

sueddeutsche.de: Der Papst hat vier äußerst umstrittene Bischöfe wieder in die Kirche aufgenommen, darunter ist einer, der den Holocaust leugnet. Wie konnte das passieren?

Pater Eberhard von Gemmingen: Die internationale Medienwelt hat eine Schwachstelle des Vatikans ausgenutzt und verbreitet jetzt eine Falschmeldung, die lautet: Der Papst rehabilitiert einen Holocaust-Leugner. Das ist falsch.

Ich nenne es aber bewusst eine Schwachstelle des Vatikans, denn die Kommunikation über die Lefebvre-Leute war sehr unglücklich.

sueddeutsche.de: Warum nennen Sie es eine Falschmeldung?

von Gemmingen: Der Papst hat die Exkommunikation der vier umstrittenen Priester aufgehoben, aber das betrifft deren Suspendierung nicht. Die vier werden dadurch keine normalen katholischen Bischöfe, keine normalen katholischen Priester. Der Vatikan hätte hier viel besser und ausführlicher erklären müssen, worum es eigentlich geht.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das, wenn Sie sagen, die vier sind keine normalen Bischöfe?

von Gemmingen: Die Bischöfe sind suspendiert, ebenso wie die Priester der Piusbruderschaft. Das heißt, sie dürfen keine Sakramente spenden, nicht normale Seelsorge in der Kirche ausüben. Suspension bedeutet: Verbot der Amtsausübung.

sueddeutsche.de: Ein anderes Missverständnis ist der Zeitpunkt der Äußerungen: Bischof Richard Williamson hat seine Zweifel am Holocaust erst nach seiner Rehabilitierung durch den Papst öffentlich bekräftigt.

von Gemmingen: Ja. Man kann vermuten, dass das Zufall war. Ich kann aber nicht ausschließen, dass das gezielt lanciert wurde ...

sueddeutsche.de: Von Williamson?

von Gemmingen: Von wem oder von wo auch immer. Das führte aber auf jeden Fall dazu, dass alle bösen Äußerungen von Williamson der Weltöffentlichkeit derzeit noch einmal präsentiert werden.

sueddeutsche.de: Sogar einer Ihrer Redakteure hat dem Vatikan in der Causa Williamson Schlamperei vorgeworfen.

von Gemmingen: Bisher haben mehrere Bischöfe und Kardinäle zarte Kritik am Vatikan geübt. Dem schließen wir uns an - gerade um zu sagen: der Papst selbst ist eigentlich unschuldig.

Und dann muss man fragen: Wer ist eigentlich "der Vatikan"? Es gibt dort sowohl simple als auch Leute, die vielleicht ihre eigene Suppe kochen wollen, und es gibt vielleicht auch Ecken, in denen etwas nicht stimmt. Aber es ist völlig falsch, damit den ganzen Vatikan oder die ganze katholische Kirche abzuqualifizieren.

sueddeutsche.de: Wer ist denn schuld an dieser für den Papst sehr unglücklichen PR?

von Gemmingen: Nun, ich kann Ihnen nicht sagen, wer im Vatikan wann, warum und wo was getan hat. Ich weiß auch nicht, warum der zuständige Kardinal Darío Castrillón Hoyos so uninformiert war. Der Kolumbianer hat, nachdem die Äußerungen Williamsons publik geworden waren, in einem Interview gesagt, in seinen Gesprächen mit den Lefebvrianern war von Williamson nie die Rede.

Mit anderen Worten: Der Verantwortliche im Vatikan war nicht informiert, schlecht beraten und hat sich nicht genügend gekümmert. Das ist wirklich eine Katastrophe. Das heißt aber auch: Papst Benedikt XVI. ist unschuldig an dieser großen Dummheit.

sueddeutsche.de: Am Wochenende hat die Ernennung des konservativen Priesters Gerhard Wagner zum Weihbischof in Linz die Gemüter erregt. Steht die verstärkte Berufung von Traditionalisten für eine Richtungsänderung des Papstes?

von Gemmingen: Die Gesamtlinie von Papst Benedikt XVI. sollte aufgrund einiger erstaunlicher Schritte nicht in Frage gestellt werden. Sein Ziel ist es vor allem, dass die Kirche und damit Europa nicht die Werte und christlichen Wurzeln verlieren, die sie im Laufe der Jahrhunderte erkämpft haben - zusammen mit der Aufklärung.

Und das bedeutet für Benedikt, dass nicht über alle Werte und Verfassungsrechte demokratisch entschieden werden kann. Zum Beispiel: Wie lange soll ein Mensch gepflegt werden? Welcher Mensch hat mehr Wert, der Gesunde oder der Kranke, der Junge oder der Alte? Diese Fragen dürfen nie durch Abstimmungen entschieden werden. Es gibt Grundwerte, die nicht in Frage zu stellen sind.

Wenn über alles demokratisch entschieden werden könnte, zerstörte sich die Gesellschaft. Zur Zeit aber tut die Welt so, als könne über alles abgestimmt werden. Das ist nicht so, und das zu verdeutlichen ist das zentrale Anliegen von Papst Benedikt XVI. Er wird in der Öffentlichkeit oft missverstanden.

sueddeutsche.de: Warum ist das so?

von Gemmingen: Nur umstrittene Entscheidungen machen Schlagzeilen: Daher nimmt die Öffentlichkeit nur diese wahr: Die Rücknahme der Exkommunizierung der Lefebvrianer. Die Aufwertung der auf Latein gelesenen Messe. Oder die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte, in die einige nun wieder eine indirekte Aufforderung zur Missionierung der Juden hineininterpretieren. Aber das alleine ist nicht Benedikts Pontifikat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: